Foto: sibyll j. maschler „Landesgartenschau Beelitz“
„Alles, was man nicht kaufen kann“
Liebe Poeten
bringt Einfälle und Ideen zu diesem Motto mit in die Runde. Poetische Entdeckungsreisen führen oft in nichtkäufliche Regionen. Da könnten sich zum Beispiel zwei nicht käufliche Wesen treffen: „die Sehnsucht begegnet der Einsamkeit“.
Auch Glück und Pech kann man niemals vollständig mit Euros, Rubel oder Dollarscheinen einlösen. So gesehen sind die, welche weniger besitzen, mit denen, die glauben, alles zu haben, auf Augenhöhe.
Konfliktstoffe und poetische Ideen könnten im „Nichtkäuflichen“ schlummern.
Also laßt uns Nichtkäufliches sammeln und zusammentragen, was unserer Meinung nach dazu gehören kann.
Jeder ist aufgefordert, dazu im Seminar einen Vorschlag zu machen. Unkäufliches aus eigener Sicht…toll auch, wenn dazu Gedichte kämen. Es könnte der eigenen Feder entspringen, es könnte aber auch von Goethe oder M. Kaleko stammen. Hintergrund der Idee ist, Schreibfreude anzuregen und Stimmungen einzufangen. Laßt uns auf die Suche nach dem Unbezahlbaren gehen….
Sie fuhr los, seit nunmehr einem Jahrzehnt immer wieder mit demselben Ziel. Unterwegs fragte sie sich, in welches Zimmerchen sie wohl dieses Mal einziehen wird. Würde sie eine Woche im Haupthaus, Seitenflügel oder in der nahegelegenen Baracke wohnen? Nun, die Zimmer sind eigentlich sowieso alle gleich: Ein schmales Bett, ein schlichter Schrank, ein Waschbecken, auf dem kleinen Schreibtisch ein Teelicht, darüber ein schnörkelloses Holzkreuz. Die Ausblicke unterscheiden sich dagegen erheblich. Eher wenig anmutend, ist der Blick auf den Parkplatz. Das Nachbargrundstück sieht gewöhnlich aus. Die Aussicht auf den Klostergarten ist dagegen wundervoll. Eine großflächige, leicht hügelige Wiese, alte Baumgruppen, gepflegte Hecken, geschützt gelegen Bänke ebenso wie freistehende, fast mittig ein künstlich angelegter, kleiner Brunnen aus Feldsteinen, daneben ein Ginsterstrauch. Dieser war erst in den letzten Jahren gepflanzt worden. Der Pater hatte einst den Bezug auf das Buch Jeremia erwähnt. Nach einer Stunde Fahrt endlich Ankunft. Dann Einzug ins Zimmer, dieses Mal über der Sakristei. Hier hatte sie noch nie gewohnt. Es war unerwartet. Auch, dass es ihr so vorkam, als würde sie Gott bereits hören, gleich vier Mal, sehr leise, von unten, irgendwie auch im gesamten Raum, aber besonders durch den Fußboden. Und sehr gleichmäßig. Später auch durch das Kopfkissen und die Matratze, bis Mitternacht immer öfter. Dann schlief sie ein, aber keinesfalls durch. Gott weckte sie, hielt sie wach. Dann fast Furcht vor dem Einschlafen, denn das Aufwecken störte wiederholt. Als es langsam hell wurde, endlich, der erwartete Klang der Klarinette. Sie hörte, dass ringsum einige Türschlösser bewegt wurden. Auch sie stand auf, öffnete die Tür einen kleinen Spalt und legte sich noch einmal ins Bett. Vertraute Klänge in all den Jahren, wiederkehrende. In der Stille des Hauses sehr einprägsam, wohlig. Sie wusste, dass es der Pater war. Immer, wenn Exerzitien waren, weckte er die Teilnehmenden zu früher Stunde. Dann Aufstehen und ins Gemeinschaftsbad. Dort hörte sie Gott nicht. Auch nicht im Speisesaal. In der Andacht vernahm sie Gott auf andere