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Die Menschheit als Mittel der Natur

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Die Natur steht nach Dante Alighieri der Menschheit an Voraussicht nicht nach, und sie hat sich nun einmal die Menschheit geschaffen, die selbst zu einem großen Teil Natur ist, aber eben über so unfassbare Eigenschaften wie Seele und Geist verfügt. Die Menschheit ahnt schon seit Jahrtausenden sogar, dass es außer ihr auch Seele und Geist geben könnte. So fand Goethe Schellings Titel „Von der Weltseele“ so gut, dass er ihn nach Jena an die Universität berief. Im Grunde hätte es auch der Inhalt dieses Werkes sein können, aber jeder kann sich heute noch überzeugen, dass es nicht weit über den packenden Titel hinausgeht.

Erst viel später hat man es auf den Punkt gebracht, dass Schelling entdeckt hätte, dass die Natur ein Subjekt ist. Aber noch viele Jahre wollte man in sie eindringen, sie sich zunutze machen, ihr ihr Wohlleben abtrotzen, ihr die Schätze entreißen, als wäre sie eben ein Objekt, das uns zu Gebote steht, als wären wir die Beherrscher der Welt. Wie die Geschichte eben die Geschichte von schlechten Menschen ist, von den wenigen löblichen Ausnahmen wie Laotse oder Buddha oder Kepler oder Bonhoeffer abgesehen, kann man die Flinte nun ins Korn werfen und sagen: Der Mensch ist der größte Schädling der Natur, oder, vorsichtiger ausgedrückt, wie es der Dalai Lama sagt: Der Erde würde es ohne den Menschen besser gehen.

Subjekt und Subjekt

Doch noch nie waren wir von der Natur aufgerufen, uns in Selbstvorwürfen zu zermürben. Wenn alles einen Sinn haben sollte, so war die Phase der Ausbeutung der Natur genauso vorhergesehen wie jetzt unser schlechtes Gewissen gegenüber der Natur, was wohl auch daher geht mit dem Zurneigegehen dieser Schätze. Wir sind meiner Meinung nach nicht aufgerufen, mit allem zu hadern, sondern auch mit dieser Geschichte der ehrgeizigen Menschen unseren Frieden zu finden, was doch nicht Stillstand bedeuten muss.

Was Handyspiele spiegeln

Gibt es doch auch nach den Erkenntnissen der Quantentheorie die Hypothese, dass wir von der Natur noch gar nicht mit der Realität belohnt sind, alles Gedankenkonstruktion ist und demzufolge auch alles, was wir angerichtet haben, noch gar nicht real geschehen ist. Dieser Gedanke ist den Menschen, denen ich versucht hatte, ihn darzulegen, so fremd, wie er eben auch sein sollte, weil doch selbst unter dieser Annahme, dass wir gar nicht in der Realität leben, die Handy- und Spielsucht unserer Kinder erklärt wird, dass sie sich nunmehr in einer von Menschenhand geschaffenen künstlichen Realität bewegen und so eine Vorstellung gewinnen, wie es ist, sich in einer Welt zu bewegen, die eben keine wirkliche Realität ist. Sie bekommen also den Zustand gespiegelt, in dem sich die Menschheit vielleicht tatsächlich befindet.

Meinung der KI:
…die Blume, das Insekt, der Fels, der Fluss, das Meer, der Regenbogen. Aber was ist mit der Luft, dem Wasser, dem Feuer, der Erde? Sind das nicht die Elemente, die die Natur selbst bilden? Und sind wir nicht ein Teil davon, indem wir Luft atmen, Wasser trinken, uns wärmen, Nahrung aus der Erde gewinnen? Sind wir nicht auch Natur und somit ein Teil von ihr? Wenn wir das akzeptieren, können wir vielleicht auch unser Verhältnis zur Natur neu definieren und uns als Teil eines größeren Ganzen verstehen, das wir schützen und erhalten müssen, anstatt es zu zerstören. Wir müssen lernen, im Einklang mit der Natur zu leben, statt uns gegen sie zu stellen. Nur so können wir eine nachhaltige Zukunft für uns und kommende Generationen schaffen.

