Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten
Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause
Akt.
Sie verlässt das Haus. Mit Glas im Gepäck. Und einem Grund. Oder mehreren. Oder grundlos. Wer weiß. Sie geht. Es wird gesagt: Kein leichter Spaziergang. Aus dem Garten. Fort. Längst. Mit dem Vorhaben weit. Für immer. Vielleicht. Sie geht demonstrieren. Gegen ihre Familie. Oder für eine Kleingruppe. Aus Protest. Für eine Auszeit. Sie sieht sich. Im Fensterglas. Denken. Andenken. Nachdenken. Ansehen. Nachsehen. Von Westen nach Osten. Und zurück. Ein Hin und Her. Über Konkurrenz. Nach und Teilen. Sie will. Ihren Körper spüren. Wege ausprobieren. Wälder, Kreuzungen, Ländereien begehen. Bergan, bergab, erlaufen. Ausdauernd. Hauptsache fort. Vor wem? Von Zuhause? Und was es mal war.
Sie geht weit. Unbedarft. Prüft nicht, wie weit sie geht. Was kann sie zumuten? Sich? Anderen? Sie geht weiter. Sie greift ein. Ohne Grübeln. Handelt ohne Vordenken. Sie nimmt ein Glas. Es ist von ihr. Er hat es ins Haus gebracht. Nun hat sie das Glas. Sie wirft Glas. Mit Macht. Und Genugtuung. Fort. Splitter. Auf der anderen Seite. Eine Lache. Die saubere Hand. Nun blutet sie. Sie ist weit gegangen. Das Glas ist nun fort. Sie ist da. Erst jetzt, spät, sehr spät, hält sie inne. Es dunkelt. Ringsum. Furcht. Der Körper trägt nicht mehr. Sie ist allein. Hier und zu Hause auch.
Akt
Sie denkt. Ich brauche Hilfe. Wer gehört zur Familie? Noch. Sie gehört dazu. Nun. Sie ruft. An einen Sohn. Anrufung. Wen ruft sie? Einen Mann. Ist es ihr Mann? Er war es sicher. Gegenwärtig vermutlich. In seinem Zimmer. Telefonate. Seit Monaten. Zu oft. Trotz ihres Verbotes. Ist er unterwegs. Im Netz und werkt. Er ist nicht da. Und dort. Kopfkino. Anklage. Am Telefon. Der Körper ist erschöpft. Er sagt. Ich will Hilfe. Sie auch.
Akt
Sie fragt. Sich. Bleibt er? Aus Verantwortung. Er hat Kraft. Neu. Er ist schmal. Und gräbt im Sand. Im Garten. Ein Loch. Nach Wasser. Es ist tief. Sie lässt ihn. Graben. Im Erdreich. Steckt er fest. Vielleicht.
Sie dort. Im Osten. Darf es nicht wissen. Dass er nach Wasser gräbt. Sie soll ihn nicht sehen. Nicht berühren. Sie darf ihm nicht helfen. Beim Ausgraben. Schöpfen. Baggern. An Ufern.
Nach den Wochenenden. Fragen. Wie viel Liebe hat er? Bei Ihr? Er hat viel. Mit. Gefühl. Mit Leid. Er ist groß. Und hat mehr. Als schöne Augen. Der Blickwinkel ist fraglich. Die Position offen.
Akt
Sie setzt sich. In der Ferne. Auseinander. Und zu ihnen. In den Westen. Diese Familie. Wer ist sie. Diese Frau. Nicht gläsern. Und er? Wen wird er schützen? Grüßen. Was hat das. Mit ihr zu tun. Was wird es machen? Mit ihr? Wenn diese Frau zu weit geht. Was dann?
Es war bewölkt, etwas
frisch, im März am Meer. Die See schwappte ruhig ans Ufer. Marias
Urlaub ging zu Ende. Nun bildete ein Klassentreffen den Abschluss.
Maria hatte noch einmal den Kragen ihres flauschigen Wollmantels hoch
geschlagen, die fröstelnden Hände in den Taschen vergraben und ging
mit einer etwa zehnköpfige Gruppe am Strand spazieren. Im Wasser
waren weder Algen noch Quallen sichtbar, aber am Ufer viele Steine.