Weise. Der Pater las. Gott kommt nicht im Sturm, auch nicht im Erdbeben. Gott erscheint im sanften, leisen Säuseln. Da ist er hörbar. Da also auch, denkt sie. Dem Pater kann sie vertrauen. Schon von Anbeginn. Immer. Eine Freude auch, wenn er seinen Gästen mal die Tür aufhält. Mit gesenktem Blick macht er das, aber nicht aus Scham, sondern weil er des Dankes nicht bedarf. Sie kann in diesem Kloster alles annehmen. Im Gebäude atmet sie Gott. Auf dem Gelände auch. Und weit darüber hinaus. Sie lauscht. Ihr Klavierlehrer hatte einmal gesagt: Gehen sie mit den Ohren spazieren. Und nun im angrenzenden Wald. Unter den Schuhen Laub, Moos, Erde, kleine Stöckchen, Tannenzapfen. Knistern und Knacken in der Nähe und in der Ferne. Wie zwischen Gott und ihr. Manchmal knistert es und manchmal knackt es. Junge Bäume biegen sich im Wind, alte Bäume halten Stand oder bersten. Sie atmet frische Luft. Oben, in den Wipfeln, Lichtfenster. Himmelwärts. Sie geht zurück. Und erwartet das Läuten. Glocken rufen in den Wald, über die Dächer, in die Straßen: Kommt! Es sind alle geladen. Sie hat Hunger. An den Tischen kaum Blicke, mehr Gesten und das Klappern des Bestecks auf den Tellern. Leise Musik gegen die Geräusche des Kauens. Danach klopft Gott wieder, einmal, zweimal. Taktvoll. Der Klang etwas rund, wie kurz angeschoben, sich öffnend, aber rasch wieder abnehmend, kugelförmig, scheinbar angestubst, den Raum mild umlaufend, durchlaufend, leise. Dabei will sie doch eigentlich ruhen. Es gelingt ihr nicht. Gott ruft.
Die Tage vergehen. Gott bringt sich regelmäßig in Erinnerung, durchdringt, kehrt wieder, mal mehr, mal weniger.
Wenn sie geht, draußen zum Beispiel, kann sie Gedanken auf Wolken setzen. Oder Zugvögeln mitgeben. So wird ihr Kopf frei. Wenn sie Mut hat, zum Unplanbaren, kommen neue Gedanken, ohne Einladung. Dann können neue Erfahrungen folgen.
Wenn die Geräusche des Tages abnehmen, wird Gott lauter. Wenn er dann anklopft, der Regulator in der Sakristei, kann das nerven. Aber eigentlich tut er gut. Ohne ihn, wieder zu Hause, kann Göttliches allzu schnell verloren gehen. Doch ruft er sie, aus dem Alltagsrad, dem Gedankenkarussell heraus und führt zurück, auf das Wesentliche, dann beginnt Heilung. Bei ihr zumindest.
sibyll jean maschler
Spät, aber herzlich, möchte ich einen kurzen Gruß zum Neuen Jahr senden.
Hoffentlich hattet Ihr sowohl gesunde als auch besinnliche und glückliche Feiertage. Wie werdet Ihr sie verbracht haben? Kann ich die eine oder den anderen für einen Kommentar auf unserem Blog gewinnen, hörte ich doch von einem Besuch auf entlegener Insel und anderen bewegenden Ereignissen. War Eure Feierlaune vielleicht durch das Verkaufsverbot von Pyrotechnik beeinträchtigt oder habt Ihr Euch mehr darüber gefreut, weil Ihr die Tiere weniger verängstigt wusstet und die Luft weniger belastet? Bei uns war es kaum ruhiger als sonst, lediglich das Höhenfeuerwerk vom Filmpark blieb aus. Inzwischen ist auch der Steckweihnachtsbaum demontiert und somit `Tanne von gestern‘. Der wiederverwendbare Koniferenstamm fand im schuppen Platz und die Zweige haben sich in der Feuerschale zu knisternder Wärme verwandelt. Husch, schon war der Zauber vorbei und verflogen. So ist das ja manchmal im Leben.
