Categotry Archives: Texte

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Lars Steger: Lüften am Morgen wenn der Schnee …

Lüften am Morgen wenn der Schnee ins Zimmer stiebt weißkalte Wahrheit wie Schnee im Regen fließen unsere Worte in das neue Jahr in alten Furchen hält sich Schnee noch im Regen - doch auch übern Tag? der dunst überm weiss so als dampfe der schnee gegenlicht lachen

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Lüften am Morgen
wenn der Schnee ins Zimmer stiebt
weißkalte Wahrheit

wie Schnee im Regen
fließen unsere Worte
in das neue Jahr

in alten Furchen
hält sich Schnee noch im Regen –
doch auch übern Tag?

der dunst überm weiss
so als dampfe der schnee
gegenlicht lachen

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Andreas Schrock: Die Lücke

Ach, wissen Sie, das Mikrofon ist aus, nicht wahr? Ich hab es mit den Nazis, nur ein bißchen. So ein bißchen war ich, Mädchen, im BDM, Sie Feingeist. Ach, wissen Sie, mein Mann, starb einen schönen Tod, `nen schnellen, nach dem Frühstück,

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Ach, wissen Sie, das Mikrofon
ist aus, nicht wahr? Ich hab es mit
den Nazis, nur ein bißchen.
So ein bißchen war ich, Mädchen,
im BDM, Sie Feingeist.

Ach, wissen Sie, mein Mann,
starb einen schönen Tod,
`nen schnellen, nach dem Frühstück,
auf der Bank, vorm Haus.

Und so aktiv noch bin ich,
mit achtzig. Aber schnell
muß es gehen. Schnell
und schön: der Tod, das Leben.
Und keine Lücke, bitte!

Ach, wissen Sie, die Lücke
ist ja nicht totzukriegen
im Leben, unsereins
hat immer was zu stopfen,
wie’n Zahnarzt, so am Stuhl.

Ach, Sie! Ich fall’ nicht aus der Welt,
nicht in den Sack,
nicht in den Pfuhl.

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Desdemona: Was würde ich schreiben, wenn ich 80 wäre?

Nun ist es also soweit: es geht nicht mehr ohne diesen idiotischen Rollator! Wie ich dieses Ding hasse. Sperrig, unförmig, demütigend. Wie lange mag ein normaler Mensch brauchen, um sich an ein solches Ungetüm zu gewöhnen? Eigentlich will ich das auch gar nicht - " daran gewöhnen" ! Nie im Leben!!! Wie die Leute auf der Strasse gucken, wie sie solche armen Kreaturen wie mich bemitleiden, wie sie "rücksichtsvoll" einen großen Bogen um mich machen und mir doch mit jeder ihrer Gesten zu verstehen geben, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre - zur Mehrheit der Rollator- losen. Da hilft nur eins : Eine neue Mehrheit organisieren!

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Nun ist es also soweit: es geht nicht mehr ohne diesen idiotischen Rollator! Wie ich dieses Ding hasse. Sperrig, unförmig, demütigend. Wie lange mag ein normaler Mensch brauchen, um sich an ein solches Ungetüm zu gewöhnen? Eigentlich  will ich das auch gar nicht  – “ daran gewöhnen“ ! Nie im Leben!!!
Wie die Leute auf der Strasse gucken, wie sie solche armen Kreaturen wie mich bemitleiden, wie sie „rücksichtsvoll“ einen großen Bogen um mich machen  und mir doch mit jeder ihrer Gesten zu verstehen geben, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre – zur Mehrheit der Rollator- losen. Da hilft nur eins : Eine neue Mehrheit organisieren!

Leute aus der Nachbarschaft mobilisieren, nur noch gemeinsam und demonstrativ Rollator – Trupps zum Einkaufen zu bilden. Ganze Formationen müssen es sein. Schließlich sind wir auch wer! Aber vielleicht bleibe ich doch lieber Einzelkämpfer? Bin ja ohnehin schon 80 Jahre lang ein Individualist.

Ich werde meinen Rollator umgestalten, z. B. verhängen. So wie Christo und Jeanne-Claude den Reichstag – nur im Kleinformat. Da kann doch schließlich niemand etwas dagegen haben. Ich könnte ihn auch mit Blumen schmücken: alle Leute würden sich freuen  und  „ach“ oder „och“ oder so sagen.  So  komme ich ins Gespräch. Vielleicht werde ich sogar als Rollator- Aktivistin zum Bürgermeister eingeladen? Und was, wenn ich so etwas wie politische Losungen an meinen Rollator hefte, z.B. “ Rollatorwege in die Bahnhofstraße !!!“

Ich kann auch gegen Fluglärm protestieren, der nach neuesten Meldungen auch den Norden KWs betreffen wird.  Mein Rollator macht ja zum Glück keinen Krach! Das bringt mich auf die Idee, das Gerät akustisch aufzuwerten.  Mit CDs ausgestattet werde ich das soziale Umfeld im Kiez erfreuen. Und ich reiche diese Neuerung auch noch als Patent ein. Aber vielleicht funktioniert keine meiner Ideen? Dann bleibe ich zu Hause und bewege mich ab jetzt nur noch im  Second life.