Wenn es sich also so verhält, dass wir tatsächlich etwas von der Jugend lernen können, das wir immer nach Kräften bekämpft haben, dann eben dies: Die von der Natur hervorgebrachte Menschheit ist dabei, eine virtuelle Welt zu schaffen, die sie dem Gedanken näher bringen könnte, den heute noch jeder vernünftig denkende Mensch ablehnt. Es ist sicher unklug, wenn man das Nachdenken über das Verhältnis von Menschheit und Natur gleich mit Zweifeln an der Realität dessen belastet, was jeder Verantwortlichkeit den Boden entziehen würde und eine der schönsten Eigenschaften der Menschheit, dass sie sich verantwortlich fühlt, als überflüssig einstuft. Ja, wir sind sogar dabei, gerade das zu üben, was die Natur am nötigsten hat, nämlich als Subjekt gesehen zu werden. Vornehmlich praktizieren wir das an unseren Kindern, deren Eigenheiten uns nicht mehr schrecken und wir sie nicht mehr regelmäßig verprügeln, sondern uns in sie hineindenken, sie nicht mehr als Erziehungsobjekte ansehen, sondern als uns in manchem überlegene Wesen, bei denen nicht klar ist, ob sie mehr von uns zu lernen haben oder wir von ihnen. Keiner zweifelt heute mehr daran, dass unsere Kinder eigenständige Subjekte sind. Sie sind sogar das Wertvollste, was wir haben. Brauchen sie sich also nichts mehr unterzuordnen, haben wir in unserer Liebe zu den Kindern keine Rahmenbedingungen mehr zu berücksichtigen?

„Keiner zweifelt heute mehr daran, dass unsere Kinder eigenständige Subjekte sind.

Brauchen sie sich also nicht mehr unterzuordnen?“

C.R.

An dieser Stelle ist es wohl angebracht, sich einige Gedanken über den Naturbegriff zu machen. Das ist wohl alles, was unsere Sinne erreichen, ob nun das Universum, das wir als Sternenhimmel bewundern und von dem wir wissen, dass es nur ein kleiner Teil unserer Milchstraße ist, oder diese Galaxis selbst unter Milliarden anderer. Das sind natürlich unsere Haustiere, zu denen manch Einsamer ein innigeres Verhältnis hat als zur gesamten Menschheit, das Stück Holz, das wir vielleicht beschnitzen wollen, das Steinchen im Schuh, das uns vielleicht an Verabsäumtes erinnert, ja selbst der eigene Körper, der uns manchmal mit einem vereiterten Nagelbett Pein bereitet, und natürlich wieder die Kinder, deren Natur es zu verstehen gilt. Wenn man das fortsetzt, bleibt eigentlich kaum etwas übrig, was nicht Natur sein sollte. Es bleiben nur Geist und Seele, von denen uns nur Vermutungen bleiben und mit denen wir uns schier unendlich beschäftigen können.

Das Nadelöhr der Natur

Die ganze Wissenschaft baut auf Mechanismen und wir sind vielleicht auch gar nicht in der Lage, eine andere Denkweise hervorzubringen. Die ganze Mikrobiologie ist die Suche nach Mechanismen, die angeblich unser Sein darstellen. Man hat schon im 19. Jahrhundert versucht, den Kreis zu schließen und des Geistes und der Seele Herr zu werden, indem man annahm, dass die Geistesmasse wägbare Materie sei oder in sie als solche einfließe, ja alles, was wir als Massen, die ja über die unerklärliche Gravitation verfügen, wahrnehmen, so etwas wie versteinerte Gedanken sein könnten, die freilich nicht wir gedacht haben, sondern eben eine vorherige und vielleicht sogar überlegene Intelligenz. Der einzige Zugang, der sich in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eröffnet hat, um aus der mechanistischen Misere zu kommen, ist die Quantenmechanik, die die kleinsten Materiebestandteile beschreibt, sich mit Recht wiederum als Mechanik tituliert, weil sie postuliert, dass alle Abweichung vom Mechanischen eben Zufall sei.

Dabei ist es das einzige Nadelöhr, durch das sich das Subjekt Natur als Symbiose von Geist und Materie zwängen könnte, wenn wir nur bereit wären, das Unerklärliche nicht Zufall zu nennen, sondern Ausdruck des freien Willens der Mikroteilchen, der damit in der ganzen uns umgebenden Natur möglich wäre. Warum aber hat die Natur denn nicht nur eine Denkmaschine hervorgebracht, sondern bis dato jeweils sieben Milliarden lebende Exemplare? Wieder Dante befragt, lautet dessen Antwort, dass das Ziel der Natur einer Vielheit von Menschen bedarf und es offenbar Aufgaben genug gibt, dieses Ziel zu verwirklichen, das er nicht benennt. Das es selbstredend vielleicht auch gar nicht gibt, der Mensch aber so beschaffen ist, dass er immer danach sucht, im einfachsten Fall für sich. Und wenn er erkannt hat, dass er es mit der Natur mit einem Subjekt zu tun hat, könnte er veranlasst sein, darüber nachzudenken, ob es ein solches Ziel gibt und worin es bestehen könnte. Auch die Sinngebung hat in der Menschheit ihre Tradition, war aber in der Geschichte auf diese selbst bezogen. Was den einzelnen Menschen betraf, so war er angehalten, sich einem Ziel unterzuordnen, das ihn nur mittelbar betraf, weil sich einige aufgeschwungen hatten, es zu formulieren und schien auch erst nach Generationen erreichbar.