Bloß das eine Thema, sagen wir, das C-Thema, will sich einfach nicht verdünnisieren. Vielleicht birgt das noch junge Jahr die Chance, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, damit wir nicht weiter auseinander driften, sondern tragbare Lösungen entwickeln können. Abschließend möchte ich einladen, Andreas in den ungeraden Monaten und mir in den geraden Monaten, Texte zu mailen, damit der Blog, nach dem noch anhaltenden Winter, wieder zarte Knospen hervorbringen wird. Es grüßt sibyll
Als hätt‘ der Sternwind ihn geschickt
den Sternenstaub auf diese Welt
herüber weht er fällt nun sanft
ein Silberglanz bleibt auf dem Haar
die Wege füllend ebnen sich
zu meinen Füßen Wölkchen jetzt
mein Sternenstaub auch wirbelnd Licht
im Herz‘ und deinem Angesicht
sibyll j. maschler
2021
Liebe sibyll,
ich bedanke mich bei Dir für die nun schon neun Jahre andauernde gute Zusammenarbeit für unseren Blog.
Besonders angenehm für mich war festzustellen, dass Du kontinuierlich über die Jahre hinweg die Entwicklung im Blog verfolgt hast und von Dir aus Texte und Fotos zur Verfügung gestellt hast. Hab Dank dafür.
Liebe sibyll, ich bedanke mich bei Dir für die nun schon neun Jahre andauernde gute Zusammenarbeit für unseren Blog. Besonders angenehm für mich war festzustellen, dass Du kontinuierlich über die Jahre hinweg die Entwicklung im Blog verfolgt hast und von Dir aus Texte und Fotos zur Verfügung gestellt hast. Hab Dank dafür. Die Hervorhebung Deiner Beiträge sind eine Hommage an Dich, verbunden mit allen guten Wünschen für Dein persönliches Wohlergehen.
Liane Fehler Onlineredaktion
Im Slider (ganz oben im Blog) werden in den nächsten Tagen Beiträge von sibyll maschler präsentiert. Nicht nur Texte sondern auch viele Fotos von sibyll maschler sind in den letzten Jahren in unserem Blog veröffentlicht worden.
Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten
Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause
Akt.
Sie verlässt das Haus. Mit Glas im Gepäck. Und einem Grund. Oder mehreren. Oder grundlos. Wer weiß. Sie geht. Es wird gesagt: Kein leichter Spaziergang. Aus dem Garten. Fort. Längst. Mit dem Vorhaben weit. Für immer. Vielleicht. Sie geht demonstrieren. Gegen ihre Familie. Oder für eine Kleingruppe. Aus Protest. Für eine Auszeit. Sie sieht sich. Im Fensterglas. Denken. Andenken. Nachdenken. Ansehen. Nachsehen. Von Westen nach Osten. Und zurück. Ein Hin und Her. Über Konkurrenz. Nach und Teilen. Sie will. Ihren Körper spüren. Wege ausprobieren. Wälder, Kreuzungen, Ländereien begehen. Bergan, bergab, erlaufen. Ausdauernd. Hauptsache fort. Vor wem? Von Zuhause? Und was es mal war.
Sie geht weit. Unbedarft. Prüft nicht, wie weit sie geht. Was kann sie zumuten? Sich? Anderen? Sie geht weiter. Sie greift ein. Ohne Grübeln. Handelt ohne Vordenken. Sie nimmt ein Glas. Es ist von ihr. Er hat es ins Haus gebracht. Nun hat sie das Glas. Sie wirft Glas. Mit Macht. Und Genugtuung. Fort. Splitter. Auf der anderen Seite. Eine Lache. Die saubere Hand. Nun blutet sie. Sie ist weit gegangen. Das Glas ist nun fort. Sie ist da. Erst jetzt, spät, sehr spät, hält sie inne. Es dunkelt. Ringsum. Furcht. Der Körper trägt nicht mehr. Sie ist allein. Hier und zu Hause auch.
