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sibyl maschler (Foto und Text): Auf den Spuren einer poetischen Gebärde

Auf den Spuren einer poetischen Gebärde Nun bin ich wieder hier, in Lüttenort, im charmant nachlässig gehaltenen Garten und in den einstigen Räumen von Otto Niemeyer Holstein. Früher war es eine vertraute Landschaft für mich, wie Heimat, heute drängt sich ein Museumspavillion auf. Obwohl mich der Kassenbereich mit seinen Katalogen, Karten und dem Kitsch schon seit Jahren verstört, habe ich mich noch immer nicht an ihn gewöhnen können. In den 80-er Jahren hatte ich eine langjährige, sehr gute Freundin, deren Mutter Malerin war, eine freischaffende Künstlerin. Sie fuhr manchmal den alten Holstein besuchen und malte dann dort oben auf Usedom. So kam es, dass auch ich mich mit der Malerei zu beschäftigen begann. Schon bald entdeckte ich Bücher der Worpsweder Künstlerkolonie. Zunächst verschlang ich die „Briefe und Aufzeichnungen“ von Paula Modersohn-Becker. Über sie stieß ich auf Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Heinrich Vogeler… und die Bildhauerin Clara Westhoff, die spätere Frau Rilkes. Die Kunst dieser Schaffenden reduzierte sich absolut auf das Wesentliche und ist somit vergleichbar mit Lyrik.

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sibyl maschler – Foto: Moorgras in Worpswede

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Auf den Spuren einer poetischen Gebärde

Nun bin ich wieder hier, in Lüttenort, im charmant nachlässig gehaltenen Garten und in den einstigen Räumen von Otto Niemeyer Holstein. Früher war es eine vertraute Landschaft für mich, wie Heimat, heute drängt sich ein Museumspavillion auf. Obwohl mich der Kassenbereich mit seinen Katalogen, Karten und dem Kitsch schon seit Jahren verstört, habe ich mich noch immer nicht an ihn gewöhnen können. In den 80-er Jahren hatte ich eine langjährige, sehr gute Freundin, deren Mutter Malerin war, eine freischaffende Künstlerin. Sie fuhr manchmal den alten Holstein besuchen und malte dann dort oben auf Usedom. So kam es, dass auch ich mich mit der Malerei zu beschäftigen begann. Schon bald entdeckte ich Bücher der Worpsweder Künstlerkolonie. Zunächst verschlang ich die „Briefe und Aufzeichnungen“ von Paula Modersohn-Becker. Über sie stieß ich auf Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Heinrich Vogeler… und die Bildhauerin Clara Westhoff, die spätere Frau Rilkes. Die Kunst dieser Schaffenden reduzierte sich absolut auf das Wesentliche und ist somit vergleichbar mit Lyrik.

Mein damaliger Freund, aus dem Westteil Berlins, schenkte mir das Buch: „Die ersten Maler von Worpswede“. Ich las und schaute ihre Bilder, weniger mit den Augen als mit dem Herzen. Paula Becker rührte mich so sehr an, dass ich nicht mehr an mich halten konnte. Ich begann mit Lesungen in der Medizinischen Fachschule in Halle, wo ich studierte, las in meinem sogenannten Praktikumsbetrieb, der Poliklinik in Potsdam, aber auch in den Jungen Gemeinden, wo ich zu Hause war. Während ich vorlas und schwärmte, wuchs ich immer mehr in die Worpsweder Landschaft hinein, in das schwarze Moor, die windgebeugten Birkenhaine und all die schlichten, dichten Bilder einer Hochkunst. Gleichzeitig entdeckte ich Rainer Maria Rilke. Er war der erste Biograph der Kolonie. Seine Freundschaft mit H. Vogeler hatte zur Folge, dass eine der poesiefernsten Gegenden Europas von einem Hauch beginnender Weltliteratur gestreift wurde.

