satt liegt der abend*
so in der hängematte*
zwischen dir und mir
Das Gedicht wurde veröffentlicht in der Jubiläumsanthologie: “unDichterNebel” 2001 – 2015
(ISBN 978-3-941394-40-7 / Osiris Druck Lpz.)
satt liegt der abend*
so in der hängematte*
zwischen dir und mir
Das Gedicht wurde veröffentlicht in der Jubiläumsanthologie: “unDichterNebel” 2001 – 2015
(ISBN 978-3-941394-40-7 / Osiris Druck Lpz.)
Foto: Andreas Schrock
Der Kaktus auf dem Beet war alt. Er hatte schon viele Trockenzeiten erlebt. Aber heute fühlte er sich jung. Viel jünger als die Tulpen neben ihm, die sich im Winter schnöde verkrochen hatten und nun frech ihre Köpfe der Sonne entgegenstreckten. Die jungen Dinger ignorierten ihn, so wie jedes Jahr, aber ein bisschen Respekt vor dem Alter täte der Ordnung auf dem Beet wahrhaftig gut!
Der Kaktus auf dem Beet war blind. Aber heute sah er, was um ihn herum passierte. Die Tulpen nebenan hatten ihre Blütenblätter geöffnet, rot und gelb. Bienen summten darin, putzten sich, schleckten und neckten ihn, den blinden Kaktus, mit ihrem Hinterteil. Jedenfalls nahm er das an, denn die Bienen schafften es nie, auf ihm, dem Kaktus zu landen.
Der Kaktus auf dem Beet war taub. Aber heute hörte er, was um ihn herum passierte. Am frühen Morgen hatten sich die Blüten mit einem Knall geöffnet, soviel Kraft steckte in ihnen. Die Bienen summten fein, dazwischen brummte es, wahrscheinlich Hornissen oder Hummeln. Die Wespen klangen leise und bös’, sie zischelten in einem fort. Und ihm schien, als machten sie sich über ihn lustig.
Der Kaktus auf dem Beet war stumm. Aber heute jubelte es in ihm, denn er spürte Saft durch seine Kapillaren steigen. Der Saft stieg nur langsam, aber er füllte ihn aus und machte ihn trunken vor Freude. Gern hätte er seine Freude geteilt, aber so kräftig er auch jubelte, niemand hörte ihn.
Da beschloss der alte, blinde, taube und stumme Kaktus, die Freude nicht zu teilen, sondern sich ihr allein mit jeder Zelle hinzugeben. Für reichlich Saft in den Kapillaren war gesorgt. Und Umfallen vor lauter Trunkenheit konnte er auch nicht. Obwohl, wenn er es so recht bedachte, wäre er schon gern eine Kugelkaktus.
Und mit der Sonne stieg auch der Saft in den Kapillaren. Und die Vorstellung, er sei ein Kugelkaktus, erfüllte ihn immer stärker. Ein Kugelkaktus mit Luftwurzel! Und am Abend dieses Frühlingstages war nichts passiert. Aber der Kaktus war erschöpft und dankbar. Den ganzen Tag war er als Kugelkaktus durch die Beete gerollt und nun hatte er wirklich Ruhe nötig.
Andreas Schrock, Senftenberg, Mai 2013
wenn der schnee schmilzt
steigt der elbpegel, aber das
hat eigentlich noch nie
einen interessiert.
in den kellergewölben
tanzen wir bis
das licht ausfällt.
das frühstück mit dir
ist wie`s abendbrot. du
bist hellwach, immergleich,
deine hände brötchenwarm.
es regnet lindenblüten,
aber es ist ohne bedeutung.
ich lauf durch die straßen
und bin immer schon da.
komm, wir feiern abschied.
trinken sekt, hören kurzwelle
und knoten ein taschentuch
an die antenne.
*
*
Foto: Andreas Schrock, Litauen, September 1999
das dach hängt
schief im gemäuer
ein hund springt mich an
meine seele ist dran
flacher wind treibt
tränen ins gesicht
fernlicht blendet
der fahrer hält
auf mich zu
ich spür meinen atem
rasseln
ein betrunkener radelt
die straße hinab
brummt sorglos:
heim, nur heim
tür zu hund raus
blinder fleck
Andreas Schrock, Rakow
*
*
Was wäre, wenn der Einstieg in eine Geschichte auf dieser Treppe beginnen würde…? Liane
In unserem Sommerseminar in Bad Sonnenland gab es viele eindrückliche Erlebnisse. Und sicher hat jeder sein eigenes mit nach Hause genommen und vielleicht auch zu Papier gebracht. Zwei meiner Erlebnisse vermischen sich nachträglich im Kopf: zum einen den Vortrag von Gerhard zum Thema „Sprache“, zum anderen die Gedichte von Frank, insbesondere das Gedicht „Wie geht’s dir“, nachzulesen im Gedankenwasser Nr. 110. Ich weiß nicht, warum ich so allergisch gegen den Text oder Teile des Textes reagiert habe. Es war nicht meine Absicht und doch spürte ich in mir etwas hochsteigen, eine richtige, echte, unfaire Ablehnung. Aber ich fühlte mich auch im Recht. Denn ziemlich schnell hatte ich ein Schema im Text erkannt oder zu erkennen geglaubt: so wie Frank den Text gelesen hat, kam er locker-fluffig rüber. In der Diskussion hieß es dann, dass alles genau so sei, wie es da stehe. Und gemeint, also das, was in der Diskussion ungesagt aufbrach, war genau das Gegenteil.
