Monthly Archives: März 2013

Andreas Schrock: hafengelände, mitternacht

* * zwei mädchen warteten auf den steuermann der aber wußte nicht, daß er steuern kann ein andrer kam und bot sich an sie schickten ihn fort, den falschen mann die mädchen warteten, froren und summten das lied vom steuermann dem lumpen der steuermann betrank sich der andre mann erhang sich die mädchen gingen langsam […]

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zwei mädchen warteten auf den steuermann
der aber wußte nicht, daß er steuern kann

ein andrer kam und bot sich an
sie schickten ihn fort, den falschen mann

die mädchen warteten, froren und summten
das lied vom steuermann dem lumpen

der steuermann betrank sich
der andre mann erhang sich

die mädchen gingen langsam heim:
der morgige tag würde schöner sein

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(Veröffentlicht in : “Zwischen den Zeiten 1990-2000″ (Anth.); hrsg. von Eitel Kunst e.V., Peter-Segler-Verlag, 2003, 2. Aufl., ISBN 978-3-931445-07-2)

 

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Chronik: Liebe Eitle Künstler und Freunde der UnDichter,

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Nun wird das neue „Gedankenwasser“ (kurz GeWa) von Gerhard und Lars für uns fertig gestellt. Vielen Dank an alle, die mit  ihren Texten, Fotos oder anderen Beiträgen immer wieder zum Gelingen unseres Vereinsheftes beitragen!

Wer diesmal den Redaktionsschluss knapp verpasst hat und gern ein Feedback zu neuen Texten hören möchte, bringt bitte die neuen „Werke“ zu unserem Frühjahrsseminar: 19.4.-21.4. im Atelier Nottekunst ­Zossen-Waldstadt , die auch als Bücher- & Bunkerstadt bekannt geworden ist, mit. Wir freuen uns schon darauf.

Aufgrund von Nachfragen an die Onlineredaktion hier noch ein Veranstaltungshinweis:
Quilts von Doris Bemme, über die hier schon berichtet wurde, sind in einer Ausstellung des Mehrgenerationen Hauses, kurz ­MGH, in 15745 Königs Wusterhausen zu sehen und warten darauf entdeckt zu werden.
Liane Fehler Onlineredaktion
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Chronik 2003 – „Eitel Kunst …“ – zwischen den Zeiten

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Dichten ist ein Einsames und häufig nach innen gerichtetes Unterfangen. Nicht jeder, der es ernsthaft und regelmäßig betreibt, ohne damit Brötchen, Bananen und Kaffee zu verdienen, mag sich unter die scheinbar Extrovertierten mischen. Die mit ihren brühwarmen Reimereien lautstark auf die Kaffeehaus-Lesebühnen drängen. Mancher möchte Meinungen zu seinen „sich auf dem Wege befindenden“ Texten hören, ohne gleich vor große Säle oder an Verlage herantreten zu müssen. In erster Linie an diese stilleren Schreiber wendet sich der „Eitel Kunst e.V. – eine Sammlung unDichter“.

In ihm haben sich im Sommer 1990 Gleichgesinnte zusammengefunden, die sich mindestens zweimal im Jahr zu einem mehrtägigen Seminar treffen und darüber hinaus persönlich oder über die Zeitschrift „gEDANKENwASSER“ Kontakt zueinander halten.

Die Gründungsmitglieder des EKeV kannten sich aus längst abgewickelten ostdeutschen Jugend-Zirkeln und Poetenseminaren. Mittlerweile sind sie und die hinzugekommenen unDichter unterschiedlichsten Alters und Berufs über viele Bundesländer verstreut.

Mit der Anerkennung als gemeinnütziger Verein und dem Hinzukommen neuer Mitglieder wurde die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. Mehrere kleinere Anthologien und Programme entstanden. Lesungen, eine regelmäßige Literatur-Werkstatt, seit neuestem ein Schüler-Zirkel werden organisiert.