In einem Potsdamer Antiquariat, der gegenwärtigen Stiftsbuchhandlung am Bassinplatz, ließ sich ohne Umstände so etwas wie ein Rilke-Abonnement organisieren. Ich musste dort lediglich ein paar frankierte und an mich adressierte Postkarten hinterlegen. Wenn dann im Antiquariat ein Buch meines verehrten Dichters zum Weiterverkauf abgegeben wurde, bekam ich eine meiner Postkarten zurück, fuhr wenig später mit dem Bus Richtung Innenstadt und konnte das Exemplar vorzugsweise kaufen. „Duineser Elegien“ 1948, für 4 Mark. „Gedichte“, mit handschriftlichen Genesungswünschen von Helga, 6 Mark; in drei Bänden für 20 Mark. „Erzählungen und Skizzen“ 1963, 10 Mark, alles aus dem Insel-Verlag. Die Erstausgabe von 1913 „Auguste Rodin“ kostete zwar 35 Mark,  enthält dafür aber die wahrhaft grenzüberschreitende Begegnung gleich zweier Künstler des frühen 20. Jahrhunderts. Interessant sind auch „R.M.R. und das Christentum“ aus dem Heliand-Verlag Lüneburg (1949) oder „Rilke in Frankreich“ vom H. Reichner-Verlag (1944). Jedenfalls verfüge ich über elfenbeinfarbene Schätze, Seite für Seite, manche leicht wie durchscheinendes Pergament, die meisten in braunem Leineneinband, die ich nicht missen möchte.

Im DDR-Buchhandel war 1976 im Aufbau-Verlag ein völlig entgegen gesetztes Buch erschienen: „Rilke-Studien; Zu Werk- und Wirkungsgeschichte“. Als Anlass wurden sowohl der 100. Geburtstag als auch der 50. Todestag des Dichters angegeben. Eine sozialistische, würdelose Interpretation, die Analyse entbehrt jeglichen Respekt.

1989 kam die Wende und wenig später die Entscheidung zu einer ersten Reise nach Westdeutschland. Mein Freund und ich einigten sich schnell auf Bremen und Worpswede. Doch es folgten Tage der Ernüchterung. Die touristisch erschlossene Realität deckte sich keinesfalls mit meinen gesammelten Vorstellungen der Vergangenheit. Ich musste feststellen, dass ich mir eine wundersame, lyrische Imagination erschaffen hatte, die kaum einer Wirklichkeit standhalten konnte. Wenig Moor, dafür viel Mais, Kuchenpfade voller Menschen. Dabei hätte ich meine eigenen Bilder so gern unbeschädigt behalten. Um ein kleines Mitbringsel kam ich dennoch nicht umhin. Ich wählte ein Buch über Fritz Mackensen (Worpsweder Verlag 1990; Hamm und Küster). Ein dreiviertel Jahr später planten wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub ins Ausland. Es sollte der Zeitraum Weihnachten 1990 bis Neujahr 1991 sein. Mein Freund bevorzugte in der kalten Jahreszeit den warmen Süden, ich jedoch ein traditionelles Weihnachtsfest mit Christbaum und verschneiten Wäldern. Als ich dann aber mein Vorhaben äußerte, mein Leben lang ab und an mal auf den Spuren Rilkes pilgern zu wollen, kamen wir auf Ägypten. Es wurde ein besonderer Urlaub. An den Stränden und in der Wüste las ich Rilke. Ich erschloss ihn mir in verschiedenen Facetten. Dass er eine Tochter mit Clara Westhoff hatte, war mir bekannt. Übrigens steht das Domizil der beiden nicht mehr als Wallfahrtsort zur Verfügung. Es brannte in den 20-er Jahren symbolträchtig ab. Dass Rilke aber noch ein zweites Kind zeugte, sehr viel später und mit einer guten Freundin, und diese dazu drängte, jenes Kind nicht auszutragen, erfuhr ich erst jetzt.

