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Lars Steger: Mutmaßungen über Jochen
Er sagt
über ihn zu reden sei nicht nötig
seine Gedichte zu verstehen
so sitz ich sprachlos
vor Texten, die ich übersetzen will
mache mir bewusst, was ich weiß
ohne ihn zu fragen
dass das stolze Land, in dem er geboren wurde,
verschwand von den Karten der Welt
dass man plötzlich wieder verhungern kann
und Menschen anderer Nationalität
wieder mit Misstrauen angesehen werden
in einer Gegend
in der für die Gleichheit aller jährlich
Transparente über die holprigen Straßen getragen worden waren
und Menschen in die Kälte Sibiriens geschickt
dort wurde er geboren
in einem Dorf, das nur eine Nummer trug
was selbst seine Frau erstaunte
so geheim also war der Ort
wieder kann ich nur fragend ahnen
aus dem, was ich ohne ihn weiß
kamen seine Vorfahren mit der preußischen Prinzessin
die später die Große genannt wurde?
wurden sie vom dem, der sich der Stählerne nennen lies
aus der Weizenkammer des Landes
in den Permafrost verbannt,
weil einer die gemeinsame Nationalität
der Überfallenden und Überfallenen fürchtete?
oder schickte sie frühere oder spätere Überzeugung
des Terrors oder der Notwendigkeit dorthin?
als Täter oder Opfer? – in jedem Fall
als Sieger der Geschichte – glaubten sie
und ich erinnere mich noch: glaubte auch ich
was bleibt einem Jungen, der aufwächst
in Halbwahrheiten und Verschweigen
als Glauben an die Notwendigkeit der Entberungen
des ewig gefrorenen Bodens
auf dem die ärmlichen Häuser stehen
vielleicht wuchs schon sein Vater so auf
vielleicht trug sein Dörfchen keinen Namen
weil es Staatsgeheimnis Nummer 282 war
vielleicht bleibt er so Geheimnisträger
eines Staates, den es nicht mehr gibt
eines Landes, das den Nachkommen
der vor Jahrhunderten Geworbenen
keine Perspektive mehr bietet
weil es selbst keine mehr sieht
vielleicht ist ihm auch nur unangenehm,
dass er keinen Abschluss vorzuweisen hat
in einem Land, in dem Abschlüsse zählen
und nicht, dass man Meister in der Tischlerei
und Klempnerwerkstatt war, weil man es konnte
weil jeder Tag einen prüfte und keine Handwerkskammer,
dass er seine Familie ernähren und kleiden konnte
ohne die Nationalitätszuständigkeit eines Staates
in Anspruch nehmen zu müssen
damals dort in der kalten Heimat,
dass seine Gedichte gelesen wurden in Zeitungen
er sie vortragen konnte im Sender einer Region
die größer war als die Republik, in der er nun lebt und
in deren Sprache sich erst seine Enkel problemlos verständigen,
dass er dennoch in ein Land gegangen ist
in dem jeder seiner großen Familie besser leben kann
als er
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über ihn zu reden sei nicht nötig
aber so verstehe ich seine Gedichte
den Verlust,
des Glaubens, in dem er aufwuchs,
von der Welt, Heimat, Sprache
und sich
dem Tatmenschen,
dem man zuwenig zu tun gibt
*
und mit seinen Gedichten
verstehe ich meinen Nachbarn besser
der ab und zu betrunken vor meiner Tür steht
in gebrochenem Deutsch
weil er sich ausgesperrt hat
und über meinen Balkon
in seine Wohnung steigen kann
und ich verstehe vielleicht
mich ein klein wenig besser
weil ich mir lesend die Frage
nach meinen Verlusten zugestehe
für J. Hartung und Magdalene
Lars Steger
Nottekunst – Hagen Ludwig – Stillleben Collagebild
Hagen Ludwig - Stillleben Collagebild*
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Gerhard Jaeger: Der Platzwart
Löwenzahn Immerzu muss ich warten Das Goldei flirrt im Tiefblau Wäscheinseln im Gras Immerzu muss ich warten Handtücher um braungebirgige Schultern Haut im Tortenspeck Immerzu warten, hier kommt gar nichts weg, ich steige von Maisprossen hoch zum Septembersteg, aber warten muss ich immerzu im Katzenfell des Sommers kraulen und bürsten Trockenheit, Wind den Haaren aus, aber warten muss ich kreuzen mit bauchigen Segeln Badegeschrei splittert ins Himmelsauge der Apfel einmal wird er stichig einmal stehle ich mich vom Platz dann habe ich genug vom ewigen Frühling dem Warten immerzu
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Löwenzahn
