Etwas ist neu am Sitzen. Dachte bisher, man sitzt in diversen dafür vorgesehenen Möbeln oder je nach Bodenbelag eben darauf und kommt mit den Ameisen klar oder nicht. Und steht auf, wenn’s weh tut oder es irgendwie Zeit ist. Aber so direkt mitten in der Zeit sitzen, festsitzen, kein Hafturlaub und sowieso per se angeklagt, ein Corona-Verbreiter zu sein – ist neu. Ich hatte mal irgendwelche Rechte, aber das war davor. Alles davor war die alte Zeitrechnung. Kuckst du Bilder mit vielen Leuten an, weißt du gleich: davor. Christi Auferstehung dieses Jahr gleich auf die neue Art gefeiert. Omas Geldbrief im Briefkasten gefunden. Effizient. Musste auch nicht wegen des Kartoffelsalats lügen, brauchte ihn gar nicht erst essen. Gefällt mir. Und im Schlafanzug mit Laptop aufm Schoß auf der Couch heißt homeoffice. Sitzt sich total bequem. Kein Stau aufm Weg ins Büro. Auch schön.
Nur nicht dran denken. Wo ich jetzt eigentlich…in transatlantischen Bussen… gesessen hätte. Kratzige Stoffe südamerikanischer Bäuerinnen im Schlaglochrhythmus andiner Serpentinen auf die Haut gepresst, nur nicht raus in den Abgrund schauen, nicht die Augen zumachen, aufs Gepäck achten, immer, und die Ohren verstopfen, all die telenovelas ohne Unterlass und mein Magen oder Darm würden ab und zu ihren Unmut äußern müssen über was man hier so verdauen soll, ach eigentlich…
…sitze ich dort auch grade fest. Aber denk ich mir alte Holzdielen und Brandung dazu. Denk ich mir mitten in Chile eine Insel. Isla Negra. Und bin dort im gesammelten Leben von Pablo Neruda zwischen Gallionsfiguren, Flaschenschiffen und Muscheln, Sesseln auch. Sitze dort außerhalb der Zeit und schreibe zwanzig Liebesgedichte aus Wind und Leidenschaft und Poesie.