Gleichsam schälten sich Verse, Briefe, Notizen heraus, die immer und immer wieder nach Wiederholung verlangten. „Die Ansprüche, welche die schwere Arbeit der Liebe an unsere Entwicklung stellt, sind überlebensgroß, und wir sind ihnen, als Anfänger, nicht gewachsen. Wenn wir aber doch aushalten und diese Liebe auf uns nehmen als Last und Lehrzeit…, – so wird ein kleiner Fortschritt und eine Erleichterung denen, die nach uns kommen, vielleicht fühlbar sein; das wäre viel. 1904“  oder „… die gute Ehe ist, in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt. 1901“

Andererseits kauften wir zum Beispiel Kekse in Ägypten, die nicht nur pappig, sondern auch von Wurmspuren durchsetzt waren. Als wir sie einer Eselin füttern wollten, waren wir plötzlich von Kindern umringt und hatten keine Chance mehr, sie dem Tier hinzustreuen.

In Deutschland spürte ich nach und nach Rilke-Abende auf, Kulturveranstaltungen. Im Jahr 2000 lasen z.B. Ulrike Grote und Matthias Fuchs Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Rilke und Claire Goll. Doppel-CD: „Ich sehne mich sehr nach Deinen blauen Briefen“. Und wahrlich, die Stimmen klingen voll Sehnsucht. Es wird in einem feinen Ton der Weihe dialogisch gelesen, zauberhaft, finde ich. Rilke nannte Claire „Liliane“.

Da ich bald auf die evangelische Zeitschrift „Chrismon“ aufmerksam wurde, fand ich 2005 im Kreuz-plus Musik-Verlag die „Geschichten vom lieben Gott“. Man hört darauf die Stimme einer noch jungen Martina Gedeck. Ich mag diese Schauspielerin, nicht zuletzt durch ihre Rollen in „Nachtzug nach Lissabon“ oder „Die Auslöschung“ mit Klaus Maria Brandauer. Martina Gedeck liest Rilkes Geschichten sehr wohl temperiert, einladend, fast gütig. Ebenfalls 2005 erschienen im Audiobuch-Verlag vier Liebesgeschichten, gelesen von Wolf Frass, die jedoch nicht ganz so brillieren. Wirklich gelungene Hervorbringungen sind auch die vier Rilke-Projekt-CDs der Komponisten Schönherz und Fleer. Einigen Interpreten vermögen einen spinn´netzfeinen Traum zu weben. Die anschließende Vermarktung, beispielsweise im Berliner Temporom, erlebte ich jedoch künstlich überladen, fast süßlich und vernebelt. Naja, ich möchte meine Sammlung keinesfalls vollends aufzählen. Wer sich übrigens Hörbücher ausleihen möchte, kann sich gern bei mir melden. Ich würde sie dann zum nächsten Seminar mitbringen. Und falls jemand den Schauspieler Oskar Werner mag, so möchte ich die von ihm eingespielte Doppel-CD auch gern verschenken. Obwohl in sympathisch-österreichischer Mundart gelesen, entspricht die laute, kraftvolle Darbietung von „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ leider gar nicht meinem Geschmack.

Zwischenzeitlich rundete ich mein Wissen durch Reisen nach Paris, München, Spanien und nach Schweden, einem Land von fast schmerzlich grün-blauer Klarheit. Orte, die Rilke aufsuchte und mit seinem Atem durchdrang.

Zu den Hör-CDs seien abschließend lediglich die fast 500 Minuten und somit sechs CDs erwähnt, die benötigt werden, um die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge zu lesen. Zur Erläuterung des Inhalts möchte ich ein kurzes Zitat des Hörmedia-Verlages einstreuen: „Die Aufzeichnungen in seinem Tagebuch offenbaren die Seele eines zerrütteten jungen Mannes, der im Schreiben Zuflucht vor der Wirklichkeit sucht. In seinem einzigen Roman verarbeitet Rilke fulminant die Begegnung mit der Moderne und wendet sich radikal und auf sprachlich eindrucksvolle Weise der Welt menschlicher Erfahrung zu.“  Der Sprecher, Patrick Imhof, liest mit angenehmem Gleichmaß, mit stimmlich ausgewogenen Höhen und Tiefen, so dass der Phantasie der Zuhörenden noch genügend Freiraum für Eigenes bleibt. Er liest mit angepasst wechselndem Tempo. Ich werde nicht müde, die CDs immer mal wieder zu hören, lese aber ebenso gern in meinem guten, alten Buch aus dem Jahre 1958.

Man kann Rilke aber auch auf verschiedenen Kirchentagen begegnen. So hörten wir erst vor einigen Wochen eine Auswahl aus dem „Stunden-Buch“ auf dem Stuttgarter Kirchentag. Der Professor, Theologe und Schriftsteller M. S. Burrows inszenierte poetisch-musikalisch ganz hervorragend mit Prof. Dr. G. Fermor. Mein eigenes Stunden-Buch ist übrigens ein wundervoller Druck in altdeutscher Schrift (1927). Ich stöbere nun mit einem neuen Hintergrund darin.

Während des Bremer Kirchentages 2009 fuhr ich ein weiteres Mal Richtung Worpswede hinaus. Eine ortsansässige Bekannte führte mich, entlang der vielarmigen Wumme, nach Fischerhude, einem Landstrich, welcher der komplette Gegenentwurf des heutigen Worpswedes ist. So wurde ich wieder versöhnt mit dem geliebten, kargen, nördlichen Landstrich, fand Ursprünglichkeit, bemoosten Strohdächer und grasende Tiere.

Langfristig hoffe ich auf politisch befriedete Zeiten in Russland, insbesondere für die Menschen, die dort leben. Denn dann werde ich noch auf der Wolga reisen und das Land ringsum schauen. Und natürlich dürfen die letzten Lebensstationen Rilkes nicht fehlen: Duino bei Triest und der Schweizer Kanton Wallis.

Und was schrieb Rilke eigentlich zur Kunst? „Kunst ist das Mittel Einzelner, Einsamer, sich selbst zu erfüllen. … Wisset denn, daß der Künstler für sich schafft – einzig für sich… Er hat im Innern nicht Raum für seine Vergangenheit, darum gibt er ihr in Werken ein losgelöstes, eigenmächtiges Dasein. Aber nur weil er keine andere Materie weiß als die eurer Welt, stellt er sie in eure Tage. Sie sind nicht für euch. Rühret nicht daran, und habet Ehrfurcht vor ihnen. Tb, S. 35, Mai 1898“

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sibyll maschler: Die Frau und der Hemul

Die Frau und der Hemul Diese Geschichte beginnt an einem schmalen Landstrich, der zwischen den flach ansteigenden Hügeln, Bergen und Tälern im Osten und den weiten Ebenen des Westens lag. Dieses Land bildete eine Schnittstelle, eine Grenzregion. Die sich westlich erstreckenden Ländereien ...

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Die Frau und der Hemul

Diese Geschichte beginnt an einem schmalen Landstrich, der zwischen den flach ansteigenden Hügeln, Bergen und Tälern im Osten und den weiten Ebenen des Westens lag. Dieses Land bildete eine Schnittstelle, eine Grenzregion. Die sich westlich erstreckenden Ländereien waren flaches, regloses Brachland, aber die sich östlich ausdehnende Landschaft bewegte sich sanft. Sie atmete in stetem Gleichmaß. Zwar blieben die Hügel, Wiesen und Wälder an ihren Orten, doch hoben und senkten sie sich in gleichmäßigem Rhythmus um etwa einen Fuß. So konnten deren Bewohner ohne Straucheln durch die Landschaft streifen. Jeder Schritt war achtsam. Das Quellwasser schien zu raunen: ´Komm, erfrische dich, trink´. Der Fluss lud zum Baden ein, zum Eintauchen und Fließen an neue Ufer. Vögel erfüllten Bäume und Himmel mit ihrem Gezwitscher und Gesang. Rotkehlchen und Amseln flogen von Grün zu Grün, Lerchen den Wolkenbildern entgegen. Pfauenaugen und Zitronenfalter verbreiteten ringsum Farben und Leichtigkeit. Alles fühlte sich lebendig an, floss warm und weich und stupste vorsichtig das Nächste an. Die Bewohner des Ostens waren wach und sich selber gewahr.