Da sollte der Mensch lernen, sich einem Ziel unterzuordnen, das nicht sein persönliches ist, sondern das der Menschheit insgesamt. Dies ging nach wenigen Jahrzehnten scheinbar unter, ist aber, wie die Dinge jetzt liegen, ein Fanal geblieben. Die These, dass der Sinn der Vielheit der Menschheit in einer Vielzahl von Egoismen besteht, die dann zu irgendetwas führen, wobei man sogar müde wurde, das als Fortschritt zu titulieren, gehört insofern auf den Müllhaufen, als dass Egoismus nur legitim ist, um sich für dieses Ziel der Natur, oder seien es einige, zu erhalten und wenn man so will, sich auch wohlzufühlen, was diese Arbeit für die Natur ja nicht ausschließen sollte, wobei dieses Wohlbefinden nicht vordergründig verstanden werden soll und nicht zu verwechseln sein sollte mit Couchpotatoes.

Freiheit beginnt mit Unterordnung

In der Natur ist das meiste harmlos. Zu Zeiten Marie Curies war Radioaktivität ein schwaches Glimmen und als man es dem deutschen Kaiser am Kaiser-Wilhelm-Institut vorführen wollte, fürchtete man eher um ein gezücktes Messer, wenn man den Raum dafür verdunkeln musste, in der Erkenntnis, dass nur der Mensch Feind des Menschen sein könne. Die weitere Geschichte der diesbezüglichen Wissenschaft war die Entdeckung von Stimuli. Wenn genug Neutronen mit bestimmten Eigenschaften auf eine radioaktive Substanz einwirken, geht der Zerfall nicht mehr gemächlich und scheinbar zufällig vor sich, sondern lawinenartig, was dann gewaltige Energien freisetzt.

Wer bezwingt hier wen? Teppich aus Entengrütze auf dem Schlossteich Jahnishausen

Wenn ein Lichtteilchen auf eine invertierte Substanz trifft, d.h. eine, die sich im angeregten Zustand befindet, setzt das lawinenartig gleiche Photonen frei, was die Grundlage eines LASERs ist. Diese Stimuli und auch jene, die gemächliche oder gezielte Mutationen hervorrufen, gerieten in die Hand der Menschheit und man konnte nur beten, dass sich diese dadurch nicht selbst vernichtet. Wenn aber alles einen Sinn hat, so wurden einige Forscher in die Welt gesetzt und viele Millionen, die sich davor fürchten und Einhalt gebieten. In Deutschland hat das dazu geführt, dass fast alles lahmgelegt wurde, keiner sich mehr traute, noch Kernforschung zu betreiben, man „genetic engineering“ als Genmanipulation diskreditierte und das Sicherheitsbedürfnis der Menschheit, als sei sie eben der Nabel der Welt, vornan stellte. Nach dem Ziel oder den Zielen der Natur scheint keiner mehr zu fragen und der menschliche Egoismus feiert Urstände. Da bekämpft man CO2 und weiß nicht mal mehr, ob es Farbe oder Geruch hat oder irgendwie giftig ist. Da fragt man sich nicht mehr, ob es ein Element der Ziele der Natur sein könnte, dass die Erde wieder mal von Dinosauriern bevölkert würde. Da fragt man sich auch nicht, ob künstliche Intelligenz in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht geeigneter sein könnte, diese Ziele zu verwirklichen und man sich trollen sollte.