In zeitlicher Reihenfolge gab es also drei Ebenen. Ebene 1: Das gesprochene Wort. Der Text kam von der Stimmmelodie locker-fluffig ins Ohr. Ebene 2: Das geschriebene Wort. Daran entzündete sich die Diskussion. Die Behauptung war: genauso ist es, wir manipulieren täglich. Ebene 3: Das gemeinte Wort. Im Laufe der Diskussion bekam ich mit, dass die Sache mit der Manipulation im Grunde ein unhaltbarer Zustand ist.
Das passt nicht zusammen, die Aussagen sind gegensätzlich und die Behauptung, die „Provokation“ sei gelungen, ist, denke ich, in solchen Fällen billig. Eine „Provokation“ kann man immer alles nennen, was Diskussionen auslöst. Auch marschierende Neonazis mit Marx-Sprüchen auf dem Transparent (habe ich erlebt).
Aber ich hatte in der Diskussion noch ein weiteres Erlebnis: die Personalisierung, denn auf einmal ging es um „Manipulation in den Medien.“ Oh, was da aufbrach, was für eine berechtige Wut oder Wütigkeit. Ich war erschrocken und wollte gerade den Fehler begehen, meine Arbeit zu verteidigen bzw. zu erklären. Was brach da auf? Ilona hat das ihre benannt. Oder war ich mit meinen Bemerkungen selbst schon in die Reihe der Zyniker geraten?
II
Meine These ist immer noch, dass der Widerspruch zwischen den Ebenen den Zynismus des Textes ausmacht. Die Linien treffen sich nicht, nicht einmal im Horizont. Der Text ist keine Provokation, sondern eigentlich eine Verschleierung, eine Verharmlosung. Einen schlechten Zustand fröhlich kund tun (Ebene 1), ihn zugleich als alternativlos hinzustellen, was sonst ja Madame Merkel gerne macht (Ebene 2) und dann im Grunde wütend zu sein (Ebene 3), genau das würde ich als Zynismus bezeichnen.
Zugegeben ist das eine Vereinfachung, denn wütend war nicht der Autor, sondern andere Teilnehmer unserer Runde. Aber mir geht es auch nicht um Personen, sondern um etwas anderes. Denn erst jetzt, im Nachhinein merke ich, warum mir der ganze Text so gegen den Strich ging: weil er mich selbst betrifft, genauer die Kurzgeschichte „Frühstück zu dritt“, die einst im Gedankenwasser Nr. 4 erschien. Das Heft ist mir verloren gegangen, aber das Gedankenwasser Nr. 5 liegt vor mir und dort finde ich die Reaktionen auf den Text. Diese Reaktionen waren nicht sehr schmeichelhaft: da wurde eine große Einsamkeit des Autors entdeckt und überhaupt, so die Kritiken, lag ich mit der Grundaussage gehörig neben der Spur.
Die Grundaussage war: „Es ist zu spät.“ Sie drückte zu der Zeit, Anfang der 90er Jahre meinen Seelenzustand aus.
Immerhin hatte sich ein ganzes Gesellschaftssystem in Wohlgefallen aufgelöst, ein System, in dem es mir immer auch die öffentlichen Plätze angetan hatten. Die weiten, offenen, zugigen Plätze. Der Alexanderplatz in Berlin zum Beispiel oder der Exerzierplatz in Perleberg oder der Bahnhofsvorplatz in Dresden. Diese Plätze waren Spiegel meiner Seele, bis an den Rand der Augen. Hinzu kamen persönliche Lebensumstände, in denen ich mittendrin steckte und die ich einfach nicht verstand. Und dann sitzt die Ich-Figur mit zwei Freunden beim Frühstück und schaut ihnen zu, wie sie mit einem Lächeln ihr Ei aufklopfen und auslöffeln. Als sei nichts geschehen. „Es ist zu spät“ – locker-fluffig dahin gesagt, war für mich der rettende Satz, um diesen Widerspruch zu lösen. Dachte ich.