Im Westen dagegen herrschte der Hemul über das Land. Er war unförmig, groß und ausgebeult, gleich riesigen Kartoffelsäcken, die als Masse waberten. Der Hemul war so gewaltig angeschwollen und ausgewuchert, dass das Land unter ihm zu atmen aufgegeben hatte. Es gab zwar hier und da bizarre Gebilde, aber der Hemul hatte sie alle einzeln konserviert. Wundersame Parkanlagen waren mit Klarlack überzogen, kleine Schlösser mit flüssigem Harz. Skulpturen hatte der Hemul mit schweren Holzplatten eingehaust, Papyrusrollen mit Asche beschmiert und Gespräche in Gläser eingeweckt. Der Hemul goss große, schleimgefüllte Eimer über die Ebenen, so dass alle Vorzeit erstarrte. Es war seine Aufgabe, die vergangene Zeit stillzulegen. So gewann er an Macht und vor allem an Gewicht.

Allein das schmale Stück Land und seine unschätzbare Bewohnerin verhinderten, dass der Hemul auf die atmende Seite übergreifen konnte. Denn eine Frau bewohnte diese Knautschzone, diesen Puffer zwischen der Vergangenheit und dem, was ist. Ihr Haar war schulterlang und meist ein wenig zerzaust. Sie trug lange Kleider aus Leinen, blau, beige, weinrot, fast immer einfarbig. Flache, leichte Schuhe ermöglichten ihr einen guten Kontakt mit dem Boden. Es wurde gesagt, die Frau beherberge in ihrer Hütte etwas Blinkendes, Tanzendes, aber keiner wusste, was es wirklich war. Und geflüstert wurde, dass die Frau insgeheim immer wieder einmal versuchen würde, dem Hemul etwas Land abzutrotzen. Dieses Getuschel war dem Hemul nicht verborgen geblieben. Seither war er bemüht, seiner anhaltenden Müdigkeit mit längerem Herumwälzen etwas entgegen zu wirken.

Eines Tages, als sich der Hemul wieder einmal scheinbar satt und träge auf der Ebene ausgebreitet hatte, legte die Frau ihren Pflug an und versuchte in des Hemuls Reich vorsichtig einzudringen. Doch darauf hatte der Hemul nur gewartet. Es kam zu einem heftigen Durcheinander und lautstarkem Streit. Plötzlich ergriff der Hemul einen kleinen, aber sehr kantigen Stein und schleuderte ihn der Frau mitten ins Gesicht. In diesem Moment wurde es dunkel um sie. Die Frau erblindete. Und es breitete sich ein großer Schmerz aus. Unsicheren Schrittes, fast tastend, ging sie in ihre Hütte zurück. Doch nach kurzem Verweilen nahm sie mit festem Griff ihr Zauberschwert, ließ sich von diesem nach draußen führen und erstach den Hemul mit einem Hieb. Gelber Schlamm, mächtige Steine, graugrüner Morast und vieles mehr erbrachen sich über dem Land. Ätzender Gestank breitete sich aus. Es roch nach Schweiß, Blut und Metall, es gluckste und gurgelte und waberte zähflüssig.

Aber irgendwann war die ganze Masse des Hemuls im Boden versickert, der Geruch verzogen und seine nachhallenden Schreie verstummt. Der Nebel verzog sich. Am Himmel konnte es licht werden.

