Liebe sibyll,
ich bedanke mich bei Dir für die nun schon neun Jahre andauernde gute Zusammenarbeit für unseren Blog.
Besonders angenehm für mich war festzustellen, dass Du kontinuierlich über die Jahre hinweg die Entwicklung im Blog verfolgt hast und von Dir aus Texte und Fotos zur Verfügung gestellt hast. Hab Dank dafür.
Liebe sibyll, ich bedanke mich bei Dir für die nun schon neun Jahre andauernde gute Zusammenarbeit für unseren Blog. Besonders angenehm für mich war festzustellen, dass Du kontinuierlich über die Jahre hinweg die Entwicklung im Blog verfolgt hast und von Dir aus Texte und Fotos zur Verfügung gestellt hast. Hab Dank dafür. Die Hervorhebung Deiner Beiträge sind eine Hommage an Dich, verbunden mit allen guten Wünschen für Dein persönliches Wohlergehen.
Liane Fehler Onlineredaktion
Im Slider (ganz oben im Blog) werden in den nächsten Tagen Beiträge von sibyll maschler präsentiert. Nicht nur Texte sondern auch viele Fotos von sibyll maschler sind in den letzten Jahren in unserem Blog veröffentlicht worden.
Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten
Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause
Akt.
Sie verlässt das Haus. Mit Glas im Gepäck. Und einem Grund. Oder mehreren. Oder grundlos. Wer weiß. Sie geht. Es wird gesagt: Kein leichter Spaziergang. Aus dem Garten. Fort. Längst. Mit dem Vorhaben weit. Für immer. Vielleicht. Sie geht demonstrieren. Gegen ihre Familie. Oder für eine Kleingruppe. Aus Protest. Für eine Auszeit. Sie sieht sich. Im Fensterglas. Denken. Andenken. Nachdenken. Ansehen. Nachsehen. Von Westen nach Osten. Und zurück. Ein Hin und Her. Über Konkurrenz. Nach und Teilen. Sie will. Ihren Körper spüren. Wege ausprobieren. Wälder, Kreuzungen, Ländereien begehen. Bergan, bergab, erlaufen. Ausdauernd. Hauptsache fort. Vor wem? Von Zuhause? Und was es mal war.
Sie geht weit. Unbedarft. Prüft nicht, wie weit sie geht. Was kann sie zumuten? Sich? Anderen? Sie geht weiter. Sie greift ein. Ohne Grübeln. Handelt ohne Vordenken. Sie nimmt ein Glas. Es ist von ihr. Er hat es ins Haus gebracht. Nun hat sie das Glas. Sie wirft Glas. Mit Macht. Und Genugtuung. Fort. Splitter. Auf der anderen Seite. Eine Lache. Die saubere Hand. Nun blutet sie. Sie ist weit gegangen. Das Glas ist nun fort. Sie ist da. Erst jetzt, spät, sehr spät, hält sie inne. Es dunkelt. Ringsum. Furcht. Der Körper trägt nicht mehr. Sie ist allein. Hier und zu Hause auch.
Akt
Sie denkt. Ich brauche Hilfe. Wer gehört zur Familie? Noch. Sie gehört dazu. Nun. Sie ruft. An einen Sohn. Anrufung. Wen ruft sie? Einen Mann. Ist es ihr Mann? Er war es sicher. Gegenwärtig vermutlich. In seinem Zimmer. Telefonate. Seit Monaten. Zu oft. Trotz ihres Verbotes. Ist er unterwegs. Im Netz und werkt. Er ist nicht da. Und dort. Kopfkino. Anklage. Am Telefon. Der Körper ist erschöpft. Er sagt. Ich will Hilfe. Sie auch.
Akt
Sie fragt. Sich. Bleibt er? Aus Verantwortung. Er hat Kraft. Neu. Er ist schmal. Und gräbt im Sand. Im Garten. Ein Loch. Nach Wasser. Es ist tief. Sie lässt ihn. Graben. Im Erdreich. Steckt er fest. Vielleicht.
Sie dort. Im Osten. Darf es nicht wissen. Dass er nach Wasser gräbt. Sie soll ihn nicht sehen. Nicht berühren. Sie darf ihm nicht helfen. Beim Ausgraben. Schöpfen. Baggern. An Ufern.
