wenn der schnee schmilzt
steigt der elbpegel, aber das
hat eigentlich noch nie
einen interessiert.
in den kellergewölben
tanzen wir bis
das licht ausfällt.
das frühstück mit dir
ist wie`s abendbrot. du
bist hellwach, immergleich,
deine hände brötchenwarm.
es regnet lindenblüten,
aber es ist ohne bedeutung.
ich lauf durch die straßen
und bin immer schon da.
komm, wir feiern abschied.
trinken sekt, hören kurzwelle
und knoten ein taschentuch
an die antenne.
Ihr Lieben, na, das hätte ich ja nicht gedacht, dass mein kleiner, uralter Text so eine Diskussion auslöst. Aber ich glaube, irgendwie hat jeder auf seine Weise Recht… Ich denke, die Sache hat tatsächlich etwas mit Bedeutungshöfen zu tun. Wenn dat‘ Taschentuch bestimmte Bedeutungshöfe hat, kann man die als Dichter nicht einfach ignorieren. Die Frage, die mich deshalb zunächst beschäftigt: Ist ein Bedeutungshof das gleiche wie eine Konnatation?
Mein Beitrag zur Taschentuchdiskussion: Das Taschentuch als „weiße Fahne“; frei nach „ich gebe auf“ – das würde zur melancholischen Grundstimmung des Gedichts passen. Wer hat heute schon eine weiße Fahne dabei. Ein Taschentuch wohl eher.
Die „Kurzwelle“ könnte „Vergangenheit“ symbolisieren; das passt zum buchstäblichen „Untergang“ aus der ersten Strophe… dann würde auch der „Abschied“ hineinpassen… Abschied wovon? Von der „immer Gleichen“ mit den brötchenwarmen (tolle Wortschöpfung!) Händen?
Besonders gut gefällt mir „ich laufe durch die Straßen und bin immer schon da“. Das ist so schön paradox, aber das Gefühl kenne ich auch.
Kein Feuer, keine Kohle Kann brennen so heiß, |: Als heimlich stille Liebe Von der niemand nichts weiß.
DonnerDoria
Ich kenne noch Radios und Radiorekorder mit Kassettendeck, mit denen ich in meiner Jugendzeit herumgezogen bin und das war schon nach der Hippiezeit. Das Taschentuch anzuknoten ist eine schöne Idee und hätte aus der Betrachtung nach Bedeutungshöfen einiges zu bieten. Die Zeile „deine Hände brötchenwarm“ finde ich, da sie in der gleichen Strophe steht, wie das Frühstück mit dem lyrischen Du passend und käme nie auf die Idee, in diesem Zusammenhang die Formulierung „brühend heiß“ auch nur in Erwägung zu ziehen.
Ich stelle fest, es ist offenbar mehr als eine Gedankenkette möglich. Aber der Dichter hat sein Werk der Welt übergeben.
Die Gedankenketten der Leser kann er wohl nur staunend zur Kenntnis nehmen.
Die Gedankenkette könnte sein: Kurzwelle (60er Jahre), Radio Luxemburg (Pop), ergo Hippies. Das Taschentuch passt nicht rein – und deshalb ist es die poetischste aller poetischen Ideen. Ein Tempo, das in die heutige Zeit passt, könnte man wiederum schlecht knoten.
Dagegen die brötchenwarmen Hände, das stört ein wenig, wie wäre es mit brühend heiß, um das nicht mehr zum Bedeutungshof gehörige brühwarm zu vermeiden?
Lieber Ideensucher I, hier ist Ideensucher II. Vielleicht ist das so ähnlich, wie mit den weißen Bettlaken, die 1991 aus den Fenstern hingen. Da würde eine historische Einordnung wahrscheinlich auch nicht leicht fallen und man würde eher weitere 46 Jahre zurück denken. Hm…
Na ja, ich würde sagen: die Frage ist, ob das Taschenbuch an der Antenne glaubhaft ist. Und wie man auf eine Einordnung in die Hippiezeit kommt… vielleicht irritiert das Taschentuch auch einfach…oder doch nicht? Schwierige Frage, die Ideensucher I da aufgeworfen hat!
Die meisten Radios haben ja nun keine Kurzwelle mehr, die poetische Idee empfangen aus einer Zeit des Radio Luxemburg, Aber hätten die Hippies tatsächlich die poetische Idee, also das Taschentuch, parat gehabt?