Ohne dass dabei das Typische des gemeinsamen Tuns verloren geht. Denn eine Ursache dafür, dass die „Eitlen Künstler“ trotz manchmal schwieriger organisatorischer Voraussetzungen einen so langen Atem bewiesen, ist die wahrscheinlich einmalige Diskussions-Athmosphäre: Objekt der kritischen Auseinandersetzung ist nur der konkrete Text, nie sein Schreiber als Person. Verbunden damit ist das Bemühen der Gesprächsteilnehmer, auf die unterschiedlichen Ansprüche an das Schreiben einzugehen. Diskussionsrunden, die den Anfänge Suchenden wie auch den beruflich mit Literatur Befassten ernst nehmen. Und Zeit für seinen Text. Zeichen solch offenen und vertrauensvollen Umgangs miteinander sind die Momente, in denen so mancher, der eigentlich selbst nichts vorstellen wollte, dann doch seine Texte aus der Tasche zog und „in die Runde warf“.

Eine Auswahl solcher Texte aus den Jahren 1990 bis 2000 liegt mit dieser Anthologie nun einer größeren Öffentlichkeit vor. Manche der hier Veröffentlichten sind Mitglieder des EkeV oder regelmäßige Gäste, andere wieder melden sich nur sporadisch. Unterschiedlichste Lebens- und Schreibansprüche, wie gemeinsame Themen und Sichtweisen, vor allem aber auch Veränderungen über diesen Zeitraum hinweg sollen deutlich werden. Die Wirren der Wende. Die lange, oft schmerzliche Suche nach dem Eigenen in der sich verändernden Umwelt. Und nach dem, was Heimat sein könnte. Das Wieder- und Neuentdecken von Themen, manchmal nach Jahren. Noch „nicht angekommen zu sein“, als eine Hoffnung.

 

Die Herausgeber

Dieser Text ist aus dem Nachwort der Anthologie.

(aus: „Zwischen den Zeiten 1990-2000“ (Anth.); hrsg. von Eitel Kunst e.V., Peter-Segler-Verlag, 2003, 2. Aufl., ISBN 978-3-931445-07-2)

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Lars Steger: Lüften am Morgen wenn der Schnee …

Lüften am Morgen wenn der Schnee ins Zimmer stiebt weißkalte Wahrheit wie Schnee im Regen fließen unsere Worte in das neue Jahr in alten Furchen hält sich Schnee noch im Regen - doch auch übern Tag? der dunst überm weiss so als dampfe der schnee gegenlicht lachen

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Lüften am Morgen
wenn der Schnee ins Zimmer stiebt
weißkalte Wahrheit

wie Schnee im Regen
fließen unsere Worte
in das neue Jahr

in alten Furchen
hält sich Schnee noch im Regen –
doch auch übern Tag?

der dunst überm weiss
so als dampfe der schnee
gegenlicht lachen

Andreas Schrock: Die Lücke

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Ach, wissen Sie, das Mikrofon
ist aus, nicht wahr? Ich hab es mit
den Nazis, nur ein bißchen.
So ein bißchen war ich, Mädchen,
im BDM, Sie Feingeist.

Ach, wissen Sie, mein Mann,
starb einen schönen Tod,
`nen schnellen, nach dem Frühstück,
auf der Bank, vorm Haus.

Und so aktiv noch bin ich,
mit achtzig. Aber schnell
muß es gehen. Schnell
und schön: der Tod, das Leben.
Und keine Lücke, bitte!

Ach, wissen Sie, die Lücke
ist ja nicht totzukriegen
im Leben, unsereins
hat immer was zu stopfen,
wie’n Zahnarzt, so am Stuhl.

Ach, Sie! Ich fall’ nicht aus der Welt,
nicht in den Sack,
nicht in den Pfuhl.

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Desdemona: Was würde ich schreiben, wenn ich 80 wäre?