Desdemona ( zum Glück noch nicht 80)

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sibyll maschler: Über die Gezeiten hinaus

Krebs und Muschel begegneten sich das erste Mal in einem flachen Priel, nachdem sie das ablandige Wasser dort zurückgelassen hatte. Sie teilten die Zeitspanne einer Ebbe miteinander, genauer gesagt ...

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sibyll-maschler-DSCI4177

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Krebs und Muschel begegneten sich das erste Mal in einem flachen Priel, nachdem sie das ablandige Wasser dort zurückgelassen hatte. Sie teilten die Zeitspanne einer Ebbe miteinander, genauer gesagt 12 Stunden und 24 Minuten. Beide waren noch jung. Die Muschel blieb überwiegend geschlossen und sorgte sich wegen des niedrigen Wasserstandes in der Senke. Außerdem konnte sie sich nicht ausreichend in den Sand eindrücken, weil unter ihr ein flacher Stein lag. Um sich abzulenken, lauschte sie den Grabungen der Wattwürmer und hörte die fernen Wellen des Meeres ebenso wie die Gedanken des Krebses. Dieser verharrte ziemlich dicht neben ihr. Er glaubte schon einiges über Muscheln zu wissen und war angetan von der Schönheit seiner Nachbarin. Die Form war von seltener Schlichtheit. Im warmen Sonnenlicht schimmerte das Perlmutt auf ganz wunderbare Weise. Je länger der Krebs das Farbenspiel beobachtete, desto mehr wünschte er auch einen Blick in das Innere der Muschel zu bekommen. Und wie würden die Schalenhälften wohl von der unteren Seite aussehen? Aber die Muschel öffnete sich nur selten kurzzeitig für wenige Millimeter. Sie schien abgelenkt und drehte sich kaum in seine Richtung. Je geringer der Muschelspalt, umso mehr verlangte der Krebs die Geschmeidigkeit der Muschel und die Anmut ihrer Bewegungen zu sehen. Leider trug der Wind ihre Stimme auch noch in eine andere Richtung, so dass er diese nur ahnen konnte. Er wollte sie so gern hören. Der Krebs vergaß darüber das Kreischen der Möwen und die sonst üblichen Schätzungen, ob die Wassermenge des Priels noch genügend Schutz bis zur nächsten Flut gewähren würde. Aber er hatte auch gar nicht vor, seine Position zu ändern. Er vernahm nicht einmal, dass das Wasser in der Ferne bereits wieder anstieg. Stattdessen suchte er nach Gemeinsamkeiten. Sie hatten beide eine harte Schale, sie konnten nicht wirklich schwimmen, sie trugen ihre Hoffnungen verborgen. Und sicher würde sich die Muschel, genauso wie er, an den Lichtbrechungen im Wasser freuen, bei Sturm mit dem Seetang spielen und in der Tiefe nach unvergleichlichen Mustern am Grunde suchen. Lediglich eine Reise am Rumpf eines Schiffes würde dem Krebs verwehrt bleiben. Da war auch schon die nächste Flut heran. Krebs und Muschel gerieten in unterschiedliche Strömungen. Lange wechselten Ebbe und Flut in gewohntem Gleichmaß immer und immer wieder. Der Krebs wuchs und überstand alle schutzlosen Zeiten, in denen der vorher abgestreifte Panzer stets viel zu langsam nachhärtete. Die Nachkommen befanden sich schon auf eigenem Terrain. Die Muschel musste derweil einige Blessuren auf ihrer Oberseite erdulden. Sie hatte in einer kleinen Kolonnie gelebt und Schutz in einer sanft umspülten Felsspalte gefunden. Aber auch dort gab es Unwetter und Angriffe scharfkantiger Vogelschnäbel, die dazu führten, dass sich die Muschel wieder öfter lange verschlossen hielt, so wie sie es häufig in ihrer Jugend getan hatte. Es nahte die Zeit, in der es nicht mehr genug Platz für alle am Felsen gab. Hätte jemand gefragt, ob die Muschel fortgespült worden sei oder sich selbst gelöst hatte, so wäre die Antwort nicht eindeutig ausgefallen.

In einer klaren Neumondnacht trafen sich Krebs und Muschel am Meeresgrund wieder. Erschrocken versuchