Categotry Archives: Texte

Unterm Kaiserbild

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Unterm Kaiserbild

da sitzt du nun
und nähst aus grobem Zeug den Helden das Gewand
den Bruderrock zum letzten Säbeltanz in dem die gleichgemachten
sich zuckend winden dann im Takt der Feuergarben und fallen
einzeln doch zuletzt auf kalten Boden

da sitzt du nun
denkst an die uniformen Taschen, an all die Kinderbilder, all die Liebsten
die sie einmal tragen und die so oft in letzten Ruhestätten lichtlos mit vergehen
beschmutzt mit allem was sich denken lässt und dem
was nur die Helden kennen

da sitzt du nun
und hast mit diesem Ehrenzwirn dein Wochensoll erfüllt
wie viele deiner Werke werden später sauber in den Schränken hängen
wenn nachts die Heldenhäupter
Trost in Frauenschößen suchen

da sitzt du nun
ein Maßschneider in seiner Werkstatt dem Kriegsdienst anbefohlen
und dienst doch nur dem Geist der Zeit auf deine Weise
Helden sind das Spielzeug alter Männer
damit Opfer sinnvoll scheinen gibt man ihnen Ehre, Flasche und Gewehr

nein,
du bist kein Held
du bist ein Meister deiner Zunft
und sitzt nun da seit Stunden unbewegt
an diesem Feierabend

Oskar Löffelschuh, März 2021 

Machs gut

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Machs gut

Ich stell mir vor, du hättest noch
Machs Gut gesagt
so blieb zurück als Trost im Grab
von dir die leere Hülle
ein Ort so laut und vorwurfsvoll
in seinem großen Schweigen
ein Abschied ohne Gruß
worauf sich mein Erinnern baut
tastend läuft mein Blick umher
die Leere zu begreifen
ich spür‘, als wäre unsichtbar
alles irgendwie mit dir lackiert
so ohne dich ist alles
nur noch meins – vielleicht
wenn ich dein Fehlen mir vergebe,
ein Wort wie GUT sich in die Töne gießt
und ich dann endlich widerspreche:
du bist nicht fort – nur unsichtbar –
dann kann ich mich in deinem Glänzen
wie in tausend Spiegeln sehn

fp april 2021

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Liane Fehler: Sommer

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Sommer-Erwachen
Gräser wiegen sich im Wind
Luft – wie Himmelsduft
Erdbeer und Kirschen reifen
Fast fühle ich mich als Kind

Sommer-Verlangen
Blütenköpfe recken sich
ebenso wie ich
warme Luft verwöhnt die Haut
Ich fühle mich ganz als Mensch

Sommer-Liebelei
Übermut und Lebenskraft
den Schalk im Nacken
Schäfchenwolkenweiß gelaunt
betupft mit Sonnenstrahlen

Sommer-Träumerei
ganz auf Gedankenwegen
Gedichte spinnen
wahr werden soll das Schöne
bereit für Überraschung

Sommer-Sinfonie
Soundtrack des eignen Daseins
heiter harmonisch
das Leben ganz genießen
voll Demut und Dankbarkeit


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sibyll maschler: Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten.

Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten. Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause

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Foto: sibyll maschler


Zerlegung eines VorGanges. In vier Akten.

Beteiligte Personen: Frau, Mann und Sohn im Westen, Frau im Osten

Orte: Haus, Straße, Garten, Zuhause




  1. Akt.

Sie verlässt das Haus. Mit Glas im Gepäck. Und einem Grund. Oder mehreren. Oder grundlos. Wer weiß. Sie geht. Es wird gesagt: Kein leichter Spaziergang. Aus dem Garten. Fort. Längst. Mit dem Vorhaben weit. Für immer. Vielleicht. Sie geht demonstrieren. Gegen ihre Familie. Oder für eine Kleingruppe. Aus Protest. Für eine Auszeit. Sie sieht sich. Im Fensterglas. Denken. Andenken. Nachdenken. Ansehen. Nachsehen. Von Westen nach Osten. Und zurück. Ein Hin und Her. Über Konkurrenz. Nach und Teilen. Sie will. Ihren Körper spüren. Wege ausprobieren. Wälder, Kreuzungen, Ländereien begehen. Bergan, bergab, erlaufen. Ausdauernd. Hauptsache fort. Vor wem? Von Zuhause? Und was es mal war.

