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Utopia – erster Tag
Schiff zum Weltenrand,
Seeschlange bade!
Utopia noch unerkannt.
Wo sind nur Deine Gestade?
Das GPS spinnt!
Das ist der Rand der Welt.
Novalis hier beginnt,
allein auf sich gestellt.
Du bist – ich glaub es – Utopia
Utopia – zweiter Tag
Die Einfahrt verrifft,
die Jugend, wie schade:
versoffen, bekifft,
und die Alten malade.
Werbebanner für alles,
Dudelradio und TV.
Bild eines Augiasstalles,
Geilheit auf alles was frau.
Ist nicht – nun glaub mir –
Utopia
Utopia – dritter Tag
Die Jugend wehrhaft,
die Kassen gefüllt,
alle in traute Stille gehüllt.
technisch in Meisterschaft.
Ein jeder in Arbeit,
so er nicht befreit.
Für alles ist Zeit,
bis zur Unendlichkeit.
Du bist – ich glaub es –
Utopia
Utopia – vierter Tag
Hoffart als wahre Natur,
Bitten zu Tode geschwiegen.
Freiheit ist`s pur,
wenn bei Huren sie liegen.
Wahl gibt es alle paar Jahr,
dass nichts anbrennt:
„Wählt, was ihr nie erkennt!“
Mitgefühl nur gegen bar.
Ist nicht – glaub ja nicht –
Utopia
Utopia – heute
Des weisen Hauptes Krone,
Zierrat wem Zierrat gebührt,
die Königin nicht ohne,
das Schloss gut aufgeführt.
Und wie ich mich verneige,
kehr ich vor’m eignen Haus,
das GPS ist aus,
in Sphären schon eine
Geige!
Das ist – so glaub nur – Utopia
Aus der Literaturbox 2012 von Christian Rempel
Also, wer hier den Eindruck hat, der Schreiber wäre ein Royalist, hat vielleicht noch nie etwas von „übertragener Bedeutung“ gehört. Die deutsche Königin wäre demnach Frau Merkel.
Das ist ein gesellschaftskritisch-politisches Gedicht und damit wagt man sich von vornherein auf ein gefährliches Terrain. Mutig! Definitiv mutiger als die schönste Naturlyrik.
Problem dabei ist: Entweder versteckt man sein Kritik gut oder man macht sie deutlicher. Ich finde, dieses Gedicht tendiert zur Deutlichkeit und könnte daher viel kritischer sein. Das „kehren vor der eigenen Haustür“ kann trotzdem nicht schaden. 😉
Das lyrische „ich“ outet sich als Royalist, würde es denn noch mehr vertragen? Ansonsten ist dieses „ich“ stolz, es wieder mal mit dem Reim hingekriegt zu haben, etwas rhythmische Bewegung erscheint der Lebhaftigkeit gutzutun, ich belebe lieber den Rhythmus etwas, als dass ich den Reim aufgeben würde. Einer Vertonung ist das allerdings abträglich, das sehe ich auch.
Nun, ich finde, das Gedicht hat einen interessanten Ansatz. Was mir aber sofort auffällt, ist, dass sich das lyrische Ich auffallend zurückhält. Das macht die Sache bedenklich. Eventuell gewönne der Text, wenn er vertont würde. Wenn der Autor aber alles so lassen möchte, könnte er wenigstens nach Silbenzahl und Hebungen und Senkungen schauen. Dadurch verlöre das Gedicht nicht, sondern gewönne. Auf weiterhin gute Zusammenarbeit zwischen Dichter und Leser!