Immerzu muss ich warten
Das Goldei flirrt im Tiefblau
Wäscheinseln im Gras
Immerzu muss ich warten
Handtücher um braungebirgige Schultern
Haut im Tortenspeck
Immerzu warten, hier
kommt gar nichts
weg, ich steige
von Maisprossen hoch
zum Septembersteg, aber
warten muss ich immerzu
im Katzenfell des Sommers
kraulen und bürsten
Trockenheit, Wind
den Haaren aus, aber
warten muss ich
kreuzen mit bauchigen Segeln
Badegeschrei splittert
ins Himmelsauge
der Apfel
einmal wird er stichig
einmal stehle ich
mich vom Platz
dann habe ich genug
vom ewigen Frühling
dem Warten
immerzu
2011
Liane Fehler: Morgen-Gedanken
Ich alt gewordener Prediger der Liebe verbrenne nun mein Fleisch aus Mittelmaß seh im Spiegel fast die Knochen schimmern lach mir zu doch oft lach ich mich aus*
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Ich alt gewordener
Prediger der Liebe
verbrenne nun
mein Fleisch
aus Mittelmaß
seh im Spiegel
fast die Knochen
schimmern
lach mir zu
doch oft lach
ich mich aus
20.April 2012
Gerhard Jaeger: Ode an ein hartes Wesen – aus der Anthologie unDichternebel: 2001 – 2015
Die Wortfeile möchte ich setzen Dir ans stählerne Ohr Vielleicht fallen ein paar Späne in die Muschel vielleicht gäbe es dann ein wenig Gekuschel*
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Ode an ein hartes Wesen
Die Wortfeile
möchte ich setzen
Dir ans stählerne Ohr
*
Vielleicht fallen*
ein paar Späne*
in die Muschel*
vielleicht gäbe es dann*
ein wenig*
Gekuschel
Das Gedicht wurde veröffentlicht in der Jubiläumsanthologie: “unDichterNebel” 2001 – 2015
(ISBN 978-3-941394-40-7 / Osiris Druck Lpz.)
Liane Fehler: Aus dem Vorwort zum Gewa 113 – Einmalig ist jeder
... Einmalig ist jeder. Bevor wir mit unserer Einzigartigkeit verschwinden, wird die Wortfeile angesetzt - erzählen wir, vom Hiersein, das viel ist und das uns seltsam angeht und auch weil wir spüren, dass uns das Hiesige braucht; binden wir den Sommer, wie einen großen bunten Strauß und riechen doch schon den Schnee und sehen den Wind, der sein Stakkato in unseren Gedankensand schreibt - unfassbar tausendabertausendweit tragen uns unsere Gedanken. Wir müssen laufen, über die weite offene Landschaft, mit dem Gewicht der alltäglichen Dinge; über den niedrigen Sonnenweg, durch einen Novembersturm, der den kahlen Apfelbaum zaust; erkennen dabei, die Verstrickung der kleinen und großen Geschichte. Richten noch mit Hoffnung eine Ode ans stählerne Ohr eines harten Wesens.*
Wie könnte man besser auf dieses Heft einstimmen, als mit einer Collage von euren Texten, die zeigen, wie nah wir beieinander sind und doch so verschieden? Ich hoffe, dass ihr euch hier wiederfindet und erkennt, wie in diesem ganzen, liebevoll gestalteten GeWa von Susann und Lars.
Einmalig ist jeder.
Bevor wir mit unserer Einzigartigkeit verschwinden, wird die Wortfeile angesetzt – erzählen wir, vom Hiersein, das viel ist und das uns seltsam angeht und auch weil wir spüren, dass uns das Hiesige braucht; binden wir den Sommer, wie einen großen bunten Strauß und riechen doch schon den Schnee und sehen den Wind, der sein Stakkato in unseren Gedankensand schreibt – unfassbar tausendabertausendweit tragen uns unsere Gedanken. Wir müssen laufen, über die weite offene Landschaft, mit dem Gewicht der alltäglichen Dinge; über den niedrigen Sonnenweg, durch einen Novembersturm, der den kahlen Apfelbaum zaust; erkennen dabei, die Verstrickung der kleinen und großen Geschichte. Richten noch mit Hoffnung eine Ode ans stählerne Ohr eines harten Wesens.
Wir wandern durch die stille Nacht, stapfen durch weiße Pracht und schweben bis der Nebel fällt herab und Blaue Lichter tanzen uns zauberhafte Lieder.
Einmalig ist jeder. Wir hören von der Apokalypse eines Menschen und seiner Seele können der Sprache und den „Windungen“ eines Gehirns auf Abwegen folgen. Wundern uns möglicherweise noch, warum das kleine Schwarze in die Autoverwertung muss. Aber nicht so sehr, denn wir wissen, dass es zwischen Himmel und Erde Dinge gibt, die nicht einfach zu begreifen sind.