Akt
Sie denkt. Ich brauche Hilfe. Wer gehört zur Familie? Noch. Sie gehört dazu. Nun. Sie ruft. An einen Sohn. Anrufung. Wen ruft sie? Einen Mann. Ist es ihr Mann? Er war es sicher. Gegenwärtig vermutlich. In seinem Zimmer. Telefonate. Seit Monaten. Zu oft. Trotz ihres Verbotes. Ist er unterwegs. Im Netz und werkt. Er ist nicht da. Und dort. Kopfkino. Anklage. Am Telefon. Der Körper ist erschöpft. Er sagt. Ich will Hilfe. Sie auch.
Akt
Sie fragt. Sich. Bleibt er? Aus Verantwortung. Er hat Kraft. Neu. Er ist schmal. Und gräbt im Sand. Im Garten. Ein Loch. Nach Wasser. Es ist tief. Sie lässt ihn. Graben. Im Erdreich. Steckt er fest. Vielleicht.
Sie dort. Im Osten. Darf es nicht wissen. Dass er nach Wasser gräbt. Sie soll ihn nicht sehen. Nicht berühren. Sie darf ihm nicht helfen. Beim Ausgraben. Schöpfen. Baggern. An Ufern.
Nach den Wochenenden. Fragen. Wie viel Liebe hat er? Bei Ihr? Er hat viel. Mit. Gefühl. Mit Leid. Er ist groß. Und hat mehr. Als schöne Augen. Der Blickwinkel ist fraglich. Die Position offen.
Akt
Sie setzt sich. In der Ferne. Auseinander. Und zu ihnen. In den Westen. Diese Familie. Wer ist sie. Diese Frau. Nicht gläsern. Und er? Wen wird er schützen? Grüßen. Was hat das. Mit ihr zu tun. Was wird es machen? Mit ihr? Wenn diese Frau zu weit geht. Was dann?
Es war bewölkt, etwas
frisch, im März am Meer. Die See schwappte ruhig ans Ufer. Marias
Urlaub ging zu Ende. Nun bildete ein Klassentreffen den Abschluss.
Maria hatte noch einmal den Kragen ihres flauschigen Wollmantels hoch
geschlagen, die fröstelnden Hände in den Taschen vergraben und ging
mit einer etwa zehnköpfige Gruppe am Strand spazieren. Im Wasser
waren weder Algen noch Quallen sichtbar, aber am Ufer viele Steine.
Man konnte jedoch mühelos darüber hinweg gehen. Keine Klippen, kein
aufgetürmtes Gestein, über das man vielleicht hinweg klettern
musste, sondern überwiegend schöner Sandstrand. Die größten
Steine waren etwa faustgroß. Werner erzählte bereits eine ganze
Weile mit seiner Weggefährtin und fragte schließlich etwas lauter
in die Runde: „Wisst ihr eigentlich, dass man Hühnergötter nicht
verschenken soll?“ Jemand verneinte unmittelbar und schien damit
die Antwort für alle gegeben zu haben. Während sich so etwas wie
Nachdenklichkeit ausbreitete, verringerte sich die
Schrittgeschwindigkeit der Gruppe. Eine Frau fragte: „Warum sollte
man die Hühnergötter denn nicht verschenken? Gestern habe ich
nämlich so viele gehabt, dass ich unserer Erzieherin zwei Hände
voll von meinen abgab, schließlich wusste ich, dass sie welche für
ihre Schützlinge suchte.“ „Abgeben ist ja auch gut und
richtig.“, erwiderte Werner. „Aber verschenken sollte wir sie
nicht. Wer kann sich schon leisten, gefundenes Glück einfach mal so
zu verschenken?!“ Da erhoben sich Raunen und Lachen und alle hatten
verstanden. Bevor sich wieder Gespräche entwickeln konnten, rief
Adam mit fröhlicher Stimme in die Runde: „Lasst uns ein Spiel
spielen! Steine werfen. Wir beginnen, indem sich jeder von uns
zunächst einen hässlichen und einen hübschen Stein sucht. Los
geht’s!“
Maria ging sogleich in
die Hocke und begann sich umzuschauen. Den hässlichen Stein hatte
sie schnell gefunden. Sie hob einen auf, der ihrer Meinung nach
nichts am Strand zu suchen hatte. Denn er war aus Beton; unförmig
abgebrochen, scharfkantig, von grober Körnung und langweilig
graubrauner Farbe. Diesen Klotz konnte Maria gerade noch mit einer
Hand greifen. Sie nahm ihn in die linke Hand und glitt sogleich mit
der rechten über die umliegenden. Es wurde schwieriger. Die Auswahl
an hübschen Steinen war sehr groß. Nach welchen Kriterien sollte
sie eigentlich suchen? War eine angenehme Form wichtiger als die
Farbgebung? Wie sollte sich ein schöner Stein anfühlen, sich in die
Hand einschmiegen? Würde sie auf die Schnelle sogar einen Hühnergott
finden? Doch diesen Gedanken verwarf sie besser gleich wieder. Ein
Loch sollte ihr schöner Stein nun gerade nicht haben. Die Wahl fiel
ihr wirklich schwer. Keiner der Gruppe nutzte einen anderen Stein, um
damit nach tiefer gelegenen Steinen zu graben, außer Maria.