Nach den Wochenenden. Fragen. Wie viel Liebe hat er? Bei Ihr? Er hat viel. Mit. Gefühl. Mit Leid. Er ist groß. Und hat mehr. Als schöne Augen. Der Blickwinkel ist fraglich. Die Position offen.
Akt
Sie setzt sich. In der Ferne. Auseinander. Und zu ihnen. In den Westen. Diese Familie. Wer ist sie. Diese Frau. Nicht gläsern. Und er? Wen wird er schützen? Grüßen. Was hat das. Mit ihr zu tun. Was wird es machen? Mit ihr? Wenn diese Frau zu weit geht. Was dann?
Es war bewölkt, etwas
frisch, im März am Meer. Die See schwappte ruhig ans Ufer. Marias
Urlaub ging zu Ende. Nun bildete ein Klassentreffen den Abschluss.
Maria hatte noch einmal den Kragen ihres flauschigen Wollmantels hoch
geschlagen, die fröstelnden Hände in den Taschen vergraben und ging
mit einer etwa zehnköpfige Gruppe am Strand spazieren. Im Wasser
waren weder Algen noch Quallen sichtbar, aber am Ufer viele Steine.
Man konnte jedoch mühelos darüber hinweg gehen. Keine Klippen, kein
aufgetürmtes Gestein, über das man vielleicht hinweg klettern
musste, sondern überwiegend schöner Sandstrand. Die größten
Steine waren etwa faustgroß. Werner erzählte bereits eine ganze
Weile mit seiner Weggefährtin und fragte schließlich etwas lauter
in die Runde: „Wisst ihr eigentlich, dass man Hühnergötter nicht
verschenken soll?“ Jemand verneinte unmittelbar und schien damit
die Antwort für alle gegeben zu haben. Während sich so etwas wie
Nachdenklichkeit ausbreitete, verringerte sich die
Schrittgeschwindigkeit der Gruppe. Eine Frau fragte: „Warum sollte
man die Hühnergötter denn nicht verschenken? Gestern habe ich
nämlich so viele gehabt, dass ich unserer Erzieherin zwei Hände
voll von meinen abgab, schließlich wusste ich, dass sie welche für
ihre Schützlinge suchte.“ „Abgeben ist ja auch gut und
richtig.“, erwiderte Werner. „Aber verschenken sollte wir sie
nicht. Wer kann sich schon leisten, gefundenes Glück einfach mal so
zu verschenken?!“ Da erhoben sich Raunen und Lachen und alle hatten
verstanden. Bevor sich wieder Gespräche entwickeln konnten, rief
Adam mit fröhlicher Stimme in die Runde: „Lasst uns ein Spiel
spielen! Steine werfen. Wir beginnen, indem sich jeder von uns
zunächst einen hässlichen und einen hübschen Stein sucht. Los
geht’s!“
Maria ging sogleich in
die Hocke und begann sich umzuschauen. Den hässlichen Stein hatte
sie schnell gefunden. Sie hob einen auf, der ihrer Meinung nach
nichts am Strand zu suchen hatte. Denn er war aus Beton; unförmig
abgebrochen, scharfkantig, von grober Körnung und langweilig
graubrauner Farbe. Diesen Klotz konnte Maria gerade noch mit einer
Hand greifen. Sie nahm ihn in die linke Hand und glitt sogleich mit
der rechten über die umliegenden. Es wurde schwieriger. Die Auswahl
an hübschen Steinen war sehr groß. Nach welchen Kriterien sollte
sie eigentlich suchen? War eine angenehme Form wichtiger als die
Farbgebung? Wie sollte sich ein schöner Stein anfühlen, sich in die
Hand einschmiegen? Würde sie auf die Schnelle sogar einen Hühnergott
finden? Doch diesen Gedanken verwarf sie besser gleich wieder. Ein
Loch sollte ihr schöner Stein nun gerade nicht haben. Die Wahl fiel
ihr wirklich schwer. Keiner der Gruppe nutzte einen anderen Stein, um
damit nach tiefer gelegenen Steinen zu graben, außer Maria.
