Kleiner Einstieg in eine packende Geschichte
Das hier, liebe Petra, schreibe ich in erster Linie für Dich. Sozusagen mein zweiter Brief. Den ersten schrieb ich Dir Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als Du etwa 15 Jahre alt warst. Damals wollte ich Dich zum Schreiben ermutigen, denn mir waren einige Wesenszüge an Dir aufgefallen. Du warst im Zirkel Schreibender Schüler immer eine Distanzierte, warst diejenige, die für ein Gedicht zu fleißig war. Bei Dir musste erzählt werden, prägnant und glaubwürdig. Zuverlässig und genau hast Du beobachtet und Dir so einen literarischen Grundbaustein geschaffen.
Vor drei Tagen nun trafen wir uns wieder in alter Runde, wenn man so sagen darf, aber mit neu verteilten Rollen. Petra Kasch, die Autorin, Du warst eingeladen zu einer Autorenlesung in die Wildauer Bibliothek, um Dein nunmehr 5. Buch “ Ferien mit Mama und andere Katastrophen“ (erschienen im Ravensburger Buchverlag) vorzustellen. Schon komisch, Du jetzt eine Frau und erfolgreiche Autorin in der Lebensmitte und neben Dir die Bibliothekarin Annett Goldberg, die Dich zur Lesung einlud, weil ihr Dein Buch so toll gefallen hatte, weil sie es in einer Nacht in sich hinein gelesen hatte und weil sie genau wusste, wer diese Petra ist. Eine alte Bekannte aus dem damaligen Zirkel Schreibender Schüler. Qualität zu Qualität, will ich sagen. Aber nun zur Lesung…
Du liest vor 57 Schülern im Alter zwischen 11 und 13 Jahren. Du liest zumeist im Stehen. Keine Versprecher, keine Schnörkel. Das, was die Erzählung hergibt, vermittelst Du professionell und absolut überzeugend. Woher weiß ich das? Ich saß in der letzten Reihe und habe mir Deine Zuhörer genau angesehen. Das Ergebnis: Jungs und Mädchen hingen an Deiner Story. – Will schon was heißen -, denn gerade die jungen Jungs hätten gähnen können, denn die Heldin Deiner Geschichte, Sophie, ein ca. vierzehnjähriges Mädchen, fliegt mit ihrer Mutter nach Kreta in den Urlaub. Aber, aber was diese Sophie anstellt, erlebt, wie sie denkt und redet im Strudel vieler Peinlichkeiten, die die Erwachsenen in ihre Perspektive streuen, das ist treffsicher auf den Rezipienten zugeschrieben. Da sperren auch die Jungs Ohren und Augen auf…
Sicher hast Du die Episoden gewählt und so Deine Heldin und ICHERZÄHLERIN lebendig in Szene gesetzt.
Peinlichkeiten, so kann man sagen, passieren zuhauf aus der Sicht Sophies. Beim Einchecken muss Sophie feststellen, dass ausgerechnet ein Lehrer aus ihrer Schule zur ihrer Reisegruppe gehört, die offensichtlich ohnehin nur aus (Ex-)Lehrern besteht. Sie fällt gleich auf, denn ausgerechnet ihr Koffer hat Übergewicht. Warum??? Ein Geheimnis, das Du bei der Lesung nicht aufdeckst, klar – soll man selbst lesen…
Peinlich auch dieser Mathelehrer, der nackt auf dem Balkon rumturnt. und obendrein dieser Reiseleiter, der ständig um Sophies Mutter herum scharwenzelt.
Dann wirft Sophie ein Auge auf einen adonishaften Kellner, an den sie sich gern ranmachen würde. Doch wie macht man das in ihrem Alter, ohne etwas Peinliches anzustellen?
Solche Szenen leben von der Erlebnisfähigkeit der Heldin, leben mit ihrer Psyche. Das wird gut charakterisiert. Äußerlich ist relativ wenig im Gange, aber in Sophie ist alles in Bewegung. Genau das lässt die Ereignisse nachvollziehbar werden und unbedingt glaubhaft erscheinen.
Sophies Sinnlichkeit und manchmal auch ihre trotzigen Abwehrreaktionen haben mir dieses Mädchen nahe gebracht.
Ereignisse, wie das nächtliche Stranderlebnis von Sophie mit dem jungen Kellner, die Begegnung mit der “Schlangengöttin“ in der Kirche oder das Umherirren der Reisegruppe in einer Höhle oder der angebliche Kunstraub, der die Reisegruppe für eine Nacht ins Gefängnis verbannt, bilden den Rahmen, um zu zeigen, wie die Icherzählerin diese aufnimmt, verkraftet und bewältigt. Was macht es da schon, wenn Sophie merkt, ihre Mutter hat Platzangst in der Höhle, was macht es da schon, wenn Sophie ihr einen jener Knabberkekse organisiert, die leichte Halluzinationen hervor rufen??? Und wie nun weiter?
Jetzt will ich aufhören, denn neben mir liegt Dein Buch und ich will es endlich lesen. Soviel zum Schluss: Wieder hat sich gezeigt: Es lohnt zu Dichterlesungen zu gehen!
Für die Einladung dazu danke ich Dir und unserer Bibliothekarin Annett. Ich wünsche Dir Erfolg und bin neugierig auf den nächsten Band Deiner Erzählung, der ja nun schon fast fertig im Lektorat auf dem Tisch liegt.
… ja, wenn man Petra zu hört, bekommt man Lust zum Lesen….
darum grüßt Dich ganz herzlich
Gerhard Jaeger