Letztlich entschied sie sich für einen Stein, der angenehm in ihrer
Hand lag, weder kreisrund noch ganz flach war, sondern eiförmig und
etwa daumendick. Ebenmäßig, ja, er war ebenmäßig. Es schien, als
bestünde er ziemlich genau aus einer sandfarbenen und einer
rötlichen Hälfte. Marias Stein fühlte sich sowohl schlicht als
auch edel an, wie ein wohliger Handschmeichler. Nun, dieser sollte
jetzt tatsächlich für diesen Moment der ihre sein. Gerade als Maria
ihn aufgenommen hatte, sagte Adam, „Jetzt legt ihr sinnbildlich all
das, was ihr loswerden wollt, schon lange abschütteln möchtet, was
euch vielleicht verletzt oder wehtut, in den hässlichen Stein hinein
und werft ihn so weit wie möglich ins Meer. In den anderen Stein
wünscht ihr alles Schöne und Gute.“
Maria fand diese Idee
super. Sie stand unmittelbar auf und sprang auf der Stelle, laut
juchzend in die Luft. Dieser Glücksseufzer war so übermütig und
ansteckend, dass alle lachen mussten.
Maria wusste sofort, was
sie in den hässlichen Betonklotz randvoll, ach, übervoll
metaphorisch hineindenken und –fühlen wollte. Den Schmerz aus der
Kindheit, Scham über die Wahl des Kindesvaters, die Furcht vor der
Einsamkeit im Alter, ihr heilloses Streben nach Unabhängigkeit. Ach,
da gab es eine Menge an Unrat.
Und etwas Schönes hatte
sie ja gerade erlebt. Da gab es in den vergangenen drei Wochen eine
neue Bekanntschaft. Deshalb war gerade ein Jubel in Maria, welcher
erstaunlich rasch an Bedeutung gewonnen hatte. Sie wollte ihn dennoch
dem Meer, im Tausch gegen ihre Lasten, übergeben. Die Freude würde
ein würdiges Gegengewicht zu dem Schweren darstellen. Vielleicht war
es sogar schon ein lieblicher Tanz, ein beginnendes Fest, zumindest
bei ihr. Wahrscheinlich würde die Hergabe mehr einem Opfer gleichen
als einer Übergabe an das Meer.
Leider war ihre
Bekanntschaft bereits wieder abgereist. Sie hatte ihn gebeten, alles
mitzunehmen, was zwischen ihnen begonnen hatte. Dabei versuchte sie
sich glauben zu machen, dass es ihr einerlei sei, ob er es hüten
würde oder nicht. Hauptsache, er würde es forttragen, mitnehmen,
weg von ihr. Doch entweder hatte sie sich nicht klar genug
ausgedrückt oder er hatte gemogelt. Denn Marias Zuneigung war seit
dem keinesfalls weniger geworden. Vielmehr spürte sie noch deutlich
die Schwingungen ihrer Begegnung. Bisher trug sie dies kleine Glück
noch bei sich, hatte es ihm wohl auch nicht vollends mitgeben können,
weil es schon in ihr leuchtete. Seit Monaten glaubte sie, niemals
mehr das Gleichgewicht für einen weiteren Tanz zu finden, den
Schwung, die Kraft nach all den Jahren. Doch nun, mit Adams Spiel,
brauchte sie nur einmal riesen großen Schwung zu nehmen, um diesen
Anfang dem Meer zu übergeben. Glück im Tausch gegen vergangene
Schwere. Sie entschied sich tapfer, dass nun der Moment gekommen sei,
beides dem Meer zu überantworten.