Sie geht weit. Unbedarft. Prüft nicht, wie weit sie geht. Was kann sie zumuten? Sich? Anderen? Sie geht weiter. Sie greift ein. Ohne Grübeln. Handelt ohne Vordenken. Sie nimmt ein Glas. Es ist von ihr. Er hat es ins Haus gebracht. Nun hat sie das Glas. Sie wirft Glas. Mit Macht. Und Genugtuung. Fort. Splitter. Auf der anderen Seite. Eine Lache. Die saubere Hand. Nun blutet sie. Sie ist weit gegangen. Das Glas ist nun fort. Sie ist da. Erst jetzt, spät, sehr spät, hält sie inne. Es dunkelt. Ringsum. Furcht. Der Körper trägt nicht mehr. Sie ist allein. Hier und zu Hause auch.

  1. Akt

Sie denkt. Ich brauche Hilfe. Wer gehört zur Familie? Noch. Sie gehört dazu. Nun. Sie ruft. An einen Sohn. Anrufung. Wen ruft sie? Einen Mann. Ist es ihr Mann? Er war es sicher. Gegenwärtig vermutlich. In seinem Zimmer. Telefonate. Seit Monaten. Zu oft. Trotz ihres Verbotes. Ist er unterwegs. Im Netz und werkt. Er ist nicht da. Und dort. Kopfkino. Anklage. Am Telefon. Der Körper ist erschöpft. Er sagt. Ich will Hilfe. Sie auch.

  1. Akt

Sie fragt. Sich. Bleibt er? Aus Verantwortung. Er hat Kraft. Neu. Er ist schmal. Und gräbt im Sand. Im Garten. Ein Loch. Nach Wasser. Es ist tief. Sie lässt ihn. Graben. Im Erdreich. Steckt er fest. Vielleicht.

Sie dort. Im Osten. Darf es nicht wissen. Dass er nach Wasser gräbt. Sie soll ihn nicht sehen. Nicht berühren. Sie darf ihm nicht helfen. Beim Ausgraben. Schöpfen. Baggern. An Ufern.

Nach den Wochenenden. Fragen. Wie viel Liebe hat er? Bei Ihr? Er hat viel. Mit. Gefühl. Mit Leid. Er ist groß. Und hat mehr. Als schöne Augen. Der Blickwinkel ist fraglich. Die Position offen.

  1. Akt

Sie setzt sich. In der Ferne. Auseinander. Und zu ihnen. In den Westen. Diese Familie. Wer ist sie. Diese Frau. Nicht gläsern. Und er? Wen wird er schützen? Grüßen. Was hat das. Mit ihr zu tun. Was wird es machen? Mit ihr? Wenn diese Frau zu weit geht. Was dann?

sibyll maschler

Juni 2020

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Isabel Arndt: Sabbattagebuch „Unterwegs“

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Isabel Arndt

I
16.01.20

Es gibt solche Tage. Solche, die ins Licht geboren werden. Die beginnen, wenn es Zeit ist.
Die anderen, die aus der Nacht geschnitten werden, Frühchen von Tagen also, die blass und schwach starten, die im Brutkasten des Morgens liegen – die will ich nicht mehr beginnen noch beenden. Jetzt, jetzt, jetzt kriegen die Tage ein Possessivpronomen, sie heißen: meine.

Noch zwei Monate und ich fahre los. 51 Jahre mit dem Leben verhandelt. Auf Knien, im Dreck, im Sturm. Verträge abgeschlossen, kleinste gemeinsame Nenner gefunden. Je mehr Kompromisse, destokleiner die Zahl. Bin Bruch, immer der Bruch eines Ganzen gewesen. Jetzt werde ich Zähler sein. Die Sache ist gekippt. Die Südhalbkugel wird für mich bald oben sein. Das Ende der Welt, el fin del mundo ein Anfang.

Ich möchte ins Fremde tauchen. Ins Dunkel, ins Unbekannte. Es hat Gesichter, Sprachen, Farben, Gerüche. Es hat Gassen und steinige Aufstiege. Es hat womöglich spitze Zähne. Ich kenne es nicht. Es ist wie das Morgen. Ich möchte es begrüßen. Aufrichtig, freundlich, respektvoll. Möchte das Haus erkunden, das unsere Welt ist. Den Mörtel und die Einschusslöcher.

II
10.03.20

Zwei Wochen noch. Die Spielfigur rückt voran. Mein Zeigefinger reist bunten Linien nach. Das Tablet leuchtet. Ich erkläre etwas, was mit mir nichts zu tun hat. Kap Horn, die Magellan-Straße, Torres del Paine im Lieblingsrestaurant. Warmer Kerzenschein und die ganzen Möglichkeiten füllen den Raum.
Wirklich dort sein wird komplett anders sein, heftigster Wind, mit Schnee ist immer zu rechnen und die Einsamkeit und ich – wir werden Freundschaft schließen müssen.