Letztlich entschied sie sich für einen Stein, der angenehm in ihrer
Hand lag, weder kreisrund noch ganz flach war, sondern eiförmig und
etwa daumendick. Ebenmäßig, ja, er war ebenmäßig. Es schien, als
bestünde er ziemlich genau aus einer sandfarbenen und einer
rötlichen Hälfte. Marias Stein fühlte sich sowohl schlicht als
auch edel an, wie ein wohliger Handschmeichler. Nun, dieser sollte
jetzt tatsächlich für diesen Moment der ihre sein. Gerade als Maria
ihn aufgenommen hatte, sagte Adam, „Jetzt legt ihr sinnbildlich all
das, was ihr loswerden wollt, schon lange abschütteln möchtet, was
euch vielleicht verletzt oder wehtut, in den hässlichen Stein hinein
und werft ihn so weit wie möglich ins Meer. In den anderen Stein
wünscht ihr alles Schöne und Gute.“
Maria fand diese Idee
super. Sie stand unmittelbar auf und sprang auf der Stelle, laut
juchzend in die Luft. Dieser Glücksseufzer war so übermütig und
ansteckend, dass alle lachen mussten.
Maria wusste sofort, was
sie in den hässlichen Betonklotz randvoll, ach, übervoll
metaphorisch hineindenken und –fühlen wollte. Den Schmerz aus der
Kindheit, Scham über die Wahl des Kindesvaters, die Furcht vor der
Einsamkeit im Alter, ihr heilloses Streben nach Unabhängigkeit. Ach,
da gab es eine Menge an Unrat.
Und etwas Schönes hatte
sie ja gerade erlebt. Da gab es in den vergangenen drei Wochen eine
neue Bekanntschaft. Deshalb war gerade ein Jubel in Maria, welcher
erstaunlich rasch an Bedeutung gewonnen hatte. Sie wollte ihn dennoch
dem Meer, im Tausch gegen ihre Lasten, übergeben. Die Freude würde
ein würdiges Gegengewicht zu dem Schweren darstellen. Vielleicht war
es sogar schon ein lieblicher Tanz, ein beginnendes Fest, zumindest
bei ihr. Wahrscheinlich würde die Hergabe mehr einem Opfer gleichen
als einer Übergabe an das Meer.
Leider war ihre
Bekanntschaft bereits wieder abgereist. Sie hatte ihn gebeten, alles
mitzunehmen, was zwischen ihnen begonnen hatte. Dabei versuchte sie
sich glauben zu machen, dass es ihr einerlei sei, ob er es hüten
würde oder nicht. Hauptsache, er würde es forttragen, mitnehmen,
weg von ihr. Doch entweder hatte sie sich nicht klar genug
ausgedrückt oder er hatte gemogelt. Denn Marias Zuneigung war seit
dem keinesfalls weniger geworden. Vielmehr spürte sie noch deutlich
die Schwingungen ihrer Begegnung. Bisher trug sie dies kleine Glück
noch bei sich, hatte es ihm wohl auch nicht vollends mitgeben können,
weil es schon in ihr leuchtete. Seit Monaten glaubte sie, niemals
mehr das Gleichgewicht für einen weiteren Tanz zu finden, den
Schwung, die Kraft nach all den Jahren. Doch nun, mit Adams Spiel,
brauchte sie nur einmal riesen großen Schwung zu nehmen, um diesen
Anfang dem Meer zu übergeben. Glück im Tausch gegen vergangene
Schwere. Sie entschied sich tapfer, dass nun der Moment gekommen sei,
beides dem Meer zu überantworten.
Aber wahrscheinlich würde
das Werfen von Glück und Last genauso unmöglich zu sein, wie das
Glück mit jemanden fortzuschicken, es forttragen zu lassen.
Aber zunächst war dieses
grobe Etwas von Betonklotz dran. Maria legte erst einmal all ihre
Enttäuschung, vergebliches Bitten und Gebet, ihr Entsetzen über
unmenschliches Sein tief in diesem ab. Sie formulierte ihre Last
nicht präzise aus, eher knetete sie diese kräftig, in scheinbar zu
formenden Lehm symbolisch hinein. Sie positionierte den Beton in
ihrer Wurfhand. Wie erfrischend der Gedanke war, diesen Stein mit
aller Wucht ins Dunkel des Meeres zu werfen. Sie wollte ihn rasch
loswerden, mit einem Wurf weit von sich stoßen, richtig kraftvoll
schmettern. Es sollte gewaltig werden, donnernd, erschreckend.