Aber wahrscheinlich würde
das Werfen von Glück und Last genauso unmöglich zu sein, wie das
Glück mit jemanden fortzuschicken, es forttragen zu lassen.
Aber zunächst war dieses
grobe Etwas von Betonklotz dran. Maria legte erst einmal all ihre
Enttäuschung, vergebliches Bitten und Gebet, ihr Entsetzen über
unmenschliches Sein tief in diesem ab. Sie formulierte ihre Last
nicht präzise aus, eher knetete sie diese kräftig, in scheinbar zu
formenden Lehm symbolisch hinein. Sie positionierte den Beton in
ihrer Wurfhand. Wie erfrischend der Gedanke war, diesen Stein mit
aller Wucht ins Dunkel des Meeres zu werfen. Sie wollte ihn rasch
loswerden, mit einem Wurf weit von sich stoßen, richtig kraftvoll
schmettern. Es sollte gewaltig werden, donnernd, erschreckend.
Sogleich zog sie ihren Mantel aus, um ja gut ausholen zu können.
Dann warf sie noch rasch den Schal in den Sand, damit sie auch nicht
daran hängen bliebe, lief übertrieben weit landeinwärts, drehte
sich um und rannte zur Wasserkante zurück. Währenddessen holte sie
rücklings aus und dann aber los. Das war ein Wurf! Der saß. Als der
hässliche Stein im Wasser einschlug, war er deutlich hörbar. Ein
Erfolg, ein echter Erfolg der Versenkung. Maria stemmte ihre Hände
in die Hüfte und war zufrieden.
Erst jetzt bemerkte sie,
dass sie die anderen aus dem Blick verloren hatte. Sie waren längst
zum Aufbruch bereit. Nach einigen tiefen Atemzügen, ging sie zum
Mantel zurück. Doch wo war ihr schöner Stein? Er lag weder auf dem
Mantel oben auf noch darunter noch befand er sich in den
Seitentaschen. Maria machte ihre Hände in die Hosentaschen, doch
auch da kein Stein. Erneut tastete sie alle Eingriffe ihrer Kleidung
ab. Dann hob sie den Schal auf, doch auch dort war der schöne Stein
nicht zu finden. Die Gruppe war bereits voraus gegangen, Maria suchte
weiter. Nun hockte sie sich hin, überflog die umliegende Fläche mit
flüchtigem Blick. Dann wurde sie allmählich etwas ruhig und schaute
nun ganz sorgfältig die sie umgebenden Quadratmeter ab. Der schöne,
der sinnliche Stein war weg. Und mit ihm auch, was sie in den letzten
Wochen erlebt hatte und bereit gewesen war, dem Meer zu schenken, zu
opfern. Sie wollte doch ihre Sehnsucht loswerden, um ruhig zu werden,
wie das Meer an windstillen Tagen.
Stunden später erfuhr
sie, dass der schöne Stein gar nicht geworfen, sondern mitgenommen
werden sollte. Er durfte bewahrt werden für unbestimmte Zeit.