Man konnte jedoch mühelos darüber hinweg gehen. Keine Klippen, kein
aufgetürmtes Gestein, über das man vielleicht hinweg klettern
musste, sondern überwiegend schöner Sandstrand. Die größten
Steine waren etwa faustgroß. Werner erzählte bereits eine ganze
Weile mit seiner Weggefährtin und fragte schließlich etwas lauter
in die Runde: „Wisst ihr eigentlich, dass man Hühnergötter nicht
verschenken soll?“ Jemand verneinte unmittelbar und schien damit
die Antwort für alle gegeben zu haben. Während sich so etwas wie
Nachdenklichkeit ausbreitete, verringerte sich die
Schrittgeschwindigkeit der Gruppe. Eine Frau fragte: „Warum sollte
man die Hühnergötter denn nicht verschenken? Gestern habe ich
nämlich so viele gehabt, dass ich unserer Erzieherin zwei Hände
voll von meinen abgab, schließlich wusste ich, dass sie welche für
ihre Schützlinge suchte.“ „Abgeben ist ja auch gut und
richtig.“, erwiderte Werner. „Aber verschenken sollte wir sie
nicht. Wer kann sich schon leisten, gefundenes Glück einfach mal so
zu verschenken?!“ Da erhoben sich Raunen und Lachen und alle hatten
verstanden. Bevor sich wieder Gespräche entwickeln konnten, rief
Adam mit fröhlicher Stimme in die Runde: „Lasst uns ein Spiel
spielen! Steine werfen. Wir beginnen, indem sich jeder von uns
zunächst einen hässlichen und einen hübschen Stein sucht. Los
geht’s!“
Maria ging sogleich in
die Hocke und begann sich umzuschauen. Den hässlichen Stein hatte
sie schnell gefunden. Sie hob einen auf, der ihrer Meinung nach
nichts am Strand zu suchen hatte. Denn er war aus Beton; unförmig
abgebrochen, scharfkantig, von grober Körnung und langweilig
graubrauner Farbe. Diesen Klotz konnte Maria gerade noch mit einer
Hand greifen. Sie nahm ihn in die linke Hand und glitt sogleich mit
der rechten über die umliegenden. Es wurde schwieriger. Die Auswahl
an hübschen Steinen war sehr groß. Nach welchen Kriterien sollte
sie eigentlich suchen? War eine angenehme Form wichtiger als die
Farbgebung? Wie sollte sich ein schöner Stein anfühlen, sich in die
Hand einschmiegen? Würde sie auf die Schnelle sogar einen Hühnergott
finden? Doch diesen Gedanken verwarf sie besser gleich wieder. Ein
Loch sollte ihr schöner Stein nun gerade nicht haben. Die Wahl fiel
ihr wirklich schwer. Keiner der Gruppe nutzte einen anderen Stein, um
damit nach tiefer gelegenen Steinen zu graben, außer Maria.
Letztlich entschied sie sich für einen Stein, der angenehm in ihrer
Hand lag, weder kreisrund noch ganz flach war, sondern eiförmig und
etwa daumendick. Ebenmäßig, ja, er war ebenmäßig. Es schien, als
bestünde er ziemlich genau aus einer sandfarbenen und einer
rötlichen Hälfte. Marias Stein fühlte sich sowohl schlicht als
auch edel an, wie ein wohliger Handschmeichler. Nun, dieser sollte
jetzt tatsächlich für diesen Moment der ihre sein. Gerade als Maria
ihn aufgenommen hatte, sagte Adam, „Jetzt legt ihr sinnbildlich all
das, was ihr loswerden wollt, schon lange abschütteln möchtet, was
euch vielleicht verletzt oder wehtut, in den hässlichen Stein hinein
und werft ihn so weit wie möglich ins Meer. In den anderen Stein
wünscht ihr alles Schöne und Gute.“
Maria fand diese Idee
super. Sie stand unmittelbar auf und sprang auf der Stelle, laut
juchzend in die Luft. Dieser Glücksseufzer war so übermütig und
ansteckend, dass alle lachen mussten.
Maria wusste sofort, was
sie in den hässlichen Betonklotz randvoll, ach, übervoll
metaphorisch hineindenken und –fühlen wollte. Den Schmerz aus der
Kindheit, Scham über die Wahl des Kindesvaters, die Furcht vor der
Einsamkeit im Alter, ihr heilloses Streben nach Unabhängigkeit. Ach,
da gab es eine Menge an Unrat.
Und etwas Schönes hatte
sie ja gerade erlebt. Da gab es in den vergangenen drei Wochen eine
neue Bekanntschaft. Deshalb war gerade ein Jubel in Maria, welcher
erstaunlich rasch an Bedeutung gewonnen hatte. Sie wollte ihn dennoch
dem Meer, im Tausch gegen ihre Lasten, übergeben. Die Freude würde
ein würdiges Gegengewicht zu dem Schweren darstellen. Vielleicht war
es sogar schon ein lieblicher Tanz, ein beginnendes Fest, zumindest
bei ihr. Wahrscheinlich würde die Hergabe mehr einem Opfer gleichen
als einer Übergabe an das Meer.
Leider war ihre
Bekanntschaft bereits wieder abgereist. Sie hatte ihn gebeten, alles
mitzunehmen, was zwischen ihnen begonnen hatte. Dabei versuchte sie
sich glauben zu machen, dass es ihr einerlei sei, ob er es hüten
würde oder nicht. Hauptsache, er würde es forttragen, mitnehmen,
weg von ihr. Doch entweder hatte sie sich nicht klar genug
ausgedrückt oder er hatte gemogelt. Denn Marias Zuneigung war seit
dem keinesfalls weniger geworden. Vielmehr spürte sie noch deutlich
die Schwingungen ihrer Begegnung. Bisher trug sie dies kleine Glück
noch bei sich, hatte es ihm wohl auch nicht vollends mitgeben können,
weil es schon in ihr leuchtete. Seit Monaten glaubte sie, niemals
mehr das Gleichgewicht für einen weiteren Tanz zu finden, den
Schwung, die Kraft nach all den Jahren. Doch nun, mit Adams Spiel,
brauchte sie nur einmal riesen großen Schwung zu nehmen, um diesen
Anfang dem Meer zu übergeben. Glück im Tausch gegen vergangene
Schwere. Sie entschied sich tapfer, dass nun der Moment gekommen sei,
beides dem Meer zu überantworten.