Offen blieb, ob die Frau einen Weg ebnete zwischen dem flachen Land des Westens und den Hügeln, Quellen und Bergen des Ostens. Würde das Dunkle, das Vergangene sich abermals sammeln und zusammenrotten können? Oder wären gar die bunten Wiesen und bewegten Wälder in der Lage den Westen zu befruchten?

Foto und Text von sibyll maschler – Januar 2015

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sibyll maschler: EinSatz-Gedichte

EinSatz-Gedichte für Pater Reinhard - Ich Ich höre Ich höre im Kloster Ich höre im Kloster auf ...

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Foto: von Sibyll Maschler

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EinSatz-Gedichte

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– für Pater Reinhard –

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Ich
Ich höre
Ich höre im Kloster
Ich höre im Kloster auf
Ich höre im Kloster auf weisende Wahrheit

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Nacht
Die Nacht ist
vorgedrungen
zum Denken
und Erfüllen

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Im Schweigen
Im Schweigen bleiben
Im Schweigen bleiben wir
Im Schweigen bleiben wir einander Geheimnis

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Selbst
Selbst im dichtesten Wald
bleibt in den Wipfeln
Freiraum
zum Himmel

sibyll maschler: Lyrik und Fotos – Dezember 2014
Erstveröffentlichung des Textes hier im Blog am 11. Dezember 2014.

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sibyll maschler: Zeiten der Dürre

Zeiten der Dürre des Wartens und der Suche gebären Klarheit

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Sibyll Maschler Foto: Zeiten der Dürre

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Zeiten der Dürre

des Wartens und der Suche
gebären Klarheit
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Lyrik und Foto von sibyll maschler
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Erstveröffentlichung des Textes hier im Blog am 10. Dezember 2013.
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sibyll maschler: Echolot

Echolot Worte zögernd abgewogen zwischen Äpfeln und Brot geschnitten zermalmt geschluckt Worte manchmal aufgescheucht wie Vögel ...

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Foto: von Sibyll Maschler

Foto: von Sibyll Maschler

…………Echolot

Worte
zögernd abgewogen
zwischen Äpfeln und Brot
geschnitten zermalmt geschluckt
Worte manchmal aufgescheucht
wie Vögel
durch helles Lachen
Blicke wechseln Stimmen
im Gewirr
zugeweht
gleich einer Brise
am Straßenrand
ausgelotet
im Gewölbe lauschen
ruht dunkel Leben
in Zwischenräumen
rinnt Wasser tropft hallt wider
danach endlich stufenweiser Aufstieg
im Sonnenlicht schmilzt Reif
unter den Schritten
Stöcke und Steine
im Tal
offenes Glas

Februar 2015
Lyrik und Foto von sibyll maschler

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sibyll maschler: Alte Vogelskulptur

Alte Vogelskulptur Auf den zweiten Blick fehlen die Spitzen die Enden das Ruder um den Flug zu lenken das Zerbrechliche ...

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Foto Skulptur von Sibyll Maschler.

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Alte Vogelskulptur

Auf den zweiten Blick
fehlen die Spitzen
die Enden
das Ruder
um den Flug zu lenken
das Zerbrechliche
gebrochen
was bleibt
ist der Blick
in den Himmel
die Stimme
der Schrei
vom Grunde hinauf

sibyll maschler Text und Foto – 30. Mai 2014

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sibyll maschler: Abbitte

Wende deinen Blick von mir dann lass meine Hände los unsre Lieder verstummen erhebe deine Schwingen Lieber, fliege endlich fort und nimm deine Seele mit

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Gewässer Foto von sibyll maschler

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Wende deinen Blick von mir
dann lass meine Hände los
unsre Lieder verstummen
erhebe deine Schwingen
Lieber, fliege endlich fort
und nimm deine Seele mit

sibyll maschler: Lyrik und Foto – Juli 2014

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sibyll maschler: Gedankenblöcke

