Categotry Archives: Thema

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Jennifer Müller: Der Kaktus im Blumenbeet

Er starrt. Er starrt zu Boden, weil es ihm unangenehm, ist die Blumen anzustarren, die sich überall um ihn herum in der Sonne räkeln mit ihren makellosen bunten Blüten und schlanken Sprossen. Es ist ihm unangenehm, in ihrer Mitte zu stehen und sich darüber bewusst zu sein, dass er stachelig ist. Es scheint manchmal, als ob die schönen Blumen ihn meiden wegen seiner Stacheln. Das stört ihn, doch er kann sie ja nicht abschneiden. Er kann

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Er starrt.

Er starrt zu Boden, weil es ihm unangenehm, ist die Blumen anzustarren, die sich überall um ihn herum in der Sonne räkeln mit ihren makellosen bunten Blüten und schlanken  Sprossen. Es ist ihm unangenehm, in ihrer Mitte zu stehen und sich darüber bewusst zu sein, dass er stachelig ist. Es scheint manchmal, als ob die schönen Blumen ihn meiden wegen seiner Stacheln. Das stört ihn,

doch er kann sie ja nicht abschneiden. Er kann nicht so zart und schön sein wie die Blumen. Wie sähe das denn auch aus, ein blumgewordener Kaktus. Nein, er starrt den Boden an. Den braunen, langweiligen Boden, der allerlei Krimskrams beherbergt. Er hätte ja auch eine Ameise sein können. Dann hätte er wenigstens die Möglichkeit davon zu laufen, andere Kakteen zu suchen, die genauso stachelig sind wie er selbst, die genauso starren, um die Abneigung und zugleich makellose Schönheit der Blumen nicht sehen zu müssen. Genau genommen hätte er sich mit einem zweiten Kaktus doch sehr viel wohler gefühlt. Dann hätte es ihm egal sein können wenn die Bienen kommen, wie sie es immer tun, wenn er starrt. Dann kommen die Bienen und halten ihm das vor Augen, was ihn so stört. Die fliegen von Blume zu Blume und daran scheint auch gar nichts falsch zu sein. Bienen und Blumen sind ja glücklich. Da hat keiner Stacheln und da starrt auch niemand. Nein, der Kaktus fühlt sich deplatziert. Wenn es einen Gott gäbe, so sagt er sich, hätte ihn dieser doch nie inmitten eines Blumenbeets gepflanzt. Zumindest hätte Gott ihn ja dann zu einer Blume machen können.

Er starrt.

Er starrt den Himmel an, weil es ihn beschäftigt, ob da oben jemand sitzt und sich denkt: „Das hast du gut gemacht, ist ein schönes Bild. Ein Kaktus inmitten eines Blumenbeets.“

Tief in seinem Innern spürt der Kaktus ein Herz schlagen.

Ein kleines Herz, das schwer und müde ist vom ständigen Versuchen, groß und stark zu sein um eines Tages die ganze Welt umarmen zu können.

Das Wasser bahnt sich weiterhin den Weg durch seine Wurzeln, und Tag für Tag tankt er sich voll mit Sonne. Und ab und zu, wenn er sich einen Augenblick Zeit nimmt, versucht er in den Wolken Bilder zu sehen und gibt sich seinen Träumen hin, in denen Blumen und Kakteen in einer wundervollen Symbiose in einem Blumenbeet stehen, frei von Stachelangst und Befangenheit, einer Welt, in der es einen Gott gibt, der einem kleinen Herz die Chance gibt mit Glück erfüllt zu sein.

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Lars Steger: Im Aufprall der Stille. Erster Spaziergang

weit hinter den dünen und dem deichring meines wunschortes in der wacholderheide hört das meer sich sehr leis noch weit an. nah

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weit hinter den dünen
und dem deichring      
meines wunschortes

in der wacholderheide
hört das  meer sich sehr leis
noch weit an. nah

säuselt der wind durchs schilf
unsichtbar das plätschern
und schlagen von gefieder

den neugebauten weg
entdecken folgen verlassen
ein pfad zum bodden hin

morsch liegt der pfahl
eines seezeichens am ufer

vom gegenüberliegenden
winkt eine kirche

ein federbalg zerweht
dem dorf zu

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Gerhard Jaeger: Regenschleier

trägst sie her vor dir trägst ein Gewölk aus Frische ein Grau überm Grün das Blüten durchschweben diese weißen der Kirschen deren Saft später mir blutet vom Puls, wenn junihaftes Blau vom Abschied kündet

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trägst sie her vor dir
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trägst ein Gewölk aus Frische
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ein Grau überm Grün
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das Blüten durchschweben
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diese weißen der Kirschen
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deren Saft später mir
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blutet vom Puls,
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wenn junihaftes Blau
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vom Abschied kündet
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und barmherzig
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Sonne brennt
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darüber hinweg

 

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Andrea Meng: Es regnet seit Jahren