Aber wahrscheinlich würde
das Werfen von Glück und Last genauso unmöglich zu sein, wie das
Glück mit jemanden fortzuschicken, es forttragen zu lassen.
Aber zunächst war dieses
grobe Etwas von Betonklotz dran. Maria legte erst einmal all ihre
Enttäuschung, vergebliches Bitten und Gebet, ihr Entsetzen über
unmenschliches Sein tief in diesem ab. Sie formulierte ihre Last
nicht präzise aus, eher knetete sie diese kräftig, in scheinbar zu
formenden Lehm symbolisch hinein. Sie positionierte den Beton in
ihrer Wurfhand. Wie erfrischend der Gedanke war, diesen Stein mit
aller Wucht ins Dunkel des Meeres zu werfen. Sie wollte ihn rasch
loswerden, mit einem Wurf weit von sich stoßen, richtig kraftvoll
schmettern. Es sollte gewaltig werden, donnernd, erschreckend.
Sogleich zog sie ihren Mantel aus, um ja gut ausholen zu können.
Dann warf sie noch rasch den Schal in den Sand, damit sie auch nicht
daran hängen bliebe, lief übertrieben weit landeinwärts, drehte
sich um und rannte zur Wasserkante zurück. Währenddessen holte sie
rücklings aus und dann aber los. Das war ein Wurf! Der saß. Als der
hässliche Stein im Wasser einschlug, war er deutlich hörbar. Ein
Erfolg, ein echter Erfolg der Versenkung. Maria stemmte ihre Hände
in die Hüfte und war zufrieden.
Erst jetzt bemerkte sie,
dass sie die anderen aus dem Blick verloren hatte. Sie waren längst
zum Aufbruch bereit. Nach einigen tiefen Atemzügen, ging sie zum
Mantel zurück. Doch wo war ihr schöner Stein? Er lag weder auf dem
Mantel oben auf noch darunter noch befand er sich in den
Seitentaschen. Maria machte ihre Hände in die Hosentaschen, doch
auch da kein Stein. Erneut tastete sie alle Eingriffe ihrer Kleidung
ab. Dann hob sie den Schal auf, doch auch dort war der schöne Stein
nicht zu finden. Die Gruppe war bereits voraus gegangen, Maria suchte
weiter. Nun hockte sie sich hin, überflog die umliegende Fläche mit
flüchtigem Blick. Dann wurde sie allmählich etwas ruhig und schaute
nun ganz sorgfältig die sie umgebenden Quadratmeter ab. Der schöne,
der sinnliche Stein war weg. Und mit ihm auch, was sie in den letzten
Wochen erlebt hatte und bereit gewesen war, dem Meer zu schenken, zu
opfern. Sie wollte doch ihre Sehnsucht loswerden, um ruhig zu werden,
wie das Meer an windstillen Tagen.
Stunden später erfuhr
sie, dass der schöne Stein gar nicht geworfen, sondern mitgenommen
werden sollte. Er durfte bewahrt werden für unbestimmte Zeit.
Maria wusste nun um ihren
guten Stein. Sie hatte ihn sorgfältig gesucht, betrachtet und
deutlich in ihren Händen gespürt. Offen blieb, ob er später noch
gefunden, geworfen oder für immer gehalten wurde oder sich das Meer
ihn wieder zurückholte.
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Zwischen den Lichtern
Wanderer
in den Wäldern und Fluren
sag, hast du es wiedergefunden
das Glühwürmchen
vom Sommeranfang
in all den Nächten
gelang dir
das Greifen nach deiner Dunkelheit
und diese zum Tier zu tragen
zu dem kleinen
um es zu bestärken in seinem Leuchten
gegen die Übermacht
der Sterne am Firmament
lehrte es dich
als Dank
die Morsezeichen
welche es hinauf sendet
in der Hoffnung auf Antwort
ohne zu ahnen
dass jenes ferne Funkeln
eine Supernova
sibyl maschler
August 2015
Wanderer
in den Wäldern und Fluren
sag, hast du es wiedergefunden
das Glühwürmchen
vom Sommeranfang
in all den Nächten
gelang dir
das Greifen nach deiner Dunkelheit
und diese zum Tier zu tragen
zu dem kleinen
um es zu bestärken in seinem Leuchten
gegen die Übermacht
der Sterne am Firmament
lehrte es dich
als Dank
die Morsezeichen
welche es hinauf sendet
in der Hoffnung auf Antwort
ohne zu ahnen
dass jenes ferne Funkeln
eine Supernova