In Wahrheit war der Satz, so sehe ich es heute, zynisch. Denn vom Alexanderplatz oder Exerzierplatz hatte ich nichts geschrieben, auch nichts von den Rändern meiner Augen. Die Geschichte ging vielmehr mit dem Frühstück los und das Frühstück hatte aus dem Nichts etwas unheimlich Bedrohendes, ohne das es erklärt worden wäre. Dieses Bedrohende wiederum wurde so locker gelesen…ja, dass es nur zynisch sein konnte. Nein, ich wollte kein Zyniker sein. Und bestimmt war ich nicht durchweg Zyniker. Aber vielleicht gab es eine Seite in mir, einen Botenstoff zwischen zwei Synapsen, ein rätselhaftes Areal im Kopf. Woher kommt das? Woher kommt Zynismus als Haltung?
Und wie kann man denn solch einen Widerspruch, der einen fast zerreißt, ausdrücken? Mit welcher Haltung, wenn nicht mit Zynismus? Mit Empörung? Mit Trauer? Mit Glauben? Mit Liebe, die freilich auch das Leiden kennen sollte? Mit Ironie?
Wer will ich sein, wenn ich schreibe? Ein Empörter, ein Leidender, ein Mitleidender (Solidarität!), ein Liebender, ein Klagender, ein Anklagender? Oder will ich lieber ein Spötter sein?
III
Beim Zappen durch die Fernsehkanäle ist mir irgendwann mal Dieter Bohlen und seine Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ begegnet. Und mit ihm all die echten und vermeintlichen Talente, die er nicht selten hart abbürstete. Vielleicht täusche ich mich, aber könnte man an diesem Beispiel nicht den Unterschied von Ironie und Zynismus erkennen?
Ironie demaskiert, entblättert, macht den Kandidaten nackt. Ironie nimmt dem König die Kleider, macht ihn lächerlich. Ironie ist schmerzhaft, oft auch ungerecht (sie wird dem Betroffenen nicht gerecht, jedenfalls nicht seinem Selbstbild). Ironie kann Tränen erzeugen, Ironie tut weh. Aber Ironie kann auch heilen von Illusionen, von Wahn, von falschen Welt- und Selbstbildern. Der Ironiker ist ein hervorragender Enttäuscher. Er nimmt den anderen oder dessen Eigenart auf die Schippe. Im günstigen Fall nimmt sich der Ironiker selbst auf die Schippe, schafft Distanz zu eigenen Vorstellungen und bringt damit eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel, die es dem Leser meist angenehm macht, ihm zu folgen. Ironie muss geübt sein, sie ist ein schwieriges Pflaster.
Ganz anders der Zynismus. Der Gegenstand des Zynismus ist nicht die aufgeblasene Schönheit, sondern der schon verwelkte Strauß. Der Ironiker legt die Wunde frei, die so schön verborgen, der Zyniker bohrt in dieser Wunde genüsslich herum. Der Ironiker bringt Leute zu Fall, der Zyniker aber trampelt danach noch auf ihnen herum.
Der Zyniker kann auch auf seiner eigenen Seele herumtrampeln. Der zynische Schreiber ironisiert einen Zustand, der ohnehin schon schlecht ist und keiner Ironisierung mehr bedarf.
Es gibt freilich einen Übergang von Ironie zum Zynismus. Wenn Dieter Bohlen, den ich nicht leiden kann, seinen Kandidaten abkanzelt, muss er im richtigen Moment aufhören. Wenn der Kandidat am Boden liegt und Bohlen witzelt weiter, kippt die Situation von der Ironie in den Zynismus. Deshalb finde ich Ironie auch so schwer: wo höre ich auf, wenn ich erst einmal angefangen habe?
Zynismus, als gekippte Ironie, ist eine Unhaltung. Zynismus sollte es nicht geben. Wir sollten uns gegenseitig darauf aufmerksam machen. Zynismus ist nicht weit weg vom Hass, vielleicht noch die softere Variante.
IV
Ich mag Franks Gedicht. Weil es eine Idee hat und weil sich das im weiteren Sinne „Ungereimte“ gut auflösen lässt. Die Botschaft steckt ja drin im Text, sie ist nur verschüttet. Es gibt sicher mehrere Zugänge, um die Botschaft freizulegen und damit für den Leser transparent zu machen. Mein Zugang wäre der über das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun. Es ist nur ein Denkmodell, aber es hat mir schon oft geholfen, verknotete Situationen aufzudröseln. Nach diesem Modell stecken in allem, was wir sagen, mindestens vier verschiedene Ebenen: die Ich-Botschaft (Selbstoffenbarung), die Du-Botschaft (Appell), die Sachebene (Bericht) und die Beziehungsebene (Haltung).