Maria wusste nun um ihren
guten Stein. Sie hatte ihn sorgfältig gesucht, betrachtet und
deutlich in ihren Händen gespürt. Offen blieb, ob er später noch
gefunden, geworfen oder für immer gehalten wurde oder sich das Meer
ihn wieder zurückholte.
kreideweiß edel bunt
finden sprengen behauen
manche mit Schliff zum Karat
andere aus Lehm in Form gebrannt
zum Bauen von Grund Mauern Wällen Häusern ...
kreideweiß edel bunt finden sprengen behauen manche mit Schliff zum Karat andere aus Lehm in Form gebrannt zum Bauen von Grund Mauern Wällen Häusern salzige für´s Tier vergrabene am Grab Ecksteine zum Stützen Erinnern Glauben Denkmale Stolpersteine Findlinge Monolithen im Gras sonnenwarm Felsen vom Hang stürzend bemoost algenglitschig Uferfelsenplatten kantig in Gruben Brunnen Halt gebend dem Wasser Fluss Kanal flache vom Sand überweht große Kreise ziehend an der Oberfläche Kiesel geschliffen gerundet bewegte grummelnd am Grund im Meer Steine rollen werfen fangen zum Spielen Schmücken Senken und der an meinem Hals bist du
Wer ist frei von manisch-depressiven „Eigenschaftssplittern“? Oder auch von schizoiden? Sie oder er möge diese Literaturempfehlung ungelesen überspringen. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, einen Menschen zu kennen, welcher mit dieser Krankheit seine Tage und Nächte „entert“, „sich abhanden gekommen ist“. Unter diesem Aspekt empfiehlt es sich dann doch, Bücher von Thomas Melle zu lesen. Nachdem ich mir zunächst die Neuerscheinung „Die Welt im Rücken“ gekauft hatte, las ich nach und nach die Vorgänger bis hin zum Debütroman. Eine gut gewählte Reihenfolge, denn mit dem autobiographischen Bestseller aus dem Jahr 2016, erschließen sich die Protagonisten in den vorangegangenen Romanen umso besser. So ist es sicher kein Zufall, dass die Namen der zwei hauptsächlich agierenden Personen, Thorsten und Magnus, in „Sichster“ graphematisch sehr dicht am Namen des Autors sind. Thomas und Thorsten werden beide mit >Th< geschrieben. Magnus, zweisilbig, mit dem gleichen Initial des Nachnamens Melle.
Die Literatur ist schmerzhaft scharfgestellt, erscheint mir wie ein metallisches, gnadenloses Schlaglicht. Manches wirkt überspitzt, wie z.B. „Meine Kindheit trägt die Farbe des Wortes Hämatom.“, „In der Phase der Minussymptomatik… bis mich ein Wutanfall wieder freisprengte“ oder „Der Tag begann mit einer Verneinung und endete mit einer Kapitulation“. Lange Passagen führen immer tiefer in diese fließende, gleitende Dunkelheit hinab. Aber inzwischen glaube ich, dass da gar nichts überspitzt wurde, sondern die Schilderungen durchlebt wurden und immer noch permanent in anderen Farben irrlichtern. Außerdem funkeln unendlich viele, einzigartige Bilder: „Die Zunge fühlt sich wie ein Schneckenmutant aus Gummibärchen an“, „Ich hörte das Sausen der Ringe des Saturns“, „Lebenskomplexe …Ganze Maisfelder wollen da noch zu Popkornwälder aufspringen.“ Und es prasseln Vergleiche. „Die Psychiatrie ist ein Sammelsurium von Fehlexemplaren“, „Baukräne wie große futuristische Heuschrecken, Bauarbeiter wie Playmobilfiguren im Sand.“
„3000 Euro“ ist ein Roman über die „Stadtschattengewächse“ Anton und Denise. Schon durch die ersten 3 Sätze fühlet ich mich sofort ertappt: „Da ist ein Mensch drin, auch wenn es nicht so scheint. Unter den Flicken und Fetzen bewegt sich nichts. Die Passanten gehen an dem Haufen vorbei, als wäre er nicht da.“ Aber es wächst zunehmend Empathie für die „am Rande. Oder schon über den Rand hinaus. Die, die ferner liefen.“ „300 Euro“ las ich vergleichsweise zügig und schaue die „unterschatteten Augen“ nun mit anderen.
Thomas Melles Debüt „Raumforderung“ besteht aus Erzählungen und bezeugt bereits die ganze expansive Sprachkraft des Autors.
Meine Empfehlung beruht auf dem Wunsch, dass wir einander wahr-nehmen: In der Realität, Spiritualität, Literatur oder wo auch immer.