Nun ist es also soweit: es geht nicht mehr ohne diesen idiotischen Rollator! Wie ich dieses Ding hasse. Sperrig, unförmig, demütigend. Wie lange mag ein normaler Mensch brauchen, um sich an ein solches Ungetüm zu gewöhnen? Eigentlich will ich das auch gar nicht - " daran gewöhnen" ! Nie im Leben!!! Wie die Leute auf der Strasse gucken, wie sie solche armen Kreaturen wie mich bemitleiden, wie sie "rücksichtsvoll" einen großen Bogen um mich machen und mir doch mit jeder ihrer Gesten zu verstehen geben, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre - zur Mehrheit der Rollator- losen. Da hilft nur eins : Eine neue Mehrheit organisieren!

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Nun ist es also soweit: es geht nicht mehr ohne diesen idiotischen Rollator! Wie ich dieses Ding hasse. Sperrig, unförmig, demütigend. Wie lange mag ein normaler Mensch brauchen, um sich an ein solches Ungetüm zu gewöhnen? Eigentlich  will ich das auch gar nicht  – “ daran gewöhnen“ ! Nie im Leben!!!
Wie die Leute auf der Strasse gucken, wie sie solche armen Kreaturen wie mich bemitleiden, wie sie „rücksichtsvoll“ einen großen Bogen um mich machen  und mir doch mit jeder ihrer Gesten zu verstehen geben, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre – zur Mehrheit der Rollator- losen. Da hilft nur eins : Eine neue Mehrheit organisieren!

Leute aus der Nachbarschaft mobilisieren, nur noch gemeinsam und demonstrativ Rollator – Trupps zum Einkaufen zu bilden. Ganze Formationen müssen es sein. Schließlich sind wir auch wer! Aber vielleicht bleibe ich doch lieber Einzelkämpfer? Bin ja ohnehin schon 80 Jahre lang ein Individualist.

Ich werde meinen Rollator umgestalten, z. B. verhängen. So wie Christo und Jeanne-Claude den Reichstag – nur im Kleinformat. Da kann doch schließlich niemand etwas dagegen haben. Ich könnte ihn auch mit Blumen schmücken: alle Leute würden sich freuen  und  „ach“ oder „och“ oder so sagen.  So  komme ich ins Gespräch. Vielleicht werde ich sogar als Rollator- Aktivistin zum Bürgermeister eingeladen? Und was, wenn ich so etwas wie politische Losungen an meinen Rollator hefte, z.B. “ Rollatorwege in die Bahnhofstraße !!!“

Ich kann auch gegen Fluglärm protestieren, der nach neuesten Meldungen auch den Norden KWs betreffen wird.  Mein Rollator macht ja zum Glück keinen Krach! Das bringt mich auf die Idee, das Gerät akustisch aufzuwerten.  Mit CDs ausgestattet werde ich das soziale Umfeld im Kiez erfreuen. Und ich reiche diese Neuerung auch noch als Patent ein. Aber vielleicht funktioniert keine meiner Ideen? Dann bleibe ich zu Hause und bewege mich ab jetzt nur noch im  Second life.

Desdemona ( zum Glück noch nicht 80)

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sibyll maschler: Über die Gezeiten hinaus

Krebs und Muschel begegneten sich das erste Mal in einem flachen Priel, nachdem sie das ablandige Wasser dort zurückgelassen hatte. Sie teilten die Zeitspanne einer Ebbe miteinander, genauer gesagt ...