Sogleich zog sie ihren Mantel aus, um ja gut ausholen zu können.
Dann warf sie noch rasch den Schal in den Sand, damit sie auch nicht
daran hängen bliebe, lief übertrieben weit landeinwärts, drehte
sich um und rannte zur Wasserkante zurück. Währenddessen holte sie
rücklings aus und dann aber los. Das war ein Wurf! Der saß. Als der
hässliche Stein im Wasser einschlug, war er deutlich hörbar. Ein
Erfolg, ein echter Erfolg der Versenkung. Maria stemmte ihre Hände
in die Hüfte und war zufrieden.
Erst jetzt bemerkte sie,
dass sie die anderen aus dem Blick verloren hatte. Sie waren längst
zum Aufbruch bereit. Nach einigen tiefen Atemzügen, ging sie zum
Mantel zurück. Doch wo war ihr schöner Stein? Er lag weder auf dem
Mantel oben auf noch darunter noch befand er sich in den
Seitentaschen. Maria machte ihre Hände in die Hosentaschen, doch
auch da kein Stein. Erneut tastete sie alle Eingriffe ihrer Kleidung
ab. Dann hob sie den Schal auf, doch auch dort war der schöne Stein
nicht zu finden. Die Gruppe war bereits voraus gegangen, Maria suchte
weiter. Nun hockte sie sich hin, überflog die umliegende Fläche mit
flüchtigem Blick. Dann wurde sie allmählich etwas ruhig und schaute
nun ganz sorgfältig die sie umgebenden Quadratmeter ab. Der schöne,
der sinnliche Stein war weg. Und mit ihm auch, was sie in den letzten
Wochen erlebt hatte und bereit gewesen war, dem Meer zu schenken, zu
opfern. Sie wollte doch ihre Sehnsucht loswerden, um ruhig zu werden,
wie das Meer an windstillen Tagen.
Stunden später erfuhr
sie, dass der schöne Stein gar nicht geworfen, sondern mitgenommen
werden sollte. Er durfte bewahrt werden für unbestimmte Zeit.
Maria wusste nun um ihren
guten Stein. Sie hatte ihn sorgfältig gesucht, betrachtet und
deutlich in ihren Händen gespürt. Offen blieb, ob er später noch
gefunden, geworfen oder für immer gehalten wurde oder sich das Meer
ihn wieder zurückholte.
kreideweiß edel bunt
finden sprengen behauen
manche mit Schliff zum Karat
andere aus Lehm in Form gebrannt
zum Bauen von Grund Mauern Wällen Häusern ...
kreideweiß edel bunt finden sprengen behauen manche mit Schliff zum Karat andere aus Lehm in Form gebrannt zum Bauen von Grund Mauern Wällen Häusern salzige für´s Tier vergrabene am Grab Ecksteine zum Stützen Erinnern Glauben Denkmale Stolpersteine Findlinge Monolithen im Gras sonnenwarm Felsen vom Hang stürzend bemoost algenglitschig Uferfelsenplatten kantig in Gruben Brunnen Halt gebend dem Wasser Fluss Kanal flache vom Sand überweht große Kreise ziehend an der Oberfläche Kiesel geschliffen gerundet bewegte grummelnd am Grund im Meer Steine rollen werfen fangen zum Spielen Schmücken Senken und der an meinem Hals bist du
Wer ist frei von manisch-depressiven „Eigenschaftssplittern“? Oder auch von schizoiden? Sie oder er möge diese Literaturempfehlung ungelesen überspringen. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, einen Menschen zu kennen, welcher mit dieser Krankheit seine Tage und Nächte „entert“, „sich abhanden gekommen ist“. Unter diesem Aspekt empfiehlt es sich dann doch, Bücher von Thomas Melle zu lesen. Nachdem ich mir zunächst die Neuerscheinung „Die Welt im Rücken“ gekauft hatte, las ich nach und nach die Vorgänger bis hin zum Debütroman. Eine gut gewählte Reihenfolge, denn mit dem autobiographischen Bestseller aus dem Jahr 2016, erschließen sich die Protagonisten in den vorangegangenen Romanen umso besser. So ist es sicher kein Zufall, dass die Namen der zwei hauptsächlich agierenden Personen, Thorsten und Magnus, in „Sichster“ graphematisch sehr dicht am Namen des Autors sind. Thomas und Thorsten werden beide mit >Th< geschrieben. Magnus, zweisilbig, mit dem gleichen Initial des Nachnamens Melle.
