Die Werkstatt war vom Licht durchflutet und voller Gegenstände. Früher, als die Wände noch mit Kalk geweißt wurden, reflektierten sie die Helligkeit der Sonne. Inzwischen hatte die Zeit aber ihre Spuren hinterlassen. Die vergilbten Wände hatten Risse, Löcher und Einschlüsse aus Stein, Glas und Metall. Oberflächlich lagerten Gips, Ton- und Wachsspuren. Außerdem gab es viele Gerüche hier. In einer Ecke roch es nach frischem Holz und Bienenwachs, in der anderen nach Farben und Lacken, hinter einer hölzernen Absperrung hatte man das Gefühl, als läge metallischer Geschmack auf der Zunge.
Die Frau, von der hier erzählt wird, war in diesem großen, teils verwinkelten Raum fast groß geworden. In ihrer Kindheit hatte sie spielerisch von ihm Besitz ergriffen, ihn nach und nach umgestalten dürfen. So veränderte sich mit den Jahren, besonders während der Ausbildung zur Bildhauerin, der alte Lagerraum in ein Atelier. Das Fachwerk blieb immer sichtbar, denn es gab ihr Struktur.
Als sie noch eine junge Frau war, bevorzugte sie die Arbeit mit hartem Material. Sie liebte Gestein, die Kühle und den Glanz, besonders aber den Widerstand, den es bot. Es machte ihr Freude, mit Kraft zu behauen. Jeder Schlag tönte weit ins angrenzende Feld hinein. Es war, als könnte sie all ihre Energie in Stein meißeln. Das machte sie nicht nur glücklich, sondern die Werke auch stolz und schön. Außerdem hatte sie die Gabe, rasch zu erkennen, welche Figur sich in welchem Gesteinsblock verbarg. So brauchte sie das Innere nur noch freizulegen, ohne es dabei zu beschädigen oder gar zu zerstören. Doch mit den Jahren verlor sich die Begeisterung für das gewaltige Handwerk. Sie wurde allmählich ruhiger. Auch ließen die Kräfte nach. Die Fahrten zum Steinbruch nahmen ab. Schließlich griff sie zu weichen Materialien. Zunächst war es ungewohnt, nach Treibholz zu suchen oder Baumstämme zu organisieren. Aber bald darauf entdeckte sie die Wärme und Struktur des Holzes für sich. Sie liebte die Düfte der verschiedenen Holzarten. Einige Skulpturen beließ sie deshalb sogar im Raum, sie mochte ihre Gesellschaft.
Und dann, wieder viele Jahre später, sollten die Werke von klein an wachsen, zum Beispiel aus Ton und Lehm. Sie gab nun lieber etwas dazu, vermehrte die Masse, damit eine Figur entstand. Keine Abspaltung mehr, sondern Ergänzung.
Eines Tages, als sie den Lehm gebrannt hatte, fiel ihr auf, wie unfertig ihr Gebilde eigentlich noch war. Sie spürte einen Fehler, eine deutliche Lücke und erschrak über den Mangel. So kam ihr der Gedanke, eine Mischform zu kreieren. Sie ergänzte die Keramik mit Wachs. Später, während sie die Farbe darüber pinselte, war sie recht zufrieden mit dieser Kombination.
Die Arbeit mit Wachs ging wunderbar leicht von der Hand. Sie benötigte nur Zeit und Geduld. Die Skulpturen fühlten sich geschmeidig und fließend an. Zwar war diese Technik für eine Bildhauerin eher ungewöhnlich, aber das machte ihr nichts aus. Es wurde auch unwesentlich, wie lange eine Skulptur überdauern würde. Vieles war nun vergänglicher als früher. Bis zu einem gewissen Maße wurde es auch unwichtig, welchen Gewinn die Bildhauerin aus ihren Arbeiten erzielte. Mit zunehmendem Alter verschenkte sie sogar ihre Lieblingsstücke, manchmal ihre kostbarsten. Jedenfalls entstanden nun auch verschiedene Figuren aus Wachs, anfangs kleine, dann größere, die zu stattlicher Pracht heranwuchsen. Da sie dadurch aber immer mehr Wachs benötigte, entschloss sie sich, das Grundgerüst aus Lehm zu formen. Dann begann sie den ersten Menschen mit dieser Schichtung. Er schien sehr kraftvoll und gleichsam lebendig zu sein, so dass sie ihn immer und immer wieder verändern und ergänzen musste. Die Tage reichten nicht aus, um ihm gerecht zu werden. Deshalb begann sie auch nachts zu arbeiten. Da waren die Konturen scharf und die dahinter liegende Dunkelheit tief. Sie formte und formte, voll Leidenschaft, fast besessen. Und sie nahm immer mehr Wachs. Dann blieb es an ihren Händen kleben, am Haar, rann an den Armen herab, an der ganzen Kleidung glitt es bis zu den Füßen herunter. Die Schichten wurden dicker, so dass sich die unteren verfestigten und die Bewegungen erschwerten. Aber sie ließ nicht nach, denn diese Figur schien unersättlich und wuchs und wuchs über sich hinaus. Sie verlangte nach mehr, nach kräftigen Händen und einem starken Rumpf. In der Wärme des Feuers löste sich das Gesicht leicht und verlor an Kontrolle. Die Wangen drohten zu entgleiten, die Mundwinkel zu erschlaffen. Die Lider wurden schwer. Aber sie mühte sich um Halt, denn sie wollte sie vollenden. So ging sie immer wieder zu dem Topf über dem lodernden Feuer, um das Wachs zu schmelzen. Bis das Feuer übergriff. Sie spürte die Verschmelzung von Kleidung, Haut und Haar, von Wachs und Lehm. Die Wärme durchdrang ihren Körper, aber sie spürte es kaum, denn das Wachs floss nun geschmeidig auf die neue Skulptur. Ringsum fingen die Balken Feuer, so dass die Hitze unerträglich und ihre Schreie unhörbar wurden. Das Wachs zerrann und ergoss sich am Boden. Der Lehm, die Urgestalt, wurde gebrannt und erstarkte in der ersten Form.
Und am Morgen, als sich die Asche über dem Ort gelegt hatte, stiegen noch immer kleine Rauchschwaden zum Himmel hinauf.
Juli 2012
Der Text wurde veröffentlicht in der Anthologie unDichternebel: 2001 – 2015.