Du mein Quell brachtest verdorrtes Land zum Knospen und Blühen bis unsere Mauern aus Lehm und Glas zum Staudamm wurden

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Du
mein Quell
brachtest verdorrtes Land
zum Knospen und Blühen
bis unsere Mauern
aus Lehm und Glas
zum Staudamm wurden

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Lyrik und Foto von sibyll maschler – März 2014

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sibyll maschler: Was übrig bleibt

Die Werkstatt war vom Licht durchflutet und voller Gegenstände. Früher, als die Wände noch mit Kalk geweißt wurden, reflektierten sie die Helligkeit der Sonne. Inzwischen hatte die Zeit aber ihre Spuren hinterlassen. Die vergilbten Wände hatten Risse, ...

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Die Werkstatt war vom Licht durchflutet und voller Gegenstände. Früher, als die Wände noch mit Kalk geweißt wurden, reflektierten sie die Helligkeit der Sonne. Inzwischen hatte die Zeit aber ihre Spuren hinterlassen. Die vergilbten Wände hatten Risse, Löcher und Einschlüsse aus Stein, Glas und Metall. Oberflächlich lagerten Gips, Ton- und Wachsspuren. Außerdem gab es viele Gerüche hier. In einer Ecke roch es nach frischem Holz und Bienenwachs, in der anderen nach Farben und Lacken, hinter einer hölzernen Absperrung hatte man das Gefühl, als läge metallischer Geschmack auf der Zunge.

Die Frau, von der hier erzählt wird, war in diesem großen, teils verwinkelten Raum fast groß geworden. In ihrer Kindheit hatte sie spielerisch von ihm Besitz ergriffen, ihn nach und nach umgestalten dürfen. So veränderte sich mit den Jahren, besonders während der Ausbildung zur Bildhauerin, der alte Lagerraum in ein Atelier. Das Fachwerk blieb immer sichtbar, denn es gab ihr Struktur.

Als sie noch eine junge Frau war, bevorzugte sie die Arbeit mit hartem Material. Sie liebte Gestein, die Kühle und den Glanz, besonders aber den Widerstand, den es bot. Es machte ihr Freude, mit Kraft zu behauen. Jeder Schlag tönte weit ins angrenzende Feld hinein. Es war, als könnte sie all ihre Energie in Stein meißeln. Das machte sie nicht nur glücklich, sondern die Werke auch stolz und schön. Außerdem hatte sie die Gabe, rasch zu erkennen, welche Figur sich in welchem Gesteinsblock verbarg. So brauchte sie das Innere nur noch freizulegen, ohne es dabei zu beschädigen oder gar zu zerstören. Doch mit den Jahren verlor sich die Begeisterung für das gewaltige Handwerk. Sie wurde allmählich ruhiger. Auch ließen die Kräfte nach. Die Fahrten zum Steinbruch nahmen ab. Schließlich griff sie zu weichen Materialien. Zunächst war es ungewohnt, nach Treibholz zu suchen oder Baumstämme zu organisieren. Aber bald darauf entdeckte sie die Wärme und Struktur des Holzes für sich. Sie liebte die Düfte der verschiedenen Holzarten. Einige Skulpturen beließ sie deshalb sogar im Raum, sie mochte ihre Gesellschaft.

Und dann, wieder viele Jahre später, sollten die Werke von klein an wachsen, zum Beispiel aus Ton und Lehm. Sie gab nun lieber etwas dazu, vermehrte die Masse, damit eine Figur entstand. Keine Abspaltung mehr, sondern Ergänzung.

Eines Tages, als sie den Lehm gebrannt hatte, fiel ihr auf, wie unfertig ihr Gebilde eigentlich noch war. Sie spürte einen Fehler, eine deutliche Lücke und erschrak über den Mangel. So kam ihr der Gedanke, eine Mischform zu kreieren. Sie ergänzte die Keramik mit Wachs. Später, während sie die Farbe darüber pinselte, war sie recht zufrieden mit dieser Kombination.