Jedes Abschiedstreffen bringt neue Ratschläge: was ich mitzunehmen, zu bedenken, zu planen, keinesfalls zu verpassen habe. Es ist fast gar nicht mehr meine Reise. Ich weiß, ihr meint es gut; ich mag euch, alle, die ihr euch sorgt. Einiges wird mich beschützen, anderes Ballast sein – wie unterscheiden? Die Ausrüstung unter die volle Gießkanne halten bringt neue Erkenntnisse. Einiges muss neu besorgt werden. Noch ist ein bisschen Zeit. Sicher ist: ich werde nicht auf alles vorbereitet sein. Muss improvisieren. Muss eine Achillessehne mitnehmen, die vor all dem streikt. Toller Zeitpunkt, wirklich. Ich verlasse Menschen, die ich liebe und liebenswerte welche, die ich grade erst traf.

Das Haus hat noch keinen, den es wärmt, wenn ich weg bin; wir suchen noch immer, das zermürbt. Und was wird dieser Virus noch alles anstellen, welche Grenzen versperren sich – am Ende kann ich nirgendwohin. Und womit? Der perfekte neue Rucksack steht vollgepackt im Wohnzimmer neben all den Sachen, die auch noch mit wollen. Die Gedanken rennen in meinem Kopf kreuz und quer. Die Tagesaufgaben auf Arbeit erledigt grade jemand, der aussieht wie ich, aber gar nicht bei der Sache ist. Ach, sag ich. Dabei wollte ich mich doch freuen.

III
16.03.20

Was tun?
Ein winziger Virus namens Corona tanzt auf meinen großen Plänen herum. Immer mehr Leute werden krank, Leute sterben irgendwo und das irgendwo kommt näher. Die anderen hamstern die Märkte leer, es gibt Handlungsanweisungen zur Handdesinfektion, zur Einschränkung sozialer Kontakte. Aber ein Telefon kann einen doch nicht umarmen.

Immer mehr Grenzen gibt es, allerorten wird zugesperrt. Die Angst oder die Vernunft – wer regiert hier? Ich weiß es nicht mehr. Ich kann doch jetzt nicht mehr an meinen Plänen festhalten – wie verrückt ist das denn? Das Auswärtige Amt sagt „nicht notwendige Reise“. Das Virus könnte auch mich irgendwo befallen und wäre ich dann nicht lieber bei maximaler medizinischer Versorgung hier?

In einer solchen Situation mache ich immer Lose. Das ist natürlich das Unvernünftigste, was man tun kann. Aber ich hab es extra schwer gemacht: von 4 Losen war nur eins dafür, weiterhin und jetzt nach Chile zu wollen. Als ich es zog, wusste ich, dass ich es ziehen wollte.

Ich bin längst nicht mehr hier. Weiß nicht, für wen all diese Mails sind, wovon sie handeln oder was von mir zu erwarten ist. Chilenische Pampa in meinem Kopf, Teppichboden unter den zuckenden Füßen.

IV
17.03.20

Auswärtiges Amt: „Ab Mittwoch, den 18.März 2020 schließt Chile seine Luft-, See- und Landgrenzen für die Einreise von Ausländern.“die zeitfenster sind durchsichtig. auch geschlossen sehe ich noch gelobtes land dahinter. ich habe ein bedrucktes papier namens ticket – ich hätte es nicht opodo, sondern dem schicksal abkaufen sollen.

man kann im eigenen traum ertrinken, mit den armen rudernd als teilte sich dadurch das vierbuchstabige „nein“ in zwei einzelne „ja“, von denen eins reichen würde, hindurchzuschlüpfen. aber das wünschen reicht nicht. und nicht, sich genau zu überlegen, wie alles passen könnte bis alles so schön passt, dass es zu schön ist für die wirklichkeit. träume dürfen das, die können gar nicht schön genug sein. aber wenn die träume mal wirklichkeit sein wollen, wenn die seifenblasen mal nicht blöd bei jedem wind und fremdkontakt platzen wollen, dann … und das heißt dann chance. daraus kann sich ganz was neues entwickeln, ganz was großes und schönes…

Das Personalreferat ist nett. Ich darf mir das nächstes Jahr noch mal wünschen. Das wird toll.