Ich könnte mir vorstellen, dass der Text gewinnt, wenn er versucht, sich den Ebenen separat zu nähern, es vielleicht sogar bei einer einzigen Ebene belässt. Zum Beispiel könnte der Text in der Ich-Form erzählen: wie hat der Autor das Erlebe erlebt, was sind seine tatsächlichen (ursprünglichen) Gefühle? Der Text könnte aber auch auf der Sachebene bleiben: was ist da eigentlich los in der Gesellschaft, im Arbeitsalltag, im Familienleben? Vielleicht würde aus dem Gedicht ein Prosatext werden: ein kritischer Bericht oder ein Essay oder eine Geschichte mit fiktionalen Elementen, die dem Erzähler ja immer eine große Freiheit schenkt! Die Übersicht von Gerhard listet ja viele, ganz interessante Möglichkeiten auf. Vielleicht gerät der Text aber auch auf die Appell-Ebene (Du-Botschaften): das ist nicht so gern gesehen, weil von Moralsprüchen alle die Nase voll haben, aber warum sollte man ein modernes Agit-Prop-Stück nicht versuchen? Hat nicht auch Gerhard „Agitation“ als legitimes „Wozu“ des Sprechens gekennzeichnet? Oder man schreibt den Text weiter, über die Klammer „Wie geht’s dir….und dir“ hinaus. Das lyrische Ich kann weiter fragen und in diesen Fragen Du-Botschaften transportieren. Natürlich könnte auch das „lyrische Du“ antworten. Manchmal werden gute Texte mit der Zeit auch länger. Schließlich, als vierte Ebene, die Beziehungsebene. Sie fällt mir immer am schwersten, weil sie am meisten beinhaltet. Ja, ich finde Beziehungsebenen in der Regel richtig anstrengend, obwohl ich ihrer selbst sehr bedarf. Aber vielleicht entsteht so eine Ebene von selbst, wenn man die anderen für sich untersucht? Eine transparente (nachvollziehbare) Haltung zu etwas finden ist etwas Großartiges, was einem nicht jeden Tag passiert. Eine Meinung hat jeder, aber eine Haltung ist ja mehr. Sie beinhaltet ja auch die Sicht des Gegenübers, sie hat auch mit Perspektivwechsel zu tun.
V
Meinen missglückten Text „Frühstück zu dritt“ habe ich später zu dem Text „Wir waren dreißig“ umgearbeitet. Ich habe die Geschichte in drei Varianten aufgedröselt: wie hätte sich die Geschichte im Fall a, b oder c entwickelt? Aus Gründen der Praktikabilität (Lars und ich wollten den Text in einer Lesung bringen) habe ich die drei Varianten wieder auf zwei gekürzt. Das „Es ist zu spät“ habe ich drin gelassen, aber sparsamer und ich habe den Satz verlängert, versucht zu erklären, warum es zu spät ist oder zu sagen, dass es zumindest für diese Stunde zu spät war. Das ist nicht so planvoll geschehen, wie es hier aussieht. Es ist mir passiert, ich hatte es nicht im Griff.
In Bad Sonnenland war es jedenfalls nicht zu spät für eine mitternächtliche, konzentrierte Textarbeit. Die Runde sprach von „Manipulation“, mein Stichwort war dagegen „Verantwortung“. Das musste schief gehen. Die Medien manipulieren und dann sagt da einer aus der Gilde, er würde eher von Verantwortung reden! Ja, das war zynisch, auch wenn es nicht so gemeint war. Aber ich war auf einen Begriff aufgesprungen, der nicht gut tat, weil er die Komplexität des Vorganges nicht erfasst und im Grunde nur die blanke Zustimmung erlaubt.
Vielleicht finden sich andere Begriffe, andere Worte, vielleicht sogar poetische? Gern verbünde ich mich mit dem Autoren in seinem Anliegen. Lass uns Lösungen suchen und finden.
Andreas Schrock, Herbst 2012
*
*
zwei mädchen warteten auf den steuermann
der aber wußte nicht, daß er steuern kann
ein andrer kam und bot sich an
sie schickten ihn fort, den falschen mann
die mädchen warteten, froren und summten
das lied vom steuermann dem lumpen
der steuermann betrank sich
der andre mann erhang sich
die mädchen gingen langsam heim:
der morgige tag würde schöner sein
*
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(Veröffentlicht in : “Zwischen den Zeiten 1990-2000″ (Anth.); hrsg. von Eitel Kunst e.V., Peter-Segler-Verlag, 2003, 2. Aufl., ISBN 978-3-931445-07-2)