Tag Archives: Betrachtungen und Prosa

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sibyll maschler: Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten.

Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten. Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause

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Foto: sibyll maschler


Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten.

Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten

Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause




  1. Akt.

Sie verlässt das Haus. Mit Glas im Gepäck. Und einem Grund. Oder mehreren. Oder grundlos. Wer weiß. Sie geht. Es wird gesagt: Kein leichter Spaziergang. Aus dem Garten. Fort. Längst. Mit dem Vorhaben weit. Für immer. Vielleicht. Sie geht demonstrieren. Gegen ihre Familie. Oder für eine Kleingruppe. Aus Protest. Für eine Auszeit. Sie sieht sich. Im Fensterglas. Denken. Andenken. Nachdenken. Ansehen. Nachsehen. Von Westen nach Osten. Und zurück. Ein Hin und Her. Über Konkurrenz. Nach und Teilen. Sie will. Ihren Körper spüren. Wege ausprobieren. Wälder, Kreuzungen, Ländereien begehen. Bergan, bergab, erlaufen. Ausdauernd. Hauptsache fort. Vor wem? Von Zuhause? Und was es mal war.

Sie geht weit. Unbedarft. Prüft nicht, wie weit sie geht. Was kann sie zumuten? Sich? Anderen? Sie geht weiter. Sie greift ein. Ohne Grübeln. Handelt ohne Vordenken. Sie nimmt ein Glas. Es ist von ihr. Er hat es ins Haus gebracht. Nun hat sie das Glas. Sie wirft Glas. Mit Macht. Und Genugtuung. Fort. Splitter. Auf der anderen Seite. Eine Lache. Die saubere Hand. Nun blutet sie. Sie ist weit gegangen. Das Glas ist nun fort. Sie ist da. Erst jetzt, spät, sehr spät, hält sie inne. Es dunkelt. Ringsum. Furcht. Der Körper trägt nicht mehr. Sie ist allein. Hier und zu Hause auch.

  1. Akt

Sie denkt. Ich brauche Hilfe. Wer gehört zur Familie? Noch. Sie gehört dazu. Nun. Sie ruft. An einen Sohn. Anrufung. Wen ruft sie? Einen Mann. Ist es ihr Mann? Er war es sicher. Gegenwärtig vermutlich. In seinem Zimmer. Telefonate. Seit Monaten. Zu oft. Trotz ihres Verbotes. Ist er unterwegs. Im Netz und werkt. Er ist nicht da. Und dort. Kopfkino. Anklage. Am Telefon. Der Körper ist erschöpft. Er sagt. Ich will Hilfe. Sie auch.

  1. Akt

Sie fragt. Sich. Bleibt er? Aus Verantwortung. Er hat Kraft. Neu. Er ist schmal. Und gräbt im Sand. Im Garten. Ein Loch. Nach Wasser. Es ist tief. Sie lässt ihn. Graben. Im Erdreich. Steckt er fest. Vielleicht.

Sie dort. Im Osten. Darf es nicht wissen. Dass er nach Wasser gräbt. Sie soll ihn nicht sehen. Nicht berühren. Sie darf ihm nicht helfen. Beim Ausgraben. Schöpfen. Baggern. An Ufern.

Nach den Wochenenden. Fragen. Wie viel Liebe hat er? Bei Ihr? Er hat viel. Mit. Gefühl. Mit Leid. Er ist groß. Und hat mehr. Als schöne Augen. Der Blickwinkel ist fraglich. Die Position offen.

  1. Akt

Sie setzt sich. In der Ferne. Auseinander. Und zu ihnen. In den Westen. Diese Familie. Wer ist sie. Diese Frau. Nicht gläsern. Und er? Wen wird er schützen? Grüßen. Was hat das. Mit ihr zu tun. Was wird es machen? Mit ihr? Wenn diese Frau zu weit geht. Was dann?

sibyll maschler

Juni 2020

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Lars Steger: Collage und Montage

Autor: Lars Steger Die Literatur“; wird hier erklärt mit: „[[…] französisch „das Leimen, das Ankleben"]: aus der bildenden Kunst in den Bereich der modernen Literatur übertragene Bezeichnung 1. für die Technik der zitierenden Kombination von meist nicht zusammengehörigem vorgefertigtem sprachlichem Material; 2. für die derart entstandenen literarischen Produkte. Es werden fremde Text-Materialen für ein eigenes Ganzes genutzt – mit, gegen oder zumindest abweichend von Intentionen des Ausgangsmaterials.

