Wissen ‚Se, das muss aufhören. Es muss aufhören mit dem Zählen.
Das sind Künstler, mit dem Glas, die aus Böhmen, schauen `Se,
der Engel in Orange, ich liebe Engel,
welcher Engel, bittschön, trägt denn von Oben bis unten Orange.
Wissen `Se, wie auffällig das ist? Sie gehen etwa einkaufen,
und dieser Engel folgt ihnen, schweigend, in Orange, etwas versetzt,
sagen wir, einen halben Meter. Das geht doch gar nicht.

Ich liebe den Engel. Er ist immer da, in der Vitrine, keiner kauft ihn, also bleibt er im Geschäft. Er ist aus Glas, aber
er trägt etwas in sich, was man nicht sieht, jedenfalls nicht gleich.
Er ist ja Geschöpf, und der Schöpfer ist ein Tscheche, den ich liebe,
oder Gott, mit dem ich streite, keine Ahnung, wissen `Se,
aber jetzt muss es aufhören mit dem Zählen.

Die Künstler bitten mich. Mach weiter, sagen sie,
du bist Kunsthändlerin, wir brauchen dich. Die Galerien
machen ja zu, eine nach der anderen, machen sie zu.
Aber jetzt geht es nicht mehr, es muss aufhören mit dem Geld,
mein Lebtag hab ich gezählt, hab ich gehungert,
nach Beziehungen, wissen ´Se.
Ach, Sie sind jung, und ich bin eine alte Schachtel. Bitte schön,
bin ich eben eine Schachtel. Aber zählen will ich nicht mehr.

Wissen `S, das Zählen ist ja ein Versprechen, das was mehr wird,
dass man satt wird, unterm Apfelbaum liegen kann. Ich liebe den Engel aus Böhmen, den Verrückten.

Der versteht mich nicht mal, als Böhme, wie soll er auch,
aber ich verstehe ihn, wissen`S. Er schweigt. Und das ist mein Glück.
Er ist einfach da, wenn ich jetzt aufhöre mit Zählen.

Ich bitte Sie, ich danke Ihnen, leben Sie wohl, zählen Sie.
Zählen Sie ihre Lieben, und achten sie auf sie. Zählen Sie ihre Frauen, ihre Kinder, und verzählen Sie sich nicht, bittschön.
Zählen Sie Ihre Brüder oder Schwestern. Zählen Sie die Tage bis zum ersten Schnee, zählen Sie die Abende, ihre Geheimnisse.

Aber denken Sie dran, irgendwann gibt es von allem nur eins: ein Leben, eine Liebe, ein Schweigen und ein Hören, ein Wort. Eine Mark und ein Totenhemd.

Eine alte Schachtel bin ich, bittschön, nehmen ‚S nicht krumm, gell?
Es gibt nur diesen Engel, nehmen ’S, nehmen Sie, bitte schön.
Ich kann eins und eins zusammenzählen, aber
Sie werden ihn brauchen, den Minister in Orange.
Er ist gläsern und etwas scheint durch.

Leben Sie.
Leben Sie
wohl.

Andreas Schrock, März 2019 Dresden