V
29.03.20

Vielleicht hätte der Zug noch funktioniert. Trotz Ausgangssperre. Vielleicht hätte Isabel Arndt am 24.03.20 noch 10:10 Uhr mit diesem Ticket von Dresden nach Frankfurt Flughafen fahren können. Statt dessen läuft sie, laufe ich – woandershin. Laufe – google Maps sagt 14 km – vom kleinen Elbhäuschen den Fluss aufwärts. Schlängle mich mit ihm, bis ich in den Eichhörnchengrund abbiege und dort in der Buschwindröschenstille raste. Die Eichhörnchen sind nicht da, aber ich. Während sich die Gedanken in die Zugpolster gekuschelt haben, die Füße auf den dicken Rucksack gelegt, dösen. Patagonien, endlich, jetzt ist es soweit. Heute Abend der Flug – noch nie so lange geflogen, wie wird das – erst bis Barcelona, dann Santiago de Chile – wie das schon klingt – und nach Punta Arenas der Anschlussflug. Zwei Tage wird das dauern, das wird anstrengend, wir müssen dringend schlafen, sagen die Gedanken, aber können gar nicht vor Aufregung.

Die wieder geöffneten Augen sehen grün. Ein linkselbisches Kerbtal, von Mittagssonne geflutet. Der Rucksack neben mir will weiter, will unbedingt weiter. Ach, der Rucksack ist schwer auf einmal. Die ganze Zeit eigentlich schon, aber jetzt, wo er so erwartungsvoll neben mir steht, so voll mit allem, was man braucht, mehrere Tage in der Steppe zu überleben, jetzt schaffe ich kaum, ihn hochzunehmen. Ich weiß nicht, warum das alles mit mir rumtrage. Ob ich überhaupt hier unterwegs sein sollte. Man soll zu Hause bleiben, Kontakt nur zu einer weiteren Person haben. Kein Flug geht mehr, kein Land hat noch offene Grenzen. Meine Tickets mit zehnstelliger Buchungsnummer bringen mich nirgendwohin. Ich wollte ans Ende der Welt, aber das Ende der Welt ist hierhergekommen. Es braucht nur ein winziges Virus und das Ende alles Vorstellbaren ist gekommen. Ein hübsches Virus übrigens; die Grafiker haben dem gelben Körper rote Krönchen aufgesetzt. Corona also. Es sieht nicht aus, als müsste man davor Angst haben. Ich habe nie wieder Angst haben wollen, ich wollte weit weg ganz allein klarkommen. Und das wäre ich, irgendwie. Aber jetzt soll ich Angst haben, jetzt soll ich vernünftig sein, Kontakte und Reisen vermeiden, wir müssen alle die Amplitude einer Kurve flach halten.Die Infizierten, die Toten sollen beherrschbar bleiben. Was um Himmels Willen ist hier los??

Weiter! Ich kann hier nicht bleiben. Nicht, wenn mein Flug in ein paar Stunden geht, nicht, wenn ich alle Schritte der nächsten Tage schon tausendmal gegangen bin. Gehen. Gehen ist Nicht-Bleiben. Das ist das Einzige, was aushaltbar ist jetzt. Es gibt einen Ort, es gibt genau einen Ort, an den ich jetzt möchte. Dort – ja, ich weiß, die Mutter seiner Kinder hat ihm, da Kontakt zu mir – 14 Tage in Quarantäne geschickt und jetzt komm ich, die Quarantäne mit ihm zu teilen, das ist so verboten, wie es schräg ist. Ich darf bleiben, aber auf keinen Fall zu nah. Das ist ok, so wie alles derzeit ok ist, was gar nicht ok ist. Die Nächte sind frostig. Wir haben den Aprikosenbaum in zwei weiße Laken gehüllt; der Scheinwerfer drunter leuchtet nachts Wärme, er leuchtet; eine weiße Fahne, wir haben kapituliert. Die Tage in reinstem Frühlingsblau, ahnungslos. Aus den Lautsprechern die neusten Zahlen, während ich die Katze kraule, während ich Erdbeerpflanzen umsetze. Finde ein Schild mit der Sorte „Korona“. Hämmere, hämmere mit dem alten Klüpfel, mit den alten Beiteln auf wurmstichiges Feuerholz ein, bis es mir sagt, was es eigentlich ist. Ich will dringend wissen, was es eigentlich ist, das alles.

Als er nicht sagte, bleib, ging ich. Ging ich den ganzen Weg zurück, um zu gehen. Unterwegs nach Patagonien. Ein Freund rief an, wir könnten. Könnten biwakieren an einem See, biwakieren ginge immer. Und zwei geht auch. Also ging der Rucksack wieder auf die Reise. Schöne Seen haben sie da in Patagonien. Wie die Kiesgruben bei uns. Sandige Ränder mit Birken. Rohrkolben, denen die Zeit weggeweht ist. Trübes Wasser, kalt. Trockenes Holz mit Birkenrinde und Feuerstahl leuchtet warm in unseren Gesichtern. Erstaunlich windstill in Patagonien.

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