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Die Literatur“; wird hier erklärt mit: „[[…] französisch „das Leimen, das Ankleben“]: aus der bildenden Kunst in den Bereich der modernen Literatur übertragene Bezeichnung 1. für die Technik der zitierenden Kombination von meist nicht zusammengehörigem vorgefertigtem sprachlichem Material; 2. für die derart entstandenen literarischen Produkte.

Es werden fremde Text-Materialen für ein eigenes Ganzes genutzt – mit, gegen oder zumindest abweichend von Intentionen des Ausgangsmaterials. Eine Gattungsänderung ist hier nicht nötig. Die Beschneidung, Erweiterung, Neuordnung, Umdeutung des Materials dagegen geradezu Konzept.
Exkurs I: Wenn dabei der Anspruch besteht einen Dialog mit dem Ursprungsmaterial einzugehen, dieser also in gewisser Weise Thema des Textes ist, scheint es mit nur umso wichtiger, dass dessen Material, soweit es im Text selbst sichtbar ist, als Vorlage erkennbar wird.

Exkurs II: Lange habe ich allerdings mit dem Beispiel Georg Büchner gerungen: Der hat seine Vorlagen auch nicht kenntlich gemacht, scheinbar schamlos abgeschrieben – beim „Lenz“ und „Dantons Tod“, bis mir aufging: Das sind nun wirklich Adaptionen – aus (Wissenschaftlichem) Tagebuch bzw. Rede-Protokollen wird literarische Fiktion.
Der Begriff „Montage“, aus der Filmtechnik übertragen auf die Literatur, bezeichnet die bewusste Zusammenfügung von sprachlich, stilistisch und auch inhaltlich unterschiedlichen Textteilen. Die Funktionen der Montage sind vielfältig: die Spannbreite reicht von der Erzielung vordergründiger Überraschungseffekte über die ästhetische Provokation (z. B. im Dadaismus) bis zum Versuch in Romanen, die verschiedenen Bereiche und Ebenen der Wirklichkeit unter sich durchsichtig und durchlässig zu machen. Die Montagetechnik findet sich in allen Gattungen der modernen Literatur, in der Lyrik (G. Benn, H. M. Enzensberger), in der Erzählprosa (A. Döblin, „Berlin Alex¬anderplatz“, Roman, 1929), im Drama (P. Weiss, „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats …“, 1964) und im Hörspiel.
Betrachtet man sich unter diesem Blick die letzten GeWa und die Angebote im Sommer-Seminar, finden sich bereits einige Beispiele für Collage bzw. Montage. Christians Texte bieten da sehr verschiedene Umgangsweisen mit den Original-Texten: Zur Essenz verknappend, Gegenentwürfe anbietend, den eigenen Text aus (mehr oder weniger vielen) Motiven entwickelnd. Lianes Vorworte fallen mir ein. Collage pur. Aber es muss auch nicht immer zitiert werden: Mein „Stillleben“ im GeWa 112 würde ich ebenfalls als Collage ansehen. Weil hier verschiedene Wirklichkeitsbereiche gegeneinander gesetzt werden. Das soll dem Leser sehr wohl bewusst werden. Fremdmaterial ist für beide Begriffe nicht Grundvoraussetzung. Eisensteins Bilder entstanden ja auch alle unter seiner Regie für den jeweiligen Film.
In der Montage dagegen scheint mir die Einheit des Gesamten, der unauffällige Übergang der Einzelteile stärker. Nichtsdestotrotz bleiben fließende Übergänge, die aber schon interessant sind, wenn es um die Wirkungsstrategie des Werkes geht.

Beide Begriffe lösen für mich auch z.gr.T. unseren Streit um die Adaption. Viele der unter dieser Aufschrift verpackten Texte können nämlich sehr wohl als Montage oder Collage gelten. Es werden fremde Text-Materialen für ein eigenes Ganzes genutzt – mit, gegen oder zumindest abweichend von Intentionen des Ausgangsmaterials. Eine Gattungsänderung ist hier nicht nötig. Die Beschneidung, Erweiterung, Neuordnung, Umdeutung des Materials dagegen geradezu Konzept.