Die Literatur ist schmerzhaft scharfgestellt, erscheint mir wie ein metallisches, gnadenloses Schlaglicht. Manches wirkt überspitzt, wie z.B. „Meine Kindheit trägt die Farbe des Wortes Hämatom.“, „In der Phase der Minussymptomatik… bis mich ein Wutanfall wieder freisprengte“ oder „Der Tag begann mit einer Verneinung und endete mit einer Kapitulation“. Lange Passagen führen immer tiefer in diese fließende, gleitende Dunkelheit hinab. Aber inzwischen glaube ich, dass da gar nichts überspitzt wurde, sondern die Schilderungen durchlebt wurden und immer noch permanent in anderen Farben irrlichtern. Außerdem funkeln unendlich viele, einzigartige Bilder: „Die Zunge fühlt sich wie ein Schneckenmutant aus Gummibärchen an“, „Ich hörte das Sausen der Ringe des Saturns“, „Lebenskomplexe …Ganze Maisfelder wollen da noch zu Popkornwälder aufspringen.“ Und es prasseln Vergleiche. „Die Psychiatrie ist ein Sammelsurium von Fehlexemplaren“, „Baukräne wie große futuristische Heuschrecken, Bauarbeiter wie Playmobilfiguren im Sand.“
„3000 Euro“ ist ein Roman über die „Stadtschattengewächse“ Anton und Denise. Schon durch die ersten 3 Sätze fühlet ich mich sofort ertappt: „Da ist ein Mensch drin, auch wenn es nicht so scheint. Unter den Flicken und Fetzen bewegt sich nichts. Die Passanten gehen an dem Haufen vorbei, als wäre er nicht da.“ Aber es wächst zunehmend Empathie für die „am Rande. Oder schon über den Rand hinaus. Die, die ferner liefen.“ „300 Euro“ las ich vergleichsweise zügig und schaue die „unterschatteten Augen“ nun mit anderen.
Thomas Melles Debüt „Raumforderung“ besteht aus Erzählungen und bezeugt bereits die ganze expansive Sprachkraft des Autors.
Meine Empfehlung beruht auf dem Wunsch, dass wir einander wahr-nehmen: In der Realität, Spiritualität, Literatur oder wo auch immer.
Die Zeit schneiden
mit der Schere
hörbar
wie ein Metronom
im Gleichschritt
Stiefel der Soldaten
auf dem Asphalt
scharf und kantig
der Widerhall
des Spechtschnabels am Baum
Mit der Zeit schneiden
die Kinder Löcher
in Zeitungen und Hosen
steigen Seifenblasen fallen
schimmern zwei Atemzüge lang
wie durchgeschnitten halb
in der Pfütze noch
Die Zeit schneidet
messerscharf
Falten in Haut Hirn und Hut
und Hoffnung wie
die Zeit schneiden
Schnittig
Die Zeit schneiden
mit der Schere
hörbar
wie ein Metronom
im Gleichschritt
Stiefel der Soldaten
auf dem Asphalt
scharf und kantig
der Widerhall
des Spechtschnabels am Baum
Mit der Zeit schneiden
die Kinder Löcher
in Zeitungen und Hosen
steigen Seifenblasen fallen
schimmern zwei Atemzüge lang
wie durchgeschnitten halb
in der Pfütze noch
Die Zeit schneidet
messerscharf
Falten in Haut Hirn und Hut
und Hoffnung wie
die Zeit schneiden
Für B.
Wir wollten Blumen pflücken
streuen in Gärten und von lichten Brücken
auch in Gassen Gossen und Tunneln
atmen wachsen
und scheinen
Unmögliches
voneinander zu verlangen ...