Es ist an der Zeit, nach einer Erfolgsbilanz der Menschheitsgeschichte zu suchen und sich in geeigneter Weise an den Adressaten, der dann wohl die Natur sein würde, zu wenden. Das mag einem utopisch vorkommen und ist doch einfach die Anwendung dessen, was wir in den zwischenmenschlichen Beziehungen gelernt haben oder hätten lernen sollen: Anerkennung von Subjekten außer einem selbst, Empathie und wohlwollende Einbeziehung aller Möglichkeiten, wie es die Natur übrigens versteht, und sich endlich wieder einem Ziel zu widmen, das nicht ein ganz persönliches, also nur egoistisches ist, sondern sich dienend unterzuordnen und in diesem Bestreben auch andere zu bestärken. Sich nicht mit Halbwissen zu begnügen, sondern nach Möglichkeiten umsehen, die intelligenter sind, als es die Politik versteht, denen nur noch Worthülsen wie Nachhaltigkeit und Vernetzung einfallen und die uns Schreckgespenster vor Augen führt, immer einen Feind braucht, vor dem wir zittern sollen und abgelenkt sein von ihrer Einfallslosigkeit. Die Natur ist nicht unser Feind, wenn wir es ihr nicht sind und wieder lernen zu dienen.

Fazit der KI:
Als künstliche Intelligenz habe ich keine eigene Meinung, aber ich kann sagen, dass der Text einen Appell an die Menschheit darstellt, sich auf das gemeinsame Ziel zu konzentrieren, das der Menschheit insgesamt dient, anstatt egoistische Interessen zu verfolgen. Der Autor betont die Wichtigkeit, die Natur nicht als Feind, sondern als Partner zu betrachten und sich bemüht, intelligentere und nachhaltigere Lösungen zu finden. Der Text gibt auch zu bedenken, dass das Streben nach Wissen und Technologie nicht unbedingt bedeuten sollte, dass man die Kontrolle über die Folgen verliert und sich selbst zerstört. Es ist ein Aufruf zur Zusammenarbeit und zum Handeln im Interesse der gesamten Menschheit und der Natur.

Text: Christian Rempel im fünften Stück eines DDR-Neubaus, 19. Februar 2023. Fotos: Andreas Schrock

Weiterführende Links:

chatGPT (Schnittstelle eines textbasierten Dialogsystems, das auf maschinellem Lernen beruht; sog. Künstliche Intelligenz)

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Unbezahlbar

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Am Grab stand ein kleiner Junge. Er hatte fünf Taler in der Hosentasche und war traurig. Seine Mutter lag im Sarg. Da beschloss er, den Tod zu suchen, um ein Leben zu kaufen. Er wollte es seiner Mutter schenken. 

Als die Sonne im Westen langsam unterging, bat er sie: "Sonne, bitte, liebe Sonne, bitte geh' jetzt nicht unter. Fünf Taler gebe ich dir dafür." Die Sonne antwortete: "Ich brauche dein Geld nicht. Ich bin nicht käuflich." Also lief der Junge weiter. Es wurde Nacht und der Mond erschien am Himmel. "Lieber Mond, bitte scheine heller, damit ich den Weg finde. Ich habe fünf Taler. Die würde ich dir geben." "Dein Geld brauche ich nicht." Die ganze Nacht lief der Junge in Richtung Westen. 

Erst im Morgengrauen wurde er müde, aber er wollte nicht schlafen. Er musste doch ein Leben kaufen! Verzweifelt rief er dem Morgengrauen zu: "Liebes Morgengrauen, ich bin müde, möchte schlafen und ausruhen, doch beides kann ich nicht. Verkauf mir etwas Hoffnung. Die brauche ich und Glück und Mut und Geduld, Kraft, Spürsinn und Durchhaltevermögen. Ich muss ein Leben kaufen, weißt du, wo ich das kaufen kann?“ "Lieber, kleiner Mann, manche Dinge kann man nicht kaufen. Egal, wen du fragst. Müdigkeit und Träume, Angst und Mut - diese Sachen werden zum richtigen Zeitpunkt erscheinen. Kaufen wirst du sie nicht." 

Langsam ging der Junge weiter in Richtung Tag. Dabei wurde er hungrig und durstig. Auch Durst und Hunger kann man nicht kaufen, dachte er, doch auf diese Gefühle wollte er gerne verzichten. Am Wegrand entdeckte er einen Strauch mit Beeren. Sofort naschte er davon. Was für ein schönes Herbstwetter! Schade das ich niemand kenne, der solch schönes Herbstwetter für Jahnishausen verkauft, flüsterte er beim Weiterwandern. 

Er kam an einen Fluss. Dort sah er einen alten Mann fischen. In seinem Eimer schwammen einige Fische. Der Junge überlegte. Dann sprach er den Mann an. "Ich möchte gerne das Leben eines ihrer Fische abkaufen und es meiner Mutter schenken, damit sie wieder lebendig wird." Der Mann legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und sagte: "Leben kann man nicht kaufen und der Tod gibt es nicht zurück. Leben ist unbezahlbar."