Also, lassen wir den literarischen Ballon in die Höhe fliegen und hoffen, dass er nicht platzt, sondern wir mit ihm sacht über Wolken gleiten und wie die Täubchen in einem gemütlichen Kuschelnest landen. Dort träumen wir vom Muschel-Rauschen und geben der Liebe neue Namen und wünschen sie werde und bleibe, für uns alle, bis an die Grenzen aller Zeit. Amen
Liane Fehler
Ein kurzes Porträt: Christian Rempel
Geboren 1953 in der Heldenstadt
heldenhaft Physik studiert
dann promoviert
sich selbst zum Dichter gekürt
abserviert
schließlich privatisiert
ein Handwerker nur
der auffasst, gestaltet, hat seins
Heute am Stadtrand der Hauptstadt
Gedichtladen Waltersdorf:
Ein kurzes Porträt: Gerhard Jaeger
Gerhard Jaeger Maler und Lyriker lebt in Berlin 1948 in Prenzlauer Berg geboren, nach dem Abitur zunächst Maschinenbau studiert, 1975 - 1978 Studium Literatur und Kunst in Leipzig danach Arbeit an Bildern und Gedichten Publikationen im Verlag "Neues Leben" in Zeitschriften und Zeitungen Studienaufenthalte 1982 Ukraine Erdgastrasse im Raum Ivanow Frankowsk, 1994 Griechenland Kreta, 1998 Italien Toskana, 2002 und 2007 Sizilien, 20010 Cuba Ausstellungen: Im Zeitraum von 1982 bis 2012 verschiedene Ausstellungen, in letzter Zeit 2004 Berlin Fa. Springer, 2005 bis 2007 Berlin in Arztpraxen, Kneipen, 2010, 2011 und 2012 im MGH König Wusterhausen seit 2007 Verkaufsausstellung im Naturkosmetikladen "Lotte" Prenzlauer Berg .
Maler und Lyriker
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lebt in Berlin
1948 in Prenzlauer Berg geboren, nach dem Abitur zunächst Maschinenbau studiert,
1975 – 1978 Studium Literatur und Kunst in Leipzig
danach Arbeit an Bildern und Gedichten
Publikationen im Verlag „Neues Leben“ in Zeitschriften und Zeitungen
Literaturkritiken u.a. in “Sinn und Form“
Studienaufenthalte 1982 Ukraine Erdgastrasse im Raum Ivanow Frankowsk, 1994 Griechenland Kreta, 1998 Italien Toskana, 2002 und 2007 Sizilien, 2010 Kuba
Ausstellungen im Zeitraum von 1982 bis 2012 verschiedene Ausstellungen,
in letzter Zeit 2004 Berlin Fa. Springer, 2005 bis 2007 Berlin in Arztpraxen, Kneipen, 2010, 2011 und 2012 im MGH König Wusterhausen seit 2007 Verkaufsausstellung im Naturkosmetikladen „Lotte“ Prenzlauer Berg.
Auszug aus einem Briefwechsel
Guten Morgen und einen erfolgreichen Tag, lieber Oke.
Vielen Dank für die Glückwünsche. Man muss ja nicht nachrechnen, wie viele Weihnachtsbäume man noch schmücken wird nach hinten raus und bis zur seligen Auffahrt. Ohne das lebt es sich lustiger. Ich habe Deine Gedichte gelesen und versucht ihnen näher zu kommen. Dabei sind mir Schlüsselwörter aufgefallen, die für die Erschließung des Textes wichtig sind. Da konnte ich nicht anders, musste Hand anlegen, als Maler und Poet. Habe mir aus Deinem Text eine Lesart gepinselt. Nee, nee, wissenschaftlich ist das nicht und ob es Gültigkeit besitzt, müsste der Leser/Hörer entscheiden. Aber: Es ist meinem Sprachempfinden geschuldet und meinem Hang nach (Sinn)Bildern zu suchen. Auch ein Gedicht hat Bildebenen. So rücke ich mir Worte in den Vordergrund (an den Zeilenanfang, in ein Reimschema, oder in die Pointe) denen ich eine tragende Funktion aufbürde. In die Mittelebene gehören Zeichen, Metaphern, Symbole. Damit können die Verben auf dem Wege zum Sinnigen reisen. Den Texthintergrund erhellen die Stimmung, Klang, Rhythmik, Farbe, Licht, Befindlichkeit. So ist der Schreibanlass geborgen im bildhaften (Sprach)Raum. Wenn’s funktioniert, ist man im Bild. Das sind dann die klarsten Stunden….
Danke für die Texte. Wann bekomme ich mehr Herr Mime?
Herzliche Grüße
An Euch und alle Poeten
Gerhard
Doris Bemme: Von Sinnen
Von Sinnen Loslassen Mit allen Sinnen Sinnlos Sinn loslassen Lass sein LOS!Loslassen
Mit allen*
Sinnen*
Sinnlos*
Sinn loslassen*
Lass sein*
LOS!