Wir wollten Blumen pflücken
streuen in Gärten und von lichten Brücken
auch in Gassen Gossen und Tunneln
atmen wachsen
und scheinen
Unmögliches
voneinander zu verlangen
Du bist nicht ganz
zerrissen
zitierst Kleist
>was brauchen wir, als nur uns selbst<
und dennoch
suchtest du
mich
Worauf gründest du dich
wenn du glaubst
ich sei stark genug
dir beizustehen
in deinem splitternden Schmerz
Warum wähltest du mich
diese Schwere mit dir zu teilen
schon jetzt
zerschelle ich an dir
Wie einander bloß halten
Blickwinkel
Es war in einem großen, verwilderten Park mit alten, knorrigen Bäumen. Auf der einen Seite grenzte dieser Park an einen Fluss, auf der anderen Seite stand ein Turm aus Backsteinziegeln auf einer seichten Anhöhe. Ein Mann, mit ...
Es war in einem großen, verwilderten Park mit alten, knorrigen Bäumen. Auf der einen Seite grenzte dieser Park an einen Fluss, auf der anderen Seite stand ein Turm aus Backsteinziegeln auf einer seichten Anhöhe. Ein Mann, mit mehrsilbigem Namen, ging dort häufig spazieren. Im Sommer lief er lange über die kniehohen Wiesen und die unebenen, erdigen Wege, lehnte an den Bäumen, sah in den hohen Himmel oder saß auf einer Bank. Wenn er saß, dann war er ganz rund, das Kinn Richtung Brustbein gebeugt, als wolle er sein Haupt senken zum Herzen hin. Wie zu einer Kugel gerundet, in den Händen ein Buch haltend oder einen Gegenstand, den er zwischen den Fingern bewegte, war sie ihm irgendwann aufgefallen. Sie kam selten in den Park, aber wenn sie kam, war sie fast durchsichtig. Und sie kam so still, dass er, ob der Stille, die vorüberschwebte, den Kopf hob. Meistens war ihr Haar ein wenig zerzaust, umspielte ein schlichtes Kleid ihren Körper bis hin zu den Knien. Ihre flachen Schuhe hinterließen kaum einen Abdruck im Boden. Sie schien so leicht zu sein. Eines Tages nahm er einen alten Bildband mit in den Park. Die Seiten waren schon etwas vergilbt und fühlten sich ein wenig rau an. Auf dem braunen Leineneinband prangten die leicht verschnörkelten Buchstaben >Schönes Italien<. Als das Buch offen auf seinem Schoß lag und er die Seiten gemächlich umblätterte, sprach er sie, als sie langsam vorüberging, leise an. Er wollte ihr die Bilder aus dem Buch gern zeigen und all die schönen Landschaften mit ihr teilen. So kamen sie über diese An- und Aussichten und gleichsam über die offene, klangvolle italienische Sprache ins Gespräch. Sie erzählte ihm von ihren Reisen nach Rom und Venedig, von den vollen Gassen und Plätzen, weshalb sie die weiten, teilweise noch urbanen Landstriche von Kalabrien und Sizilien noch viel schöner fände. Sie berichtete von der Fülle im Norden und der heilsamen Kargheit des Südens. Ach, und erst diese Oliven- und Zitronenbäume dort, die Schattierungen der Farben und die Gerüche der Früchte! Sie kam ins Schwärmen. Nach etwa einer Stunde brachen sie dann aber auf und verabredeten sich für ein nächstes Mal. Als sie sich schon ein paar Meter voneinander entfernt hatten, rief er ihr nach, dass er frisches, vielleicht noch lauwarmes Baguette mitbringen würde. Und sie entgegnete ihm rasch, dass sie Pesto aus Basilikum und angerösteten Nüssen dazu anrichten wolle. Bei jenem folgenden, kleinen Picknick auf der Bank, sprachen sie über ihre Namen. Den ihren konnte man ab der Hälfte auch rückwärts lesen, ohne eine Klangveränderung zu hören. Ihr Name bestand aus drei Silben und enthielt zwei Konsonantendoppelungen. Annabell. Seit jeher fühlte sie sich wohl, wenn sie so genannt oder gerufen wurde. Annabell war weder zu häufig hörbar noch zu selten, als dass man den Namen bei etwaigen Nennungen wiederholen oder gar buchstabieren musste. Auch sein Name bestand aus drei Silben, aber dafür hatte er selbst gesorgt. Die