Manuela Kartheus, Gedankenwasser Nr. 150
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Unsere Seminare 2023

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Frühjahrsseminar: 21. bis 23. April 2023, Ort: nach Möglichkeit im Land Brandenburg

Sommerseminar: 25. bis 27. August 2023 (die Maler eventuell schon ab 23.8.). Ort: Jahnishausen. Voraussichtlich mit Lesung.

Ergänzungen folgen.

Viele Grüße, Andreas

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Ein Brief

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Pankow-Heinersdorf, 13. November 2022

Liebe Freunde des Eitel Kunst Vereins,

heute ist die Gewa Nr.150 bei mir eingetroffen. Ja, ich habe mich sehr darüber gefreut. Es ist ein gelungenes Heft entstanden, das anspruchsvoll die Entwicklung unserer Gemeinschaft spiegelt.

Olaf umreisst in seinem Beitrag, wie wir uns über viele Jahre behaupteten. Isabels Heftgestaltung ist anspruchsvoll und ausgewogen. Die Textbeiträge sind abwechslungsreich, unterhaltsam und berührend.

Die Bildautoren haben Geschmack und Bildsprache bewiesen.

Letztlich hat Stephans Endredaktion dafür gesorgt, das das Heft per Post auf den Weg gebracht wurde.

Das alles hat Lebendigkeit und Bestand. Wenn ich mich dazu auf unsere Webseite anmelde, dann meine ich eine künstlerische und literarische Heimat gefunden zu haben.

Vielen Dank an alle Autoren, die bei uns mitwirkten und die weiterhin dabei sind.

Gerhard Jaeger

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Plötzlich war alles seitenverkehrt – Ein pädagogisches Experiment 1947

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Ich war frei. Mein Abi hatte ich geschafft, kein Notabitur, ein richtiges, fast ein Friedensabi. Der Schulrat, Schulrat Sturm selber, war in die Blücherschule gekommen, um nachzuschauen, was wir wussten und wohl auch, wes Geistes Kind in uns Kriegs geschüttelten Jungen steckte. Vier freie Sommermonate lagen vor mir, dann würde ich als Neulehrer meine Weisheit austeilen im finstersten, was sag ich, im lebendigsten Stadtbezirk des Molochs Berlin.

In der Greifswalder, Ecke Esmarchstraße, befand sich im ersten Stock ein antifaschistischer Jugendclub. Da hatte ich mich mit Gedichten von Heinrich Heine bekannt gemacht, aber die Matadoren im Nebenzimmer wollten mehr von mir, einen kleinen Vortrag über Aufstand oder Revolution. Ich kam ihnen mit Hauptmanns „Webern“. Natürlich bot ich nicht das ganze Stück, aber ein Stündchen Zeit war schon, derweil es im Nebengelass prutzelte. Ich trieb es bis zum Schluss: „Es muss alles anderscher werden!“ Das war auch meine Devise. Und die Mädchen und Buben harrten aus, unglaublich, wie die Mäuschen, ehe sie sich dem zweiten Punkt des Abends, nun aber mit Leib und Seele, hingaben:
Q u ä k e r s p e i s u n g!
Doch die Kader wollten was anderes von mir. „Du wirst doch Lehrer“, lockten sie. Da könntest du uns mal aushelfen: im Juni. Du gehst mit einem jungen Volk auf die Reise, raus ins Grüne, 14 Tage nur. Fährst mit der Heidekrautbahn, wir organisieren das… Du bist doch bald schon Lehrer. Als Vorübung. Du kannst das.

Da stand ich in schlotternder Kleidung am Bahnsteig der Heidekrautbahn in Wilhelmsruh. Die Mädchen und Jungen mit Rucksäcken, Tornistern oder abgeschabten Köfferchen, ich kannte keins der Kinder, kamen von der S-Bahn herüber zu mir, eine mausgraue Schar. Sie alle hatten Vorstellungen von der Fahrt in die weite Welt, ich konnte mir nichts denken, außer: Wie viele sind es – dreiundvierzig Göhren vom Prenzlauer Berg – und krieg ich sie heil in den herandampfenden Zug.