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Krebs und Muschel begegneten sich das erste Mal in einem flachen Priel, nachdem sie das ablandige Wasser dort zurückgelassen hatte. Sie teilten die Zeitspanne einer Ebbe miteinander, genauer gesagt 12 Stunden und 24 Minuten. Beide waren noch jung. Die Muschel blieb überwiegend geschlossen und sorgte sich wegen des niedrigen Wasserstandes in der Senke. Außerdem konnte sie sich nicht ausreichend in den Sand eindrücken, weil unter ihr ein flacher Stein lag. Um sich abzulenken, lauschte sie den Grabungen der Wattwürmer und hörte die fernen Wellen des Meeres ebenso wie die Gedanken des Krebses. Dieser verharrte ziemlich dicht neben ihr. Er glaubte schon einiges über Muscheln zu wissen und war angetan von der Schönheit seiner Nachbarin. Die Form war von seltener Schlichtheit. Im warmen Sonnenlicht schimmerte das Perlmutt auf ganz wunderbare Weise. Je länger der Krebs das Farbenspiel beobachtete, desto mehr wünschte er auch einen Blick in das Innere der Muschel zu bekommen. Und wie würden die Schalenhälften wohl von der unteren Seite aussehen? Aber die Muschel öffnete sich nur selten kurzzeitig für wenige Millimeter. Sie schien abgelenkt und drehte sich kaum in seine Richtung. Je geringer der Muschelspalt, umso mehr verlangte der Krebs die Geschmeidigkeit der Muschel und die Anmut ihrer Bewegungen zu sehen. Leider trug der Wind ihre Stimme auch noch in eine andere Richtung, so dass er diese nur ahnen konnte. Er wollte sie so gern hören. Der Krebs vergaß darüber das Kreischen der Möwen und die sonst üblichen Schätzungen, ob die Wassermenge des Priels noch genügend Schutz bis zur nächsten Flut gewähren würde. Aber er hatte auch gar nicht vor, seine Position zu ändern. Er vernahm nicht einmal, dass das Wasser in der Ferne bereits wieder anstieg. Stattdessen suchte er nach Gemeinsamkeiten. Sie hatten beide eine harte Schale, sie konnten nicht wirklich schwimmen, sie trugen ihre Hoffnungen verborgen. Und sicher würde sich die Muschel, genauso wie er, an den Lichtbrechungen im Wasser freuen, bei Sturm mit dem Seetang spielen und in der Tiefe nach unvergleichlichen Mustern am Grunde suchen. Lediglich eine Reise am Rumpf eines Schiffes würde dem Krebs verwehrt bleiben. Da war auch schon die nächste Flut heran. Krebs und Muschel gerieten in unterschiedliche Strömungen. Lange wechselten Ebbe und Flut in gewohntem Gleichmaß immer und immer wieder. Der Krebs wuchs und überstand alle schutzlosen Zeiten, in denen der vorher abgestreifte Panzer stets viel zu langsam nachhärtete. Die Nachkommen befanden sich schon auf eigenem Terrain. Die Muschel musste derweil einige Blessuren auf ihrer Oberseite erdulden. Sie hatte in einer kleinen Kolonnie gelebt und Schutz in einer sanft umspülten Felsspalte gefunden. Aber auch dort gab es Unwetter und Angriffe scharfkantiger Vogelschnäbel, die dazu führten, dass sich die Muschel wieder öfter lange verschlossen hielt, so wie sie es häufig in ihrer Jugend getan hatte. Es nahte die Zeit, in der es nicht mehr genug Platz für alle am Felsen gab. Hätte jemand gefragt, ob die Muschel fortgespült worden sei oder sich selbst gelöst hatte, so wäre die Antwort nicht eindeutig ausgefallen.

In einer klaren Neumondnacht trafen sich Krebs und Muschel am Meeresgrund wieder. Erschrocken versuchte sich die Muschel in den Sand zu graben. Der Krebs lief versehentlich ein bisschen schräger als sonst. Aber er blieb. Beide erinnerten sich, dass sie einst gemeinsam in einem flachen Priel die nächste Hochtide erwartet hatten und der Krebs beharrlich an der Seite der Muschel geblieben war. Nun, dort in der Tiefe, war das Wasser klar und gleichmäßig ruhig. Tage und Nächte vergingen, der Mond nahm allmählich zu, als sie feststellten, dass ihre Stimmen einander glichen. Sie hörten sich über die Entfernung eines ganzen Korallenriffs, aber auch dann, wenn ihre Stimmen in verschiedene Richtungen strömten. Krebs und Muschel glitten auf den Obertönen der Wale. Mit ihnen begann die Zeit, die niemals festgeschrieben wurde und nicht messbar ist an den Gezeiten der hohen See.

sibyll maschler (Text und Foto) – Juni 2008

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