Er steht am Fluss In der Hand einen Bolzenschneider Es regnet seit Jahren Aus den Feuchtwiesen sind Sumpfwiesen geworden Ach was, ganz üble Moore sind es Und das Land, in dem er lebt Schimmelt Der große, schnelle Fluss treibt die Enten fort Voll Speed Sie wissen überhaupt nicht wie ihnen geschieht Da, eine Barrikade aus unterspülten, entwurzelten, mitgerissenen Bäumen Mitten im Fluss Die Enten knallen voll dagegen Prallen wieder ab Sind total zerzaust, ramponiert Einige sind tot Aber er hat ja noch seinen Bolzenschneider Er wird sie jetzt retten mit seiner Tat Die Zukunft der Enten retten Nicht mehr dieser Aber auf jeden Fall die der nächsten Er schneidet den ganzen verdammten Bäumefilz auseinander Er schneidet, er schuftet, er schwitzt Tausenden Enten wird es das Leben retten Denkt er, hofft er Er halluziniert jetzt Denn dafür Für diese Rettung Seine Tat Sozusagen als kleines Dankeschön Möchte er daß ihm ein Wunsch erfüllt wird Sein einziger und wenn es denn ginge Daß Enten Wünsche erfüllen - Er wünscht sich also Daß endlich dieser eine Traum aufhört Den er jede Nacht hat Daß er im Regen zelten muß Nachts Ohne Zelt

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Er steht am Fluss
In der Hand einen Bolzenschneider
Es regnet seit Jahren
Aus den Feuchtwiesen sind Sumpfwiesen geworden
Ach was, ganz üble Moore sind es
Und das Land, in dem er lebt
Schimmelt

Der große, schnelle Fluss treibt die Enten fort
Voll Speed
Sie wissen überhaupt nicht wie ihnen geschieht
Da, eine Barrikade aus unterspülten, entwurzelten, mitgerissenen Bäumen
Mitten im Fluss
Die Enten knallen voll dagegen
Prallen wieder ab
Sind total zerzaust, ramponiert
Einige sind tot

Aber er hat ja noch seinen Bolzenschneider
Er wird sie jetzt retten mit seiner Tat
Die Zukunft der Enten retten
Nicht mehr dieser
Aber auf jeden Fall die der nächsten
Er schneidet den ganzen verdammten Bäumefilz auseinander
Er schneidet, er schuftet, er schwitzt
Tausenden Enten wird es das Leben retten
Denkt er, hofft er

Er halluziniert jetzt
Denn dafür
Für diese Rettung
Seine Tat
Sozusagen als kleines Dankeschön
Möchte er daß ihm ein Wunsch erfüllt wird

Sein einziger und wenn es denn ginge
Daß Enten Wünsche erfüllen –

Er wünscht sich also
Daß endlich dieser eine Traum aufhört
Den er jede Nacht hat

Daß er im Regen zelten muß
Nachts
Ohne Zelt

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Lars Steger: Südlich von Neuendorf

Wie immer die Wellen neu Buhnen furchen die See der Wind jagt Sandkristallspeere der Regen ein Heer von Faustschlägen eiskalter Zwerge mir ins Gesicht, treibt langsam die Kälte durch den Stoff aber ich gehe gegen Süden der Strand gehört mir allein Bilder finden die die alten Frauen schon gefunden haben die lange vor mir da waren gemeinsam längst auf dem Weg zu den Häusern in meinem Rücken ja Anna, die Landschaft wird wieder ein Motiv für einen, der nur die Hoffnung auf Hoffnung hat * *

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Wie immer die Wellen neu
Buhnen furchen die See
der Wind jagt Sandkristallspeere
der Regen ein Heer
von Faustschlägen eiskalter Zwerge
mir ins Gesicht, treibt langsam
die Kälte durch den Stoff
aber ich gehe
gegen Süden
der Strand gehört mir
allein
Bilder finden
die die alten Frauen
schon gefunden haben
die lange vor mir da waren
gemeinsam
längst auf dem Weg
zu den Häusern
in meinem Rücken
ja Anna, die Landschaft
wird wieder ein Motiv
für einen, der
nur die Hoffnung
auf Hoffnung hat
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Desdemona: Steine vor Felsen – Collage von Hagen Ludwig

Schillernde Felsen trotzen den Winden seit ewiger Zeit. Zerfurchte Steine öffnen die Schichtung Tiefe enthüllend.

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Schillernde Felsen
trotzen den Winden
seit ewiger Zeit.
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Zerfurchte Steine
öffnen die Schichtung
Tiefe enthüllend.
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Aufgeregte Rede –
kaum wahrgenommen –
verrinnt mit dem Klang.

grau starrt der Himmel

* Foto: Susann Schulz * * grau starrt der Himmel eine einsame Krähe wiegt sich im nackten Geäst maria goldberg * *

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Foto: Susann Schulz

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grau starrt der Himmel
eine einsame Krähe wiegt sich
im nackten Geäst

maria goldberg
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Christian Rempel: Fauna superioris

Der Spinnenfaden ist recht fest, nimm die geringe Dichte noch hinzu, wenn Du ihn an sich selber hängen lässt, kann länger werden er als Stahl und Eisen.

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Der Spinnenfaden ist recht fest,
nimm die geringe Dichte noch hinzu,
wenn Du ihn an sich selber hängen lässt,
kann länger werden er als Stahl und Eisen.
Kannst Du’s beweisen?
Beider Zugfestigkeit: 1 GPa,
Dichteverhältnis die Hexenzahl 7.
Wisst ihr es nun ihr Lieben?
Und denket ihr nun kurz und knapp,
das hängt vielleicht vom Querschnitt ab,
habt einen Holzweg ihr beschritten.
Und denken wir uns Stalaktiten
von langen langem Holze (28 km),
dann rissen sie noch später ab,
als wenn aus Stahl,
natürlich erste Wahl,
sie wären.
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Die Flora sich so findig zeigt
und nur die Fauna übersteigt
an Festigkeit noch das Gebilde,
das hab ich raus, nun lächelt milde.

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21.2.2013

 

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