*
Rilke und die „Landschafterei“
Bevor sich Gerhard mitteilte, nun in die Fluchtproblematik und Schattenreiche einzutauchen, deren erstere uns demnächst dichterisch und multimedial beschäftigen wird, wies er mich noch auf einen genialen Text, wie er sagte, hin, nämlich die Einleitung zu „Worpswede“, eine Arbeit des noch ganz jungen und völlig unbekannten Rilke. Diesen Text über die Malerei und die dortigen Maler findet man im Internet. Im Folgenden nun ein als Appetitmacher gedachter Abriss:
Kein Wort könnte man sich anders gesetzt und empfunden vorstellen. Man liest Rilkes „Worpswede“ einmal, zweimal und dreimal und entdeckt immer wieder Neues, noch nicht ganz Erfasstes. Der Impuls war da, sich der Natur zuzuwenden, in der man in der Kindheit jeweils noch unbewusst zu Hause war und der man sich, so man ein Künstler geworden, „unter Aufwendung eines gesammelten Willens“ wieder zuwendet. Er zieht die Linie nach, auf der sich die Natur von einem Nebending des Bildes, wo es wie „die Anfangsworte eines Ave Maria“ erklang, bis hin zur „Landschafterei“ entwickelte, die dennoch ein Schattendasein an den Akademien führe. Es ergoss sich aus diesen also ein Strom junger Leute, die nicht mehr nur Burgen und Schlösser, eigebettet in Berge und Wald und darüber den Himmel malen wollten oder eben Portraits, sondern ihren eigenen Teil der Natur, die doch der menschlichen so gleichgültig und groß gegenübersteht, im Worpsweder Moor zu suchen ausgingen, einer Landschaft, in der jeder Tag und jede Stunde anders ist, wenn man nur hinzusehen versteht.
Fünf Maler beschreibt er, die sich dort, jung wie sie waren, eine gemeinsame Heimstatt gesucht hatten, vergleicht ihre Arbeiten mit Musik, Dichtung und Gärtnerei, lässt die „Malweiber“, die es meist erst postum zu Berühmtheit gebracht haben, außen vor und führt ein Wortgerüst auf, das es mit den Gemälden aufnehmen kann. Ein besonderer Leckerbissen ist die Beschreibung Otto Modersohns, des Dichtermalers, der so lange der Natur eine ganz eigene Sprache ablernt, bis er sie dann endlich ganz unbewusst zu gebrauchen versteht.
1895, nur sechs Jahre nach der Entdeckung Worpswedes durch die Künstler, war es dann so weit, dass ihnen auf der Münchner Kunstausstellung ein eigener Saal eingeräumt wurde und sie zu der Entdeckung der Ausstellung wurden. Dennoch waren es nicht die Landschaftsbilder, die sie am meisten reüssieren ließen, sondern die große goldene Medaille erhielt ein Werk Fritz Mackensens „Gottesdienst im Freien“, das dieser als Monumentalbild unter vielen Mühen und Entbehrungen erstellt hatte. Man kann ja auch nicht von der Hand weisen, dass es um vieles schwieriger ist, Menschen zu malen, als nach der Natur. Um wieviel schwieriger ist es noch, sich in einen Wortsattel zu schwingen und eine Lanze für die unterbewertete Kunst der Landschafterei zu brechen, das Geschaute erneut zu erschauen und für den Worpsweder Frühling dann Worte zu finden, wie dass er „mit dem Rostbraunwerden des Gagelstrauches fast wie ein Herbst beginnt, bis die unbe-schreiblich hellen Grüns der Birken wie Knabenstimmen einfallen.“
Christian Rempel
Im Waltersdorfe 18.8.2015