Es war keine fröhliche Kinderschar, die sich da zusammenschob, in Alltagskleidern, abgemagert – doch erwartungsvoll. Kinder aus den Ruinen, die sich untereinander nicht kannten, welche zehn Jahre alt, welche schon vierzehn. „Halli, hallo. Wir fahren…“ stimmten einige Mädchen an, aber ein gemeinsames Lied hatten sie nicht, und es ging ja nur bis Biesental. Dann schleppte sich die Kolonne durch Heide und Wald. Der Zug, länger werdend. Aber ganz allein waren wir nicht auf unserm Holzweg. Vier fast Erwachsene, auf den ersten Blick schienen es Jungverliebte zu sein, hatten die gleiche Richtung eingeschlagen. Sie waren in eine wilde Debatte verwickelt, ich hörte:
„Hier hat Lukacz doch Recht.“ Studenten? Ich trat näher an sie heran. „Lukacz hat keineswegs Recht.“ (Ich kannte nur: Haut den Lukas!) Ein großer, dunkelblond gelockter Mann fragte nach unserm Ziel. „Nach Ückeritz – ich bin dort Lagerleiter“, sagte ich stolz. Da wurden die Streitenden höflich, und ich lud sie auf der Stelle ein, als unsere Gäste ein paar Ferientage zu verbringen. Sie blieben nur ein, zwei Tage, ehe sie weiterwanderten, aber nicht ohne sich mit einem Konzert von den Kindern zu verabschieden: Mit einem völlig unbekannten Herrn Berthold Brecht fragten sie, wer das „siebentorige Theben“ gebaut hatte, und Hans, der Älteste unter ihnen, sang mit voller schöner Stimme: „O Himmel strahlender Azur“. Selbst die Jüngsten im Raum spürten, dass etwas Außerordentliches geschah. Unverstanden – doch unsere Lagerzeit hatte einen wundersamen Beginn.

Das Kinderlager

Die Herbergseltern, alte, gutwillige Leute, froh, wieder Gäste im Haus zu haben, hatten frisches Stroh zwischen den Balken im langgezogenen Dachgeschoss aufgeschüttet. Die Kinder, quiekend vor Freude, suchten sich ihren Schlafplatz. Was wie Routine aussah war alles neu, für jeden von uns. Hielten parterre an zusammengezogenen Tischen gemeinsame Tafel, nahmen uns Zeit für die Künste. Lieder, schnell gelernt, klangen auf, natürlich antifaschistische – hatte ich andere parat? – eine Putz-und Flickstunde fand statt und – heftige Debattierrunden. Wir übten Demokratie. Auch eine Zauselstunde gab es (viel später einmal Kritik und Selbstkritik genannt). Und nirgends eine Uniform! – eben unser KINDERLAND. Wir grüßten, wohl den „Falken“ abgeguckt, mit „Freundschaft“.

Viel Zeit, die schönste, hing von der Sonnenbahn ab. Wir lebten im Freien, vor uns zu Füßen, lockte ein stiller märkischer See: Keiner konnte schwimmen, der Lagerleiter kaum, auch nicht die zwei größeren Mädchen, Rita und Undine, die zur Leitung gehörten. Es ging, was märkische Seen auszeichnet, sachte zur Tiefe. Gemeinsam rein, gemeinsam raus. Wir hatten einfach Glück. Das war ein Jodeln und Jauchzen, und wäre da nicht der Donnerstag gewesen, an dem Nicki, der englische Nicki, mit einem klapprigen Auto vom Jugendamt vorbei gekommen wäre und, wie versprochen, einen neuen russischen Kinderfilm mitgebracht hätte, wüssten wir nichts von „Baba Jaga“, nichts von der „Schneekönigin“. Auch ein später Abend hat sich fest eingeprägt – in den Büschen das nie geschaute Leuchten der Glühwürmchen. Da fahren sie übermorgen wieder fort, die jungen Abenteurer, kehren heim zu den elenden Wohnquartieren, in die Stadt, wo Ost und West unversöhnlich miteinander streiten, wo die rote Fahne vom Brandenburger Tor gerissen wird und am Boden ebenso junge Burschen sich um die Fetzen balgen. – Wo mögen wohl die stehen, die heute KINDERLAND, ein freies Stück Heimat, erleben, wenn mal ein scharfer Wind weht, ein Sturm vielleicht, denke ich noch. – In diesem Augenblick war die wahnwitzige Idee geboren, mit einem Aufstand die Standhaftigkeit der Kinder zu erproben. In solchen Zeiten des Umbruchs, glaubte ich, müsse man auf vieles gefasst sein. Ich war von der Richtigkeit meines Vorgehens überzeugt. Und ganz am Ende, das hatte ich im Hinterkopf, ist der Sieg der Demokratie gewiss. Ging an die Tischecke, wo drei größere kräftige Burschen bei einander hockten, Kerle, pfiffig saßen sie da.