Die Arbeit mit Wachs ging wunderbar leicht von der Hand. Sie benötigte nur Zeit und Geduld. Die Skulpturen fühlten sich geschmeidig und fließend an. Zwar war diese Technik für eine Bildhauerin eher ungewöhnlich, aber das machte ihr nichts aus. Es wurde auch unwesentlich, wie lange eine Skulptur überdauern würde. Vieles war nun vergänglicher als früher. Bis zu einem gewissen Maße wurde es auch unwichtig, welchen Gewinn die Bildhauerin aus ihren Arbeiten erzielte. Mit zunehmendem Alter verschenkte sie sogar ihre Lieblingsstücke, manchmal ihre kostbarsten. Jedenfalls entstanden nun auch verschiedene Figuren aus Wachs, anfangs kleine, dann größere, die zu stattlicher Pracht heranwuchsen. Da sie dadurch aber immer mehr Wachs benötigte, entschloss sie sich, das Grundgerüst aus Lehm zu formen. Dann begann sie den ersten Menschen mit dieser Schichtung. Er schien sehr kraftvoll und gleichsam lebendig zu sein, so dass sie ihn immer und immer wieder verändern und ergänzen musste. Die Tage reichten nicht aus, um ihm gerecht zu werden. Deshalb begann sie auch nachts zu arbeiten. Da waren die Konturen scharf und die dahinter liegende Dunkelheit tief. Sie formte und formte, voll Leidenschaft, fast besessen. Und sie nahm immer mehr Wachs. Dann blieb es an ihren Händen kleben, am Haar, rann an den Armen herab, an der ganzen Kleidung glitt es bis zu den Füßen herunter. Die Schichten wurden dicker, so dass sich die unteren verfestigten und die Bewegungen erschwerten. Aber sie ließ nicht nach, denn diese Figur schien unersättlich und wuchs und wuchs über sich hinaus. Sie verlangte nach mehr, nach kräftigen Händen und einem starken Rumpf. In der Wärme des Feuers löste sich das Gesicht leicht und verlor an Kontrolle. Die Wangen drohten zu entgleiten, die Mundwinkel zu erschlaffen. Die Lider wurden schwer. Aber sie mühte sich um Halt, denn sie wollte sie vollenden. So ging sie immer wieder zu dem Topf über dem lodernden Feuer, um das Wachs zu schmelzen. Bis das Feuer übergriff. Sie spürte die Verschmelzung von Kleidung, Haut und Haar, von Wachs und Lehm. Die Wärme durchdrang ihren Körper, aber sie spürte es kaum, denn das Wachs floss nun geschmeidig auf die neue Skulptur. Ringsum fingen die Balken Feuer, so dass die Hitze unerträglich und ihre Schreie unhörbar wurden. Das Wachs zerrann und ergoss sich am Boden. Der Lehm, die Urgestalt, wurde gebrannt und erstarkte in der ersten Form.

Und am Morgen, als sich die Asche über dem Ort gelegt hatte, stiegen noch immer kleine Rauchschwaden zum Himmel hinauf.

 Juli 2012

Der Text wurde veröffentlicht in der Anthologie unDichternebel: 2001 – 2015.

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sibyll maschler: Blick in den Spiegel

Manchmal matt noch beschlagen von nächtlichen Träumen die Ränder blind dunkel gefleddert die Ecken stumpf mit schweren Lidern das Angesicht ...

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Manchmal matt
noch beschlagen
von nächtlichen Träumen
die Ränder blind
dunkel gefleddert die Ecken
stumpf mit schweren Lidern
das Angesicht
fällt quecksilbergleich
blickdicht
auf die Oberfläche
fließen Tropfen
Streifen durch Nässe
Du
öffnest das Fenster
mir
lass uns
schauen am Morgen
ob sich der Himmel spiegelt

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November 2013

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