ursprüngliche Fassung war um eine Silbe länger gewesen, doch diese entsprach ihm nicht, nicht seinem Rhythmus- und Wohlgefühl. Außerdem sprach er mit sehr hohem Tempo, so dass ihn die Länge des Namens hinderte, wenn er angesprochen wurde oder die Buchstabenfolge selbst notierten musste. Auch nach dem Tag, an welchem sie über ihre Namen gesprochen hatten, verabredeten sie sich für weitere Begegnungen im Park. Die Wiese war zu dieser Zeit saftig und in das Grün hatten sich Löwenzahn, Margeriten und lilafarbenen Winden gemischt. Einmal brachte er einen Bumerang mit und zeigt ihr, wie dieser zu werfen sei. Man musste einen bestimmten Winkel beachten, damit der Bumerang auch wieder zum gewünschten Ort zurückkehrte. Außerdem waren viel Kraft und Schwung von Nöten. Er veränderte immer wieder Blicke und Winkel, bevor er zum Wurf ansetzte. Für sie war es schwierig, den Bumerang entsprechend zu werfen. Es schien ihr, als wolle er ihre Blicke all zu sehr lenken, nicht nur zum Himmel und auf Erden. So kam es, dass ihr die Würfe in die Ferne gelangen, aber die Rückkehr nur selten. Es folgte die Zeit, als sie sich auch manchmal zur Nacht dort verabredeten. Der Sommer war vergangen und die Blätterfärbung längst vorüber. Viele Bäume waren kahl und die Büsche durchlässig geworden. Sie liebten es, wenn sie durch das hohe Laub schlurften und die braunen Blätter dabei empor stoben. Da brachte er eine Fackel mit, um die Dunkelheit zu befeuern und ihr Antlitz in anderem Schein zu sehen. Sie gingen damit bis zum entlegenen Fluss und dann wieder zurück, entlang der Anhöhe, auf die große Wiese. Nachts nannte er sie Bella oder Anna, je nach Stimmung, die ihm gerade entsprach. Ganz selten, wenn er glaubte, dass sie ihn nicht mehr hören konnte, sprach er die Silben leise vor sich hin: Bella Anna; und erinnerte sich an ihr erstes Gespräch. Als der Mond zur Sichel geformt war, brachte er seinen Bumerang wieder mit. Sie hatten lange nicht damit geworfen. Annabell fehlte noch immer die Übung, wie der Winkel besser gelänge. Sie schaute ihm lieber zu, mochte aus der Distanz von ihm das Werfen lernen. Beide machten sich einen Spaß daraus, nach dem ins Laub gefallenen Bumerang um die Wette zu laufen. Vielleicht waren zwei oder gar drei ausgelassene Stunden vergangen, in denen sie gelaufen, gelacht und getobt hatten. Sie schienen wie Kinder und wollten sich nun wieder verabschieden, um nach Hause zu gehen. Doch er wünschte einen letzten, weiten Wurf. Es sollte, so sagte er, ein großer Wurf werden. Als sie nach dem Bumerang suchten, war Annabell schneller als er. Sie bückte sich, gab ihm rasch ihren letzten Buchstaben vom eigenen Vornamen in die Hand, und er griff, übermütig im Spiel, nach dem vermeintlichen Bumerang, nahm Maß und alle Kraft zusammen und schleuderte ihn hinauf bis zum fernen Mond. Dort verhakte sich der Winkel im Gestein des Planeten und ward nie mehr auf Erden gesehen.
Und wenn sie nicht gerade einen Schuldschein einlöste oder eine Urkunde unterschrieb, schätzte sie die verkürzte Schreibweise ihres Namens. Er hatte in ihr etwas angestoßen und abgelöst. Doch es fehlte ihr nichts, vielmehr hatte er sie von Überflüssigem befreit. So erinnerte sie sich seiner immer und immer wieder neu.
Wanderer
in den Wäldern und Fluren
sag, hast du es wiedergefunden
das Glühwürmchen
vom Sommeranfang
in all den Nächten
gelang dir
das Greifen nach deiner Dunkelheit
und diese zum Tier zu tragen
zu dem kleinen
um es zu bestärken in seinem Leuchten
gegen die Übermacht
der Sterne am Firmament
lehrte es dich
als Dank
die Morsezeichen
welche es hinauf sendet
in der Hoffnung auf Antwort
ohne zu ahnen
dass jenes ferne Funkeln
eine Supernova
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