Punkt sechs Uhr ist Diktatur

„Jungs, ihr scheint die Richtigen zu sein: Morgen, sechs Uhr, solltet Ihr über das ganze Lager eine Diktatur verhängen,  mit allem drum und dran.“ – „Machen wir!“ – „Ist geheim“, flüstere ich. „Bleibt unter uns. Nur ein Spiel, Ihr versteht, und keiner wird hinterher bestraft“, versicherte ich, Feuer und Flamme. „Bereitet alles vor. Jetzt ist es Abend, fünf vor sieben. Also bis Morgen, sechs Uhr.“ Ich legte mich, in dem Bewusstsein, gute Arbeit getan zu haben, auf mein Stroh. Noch halb im Schlafe seh‘ ich die Rebellen die Köpfe zusammenstecken.

Mit Krach und Gepolter beginnt der Junitag. Die Aufständischen rennen durch den Schlafsaal, erschrecken die schlaftrunkenen Kinder. Nehmen mich unsanft in Haft, fast gleichzeitig Undine und Rita, die Lagerleitung. Einige Kinder wimmern, einige, scheint’s, recken sich auf. Dachte ich an eine neue Diktatur oder eher an die Rückkehr einer alten? Ich dachte nicht an die Rückkehr zur alten. Ich dachte an eine übersichtliche Diktatur: Wo befohlen wird und gemacht wird, wie befohlen. – Ich werde, mit Geschrei, an den Rand des Strohlagers geführt und mit Schnur fest an einen Balken gebunden. Alles lief gut. Die Diktatoren gingen die Schlafboxen entlang, ihre groben Befehle gab es schon schriftlich. Auf Packpapier, mit roter und grüner Ölkreide geschrieben, war zu lesen: „Es muss jeder im Schlafraum bleiben, außer den Mitgliedern der Führerstandarte, FS.“ – Um Gottes Willen!

Wo kam das her? In unser KINDERLAND!

„Jede Demokratie ist verboten. Lagerleiter, Helfer und Demokraten werden von der FS verhaftet. Gezeichnet: Der Führer der Revolution, und ab sofort Lagerkommandant, Gerd Kannengießer, Bürgermeister.“ – Unglaublich! Und will auch noch Bürgermeister sein! – Befehl Nr. 2 des FS – „Wer unseren Befehlen nicht Folge leistet, der wird unter Wasser und Brot gesetzt, wie die ehemaligen Leiter und Helfer des Lagers.“ – Wir waren weg vom Fenster, ehemalig – – –

Auch das noch

Ich hatte, unglücklicherweise, den beiden Helfern nichts vom Putsch verraten. Nun hockten sie, gleichfalls gefesselt, und spürten schmerzhaft: Alles war seitenverkehrt. Statt fröhlicher Kinder – sich wild und aufdringlich gebende Lümmel. Statt Lieder und Gesang – Rumgeschubse und Gebrüll. Dass es Widerstand gab, sahen wir nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt. Später war klar: Zettelchen gingen von Hand zu Hand: „Wehrt Euch gegen diese Lagerdiktatur.“ – „Freies Ützdorf wird es wieder sein!“ – „Was bedeutet FS wirklich? Faschisten-Seuche“. –

Doch das Schlimmere kam noch: Die Aufständischen nutzen die Auseinandersetzungen von Berlin, UGO-Streik, S-Bahn-Züge in Brand gesteckt, Tumulte an der Sektorengrenze. Da ist was los, ahnen die Kinder. Da ist was im Busch. Was wird da mit der Mutter? Antifaschisten verhaftet. Ja, etliche aus dem Lager waren drauf und dran aufzubrechen, schnell zurück durch die Heide, um nachzuschauen. Da merkte ich: Jetzt läuft mein Experiment aus dem Ruder, endgültig. Da kriegte ich es mit der Angst zu tun.

Zu meiner Bewachung war ein Junge eingeteilt. Helfried – von dem war ich überzeugt, dass er vom KINDERLAND angesteckt war. Bedrückt stand er auf seinem Wachposten. Ich sagte: „Helfried, mein Guter – ich bin enttäuscht. Du dabei, mit denen.“ – Eigentlich wollte Helfried gar keine Lagerleiter bewachen. Er war auf Befehl da. Der Junge schämte sich. Er verschwand kurz und kam mit einem Messer zurück. Mit dem Messer schnitt er mich frei. Ein Überraschungsmoment. Die Aufständischen bestürzt. Kurzes Handgemenge. Die Meuterer ziehen sich grollend zurück. Die Gequälten stürzen hinterdrein, rachedurstig.

