Categotry Archives: Erhard Scherner
Meine Freunde
Meine Freunde
leben in schwierigen Zeiten
Was sie treibt
geht auf Leben und Tod
Sie stehlen sich nicht davon
Tun
immer ein Quäntchen mehr.
Sie
zweifeln –
verzweifeln nicht.
Sie lieben –
ein Glanz davon
fällt auf die Kinder
und alle Kreatur.
So sind meine Freunde
nicht Hilfe los.
Woher ich das weiß?
Sie singen.
Erhard Scherner
Mu Lan
Sitzt Mu Lan am Fenster,
Und sie webt ein Kleid.
Hält das Mädchen inne,
Seufzt vor bittrem Leid.
„Woran denkst du, Schwester,
Geht das Herz dir schwer!“ –
„Kann an nichts mehr denken.
Und mein Herz ist leer.
Las den Befehl des Kaisers,
Als die Boten kamen.
In zwölf langen Listen
Steht des Vaters Name.
Ist zu jung das Söhnchen,
Brüderchen, was dann! –
Kauf ich Pferd und Sattel,
Reite selbst, Mu Lan.“
Auf dem Ostmarkt kauft sie sich ein Ross.
Auf dem Westmarkt kauft sie einen Sattel.
Auf dem Südmarkt kauft sie eine Trense.
Auf dem Nordmarkt kauft sie eine Peitsche.
Nimmt am Morgen Abschied von den Eltern,
Lagert schon zur Nacht am Gelben Fluss.
Hört nicht mehr den Ruf der fernen Eltern –
Nur die Wasser rauschen tief im Gelben Fluss.
Nimmt vom Gelben Flusse morgens Abschied,
Lagert schon zur Nacht am Schwarzen Fluss.
Hört nicht mehr den Ruf der fernen Eltern –
Fremdes Pferdewiehern nur ist dumpfer Gruß.
Fliegt zum Kampf weit über tausend Meilen.
Streift über Berg und Pässe unbewohnt.
Dumpfer Gong der Wachen macht sie frösteln.
Auf den Waffen glänzt ein kalter Mond.
Fällt der General nach hundert Schlachten.
Doch das Heldenmädchen bleibt verschont.
Wie sie heimkehrt nach zehn Kampfesjahren,
Wartet zum Empfang der Kaiser schon:
Hoher Würdenträger soll sie werden –
Und er bietet überreichen Lohn.
Und der Kaiser fragt, was sie sich wünsche.
Jede Ehrung schlägt das Mädchen aus.
„Lasst Mu Lan den schnellsten Renner,
Dass ich reite zu des Vaters Haus.“
Hörn die Eltern, dass die Tochter komme,
Eilen sie hinaus weit vor die Stadt,
Tritt die Älteste vor ihren Spiegel,
Streicht sich zum Empfang die Haare glatt.
Und der junge Bruder wetzt das Messer,
dass man einen Braten hat.
Tritt Mu Lan in die geliebten Zimmer,
Ach, entbehrt so manches Jahr.
Tauscht den Panzer mit den Kleidern,
Die sie trug, als sie ein Mädchen war.
Schmückt am Fenster sich mit Blumen,
Vor dem Spiegel strähnt sie sich das Haar.
Geht hinaus zu ihren Kampfgefährten.
Voll Erstaunen treten die herbei,
Sind sie doch marschiert zwölf lange Jahre,
Ahnten nicht, dass sie ein Mädchen sei.
Der Hase gräbt mit den Pfoten.
Die Häsin liebäugelt dabei.
Aber laufen sie über die Heide –
Sag, wer ist Hase, wer Häsin!
Übertragung ins Deutsche von Erhard Scherner
Anmerkung:
Die Ballade „Mu Lan“, eine chinesische Volksdichtung, hat zwei
Jahrtausende überdauert. In Musiken und Gemälden, dramatisiert und
vielfach verfilmt, ist sie präsent. Die Mädchen sprechen den Text, schlicht
und herb, noch heut.
Vor 75 Jahren bin ich der Ballade ein erstes Mal begegnet, als Übersetzer
in Peking, Unikat aus einer traditionell männerdominierten Gesellschaft.
So reitet Mu Lan, ob zu Pferd oder Kamel, unsterblich durch die Zeiten.
Erhard Scherner, Gedankenwasser 153
Wie soll Frieden ins Land kommen?
Schleicht er mit Granaten heran? Mit Haubitzen, Gebeten; Mit Trommelschlag? Tausend Tote, kleine Leute, rufen ihn wortlos, mit Mäulern, daraus trinken die Raben. Wie soll er kommen? Sanitätsräte bringen ihn nicht, gewiss nicht Politiker im freien Fall. Abwärts zur Insel im eigenen Jet. Und denken, und steuern. Irgendwo rechnet wer, was das Zeug hält. Lässt rechnen. Dort fließt Blut. Gut haben's die Raben. Tilly* reitet über den Acker. Erhard Scherner *Tilly war ein Feldherr. Die Eroberung und Zerstörung Magdeburgs 1631 durch seine Truppen gilt als größtes und verheerendstes Massaker des 30-jährigen Krieges.
Einladung zur Filmpremiere
GRABEN
Erhard Scherner – Erinnerungen
Donnerstag, 16. März 2023, 19 Uhr, Haus der Natur Potsdam
Lindenstr. 34, 14467 Potsdam (Innenhof der Waisenhausstiftung)
Der Berliner Erhard Scherner, 1929 geboren, sang in den dreißiger Jahren im Chor der Rundfunkspielschar des Deutschlandsenders und wirkte als Kleindarsteller in Heinz Rühmanns legendärer „Feuerzangenbowle“ mit. Am Ende des Zweiten Weltkriegs geriet der Junge als Kindersoldat in amerikanische Kriegsgefangenschaft und lernte unter anderem, was fragebogened ist.Am Beginn der Neuen Zeit in Ostdeutschland studierte er an der Berliner Humboldt-Uni Deutsch und Geschichte und promovierte. In der jungen DDR wurde Scherner Neulehrer, Parteiarbeiter und Funktionär.Mit seiner Frau, der Sinologin Helga Scherner, lebte und arbeitete er mehrere Jahre als Verlagsmitarbeiter in China.Die Verwobenheit seiner Biographie in die Zeitläufte, in die deutsche und in die internationale Geschichte, prägte Scherners Denken und seine Weltsicht. Sie machte ihn zum unerschütterlichen Pazifisten. Erhard Scherner ist Lyriker, Nachdichter und Verfasser von „unerhörten Begebenheiten“, exzellenten Novellen im Goethischen Sinne. Der Autor rettete mitunter heimischen Kröten das Leben und angeblich rettete ein chinesischer Papagei das seinige…
Sven Boeck, Jahrgang 1968, ebenfalls Berliner, Dokumentarfilmer und Produzent, stieß durch einen Zufall auf die Biographie von Erhard Scherner. Was eigentlich nur als „Gespräche mit Ton“ geplant war, wuchs zum respektablen Film. Sven Boeck „gräbt“ gemeinsam mit seinem Protagonisten in Erinnerungen. Er betrachtet dessen Leben mit dem Blick der „Nachgeborenen“, die in einer anderen Zeit andere Hoffnungen und Erwartungen bewegen.
Anschließend Filmgespräch mit Erhard Scherner und Sven Boeck, Moderation: Jutta Schlott
Eintritt frei – Spenden erwünscht