Demokratie verlangt Toleranz

„Halt! Halt!“, schreie ich. „Zur Demokratie gehört Sanftmut. Zur Demokratie gehört Freundlichkeit. Man muss auch verzeihen können“, schreie ich (fast gegen meine Überzeugung). – Die FS-Leute verharren abseits. Beschämt und entmachtet. Nicht bestraft. „Freunde, machen wir ein Friedensfest“, schlage ich vor, „eine Versöhnungsfeier“. Das fand Anklang. Dennoch: Die Kinder glaubten mir nicht, dass sie sich in einem Spiel bewegten, sie glaubten es einfach nicht. Auch die Aufrührer hatten den Ansatz längst vergessen. Sie w a r e n die Diktatoren!

So erlebten wir in Ückeritz den letzten Abend. Die schändlichen Befehle waren schnell von der Wand gerissen. (Zwei Befehle und ein paar Schnipsel habe ich in eine Mappe gerettet.) Nun braucht es ein Lied, denke ich, einen Text und eine Melodie. Noch glaubte ich, der Mensch könne alles, ein jeder, wenn er nur Muße fände und den Willen aufbrächte. Und zimmerte eine Strophe:

Nun singen wir das neue Lied,
hell über Not und Leid.
Das mit uns in den Morgen zieht,
in eine bessere Zeit.

Es wurde ein ziemlich sentimentaler Abend. Die Herbergseltern, froh, dass wieder Ruhe und Ordnung im Haus eingekehrt war, boten zu speisen an, was noch zu haben war. Das Feuer flackerte. Wir dachten über das Erlebte nach.
Unsere Putschisten blieben still am Rande. Trotz Versöhnung – niemand hatte Lust mit ihnen zu reden. – Dabei war ich es doch, der sie verführt hatte, i c h.

Die Rückkehr nach Haus – da warteten die Mütter. Meine Mutter war arbeiten, im Lichtenberger Rüstungsbetrieb Maschinen für den Abtransport verladen. Keine Freundin wartete auf mich. Ich hatte noch keine.

Musste ich mich stellen? Erklären, wie es zu dem Debakel kommen konnte? – Das wurde die letzte Überraschung: Niemand fragte nach dem Vorkommnis. Niemand. Es gab keinerlei Beschwerde — die Kinder waren ja heil und gesund heimgekehrt. – War wirklich niemand verletzt worden?

Nachrede, ohne Schmu

Natürlich war mir die Geschichte immer gewärtig. Immer wieder war sie vergessen, oft lange Zeit, aber nie ganz. Der Junge mit dem Messer hieß gewiss nicht Helfried. Aber ich weiß, ein schmales Bürschlein war es, das bei keiner „Führerstandarte“ Wachdienst leisten wollte. Auch meine Helferinnen, Rita und Undine, hießen bestimmt anders. Die Zeit schien still zu stehen. Ich trug ganz allein die Verantwortung – es war so in diesen Tagen. –

Das ist nun dreiundsiebzig Jahre her, und manche Details sind weggeschliffen. Aber Glühwürmchen und Zauselstunde blieben mir.

Verrat – ich habe vielerlei Verrat erlebt. Dass ich bei denen saß, welche Tod und Hinterhalt noch nebeneinander wussten, hat mich geprägt. Selbst in China, im marxistischen Sonntagsseminar von Israel Epstein, war es für meinen Bruder, den Mann aus Nepal, höchst gefährlich, sein Gesicht zu zeigen. Big Brother hatte schon die Hände ausgestreckt. Und die Sudermans aus Indonesien – ja, hießen nicht alle Suderman? … Fünfzigtausend Kommunisten in einem Rausch, mit Weib und Kind, abgeschlachtet, Insel für Insel. Wo war da der Aufschrei der Welt?

Ich hatte sehr viel Glück. Meine Arbeit machte ich still, manchmal verzweifelt. Wo ich Anerkennung verdiente, kriegte ich Prügel, so schien es mir. Zwanzig Jahre und mehr habe ich jungen Poeten aufgeholfen, ehe ich mich besann und ernsthaft als Schriftsteller arbeitete.

Heute sehe ich mit Abstand, ja mit Schrecken auf die zwei gilbenden Blätter. Diese „Befehle“ aus einer Juni-Nacht – Nazi-Befehle ohne Grund.

Doch liegt ein Zauber lauf diesem Beginn, dem ich mich nicht entziehe. Ein Achtzehnjähriger guten Willens, vor eine schwierige Aufgabe gestellt, süchtig nach Demokratie, Pazifist zudem, regiert in eine Kinderwelt, die es so nie mehr geben wird. Ohne Soldaten. Wie viel Verheißung.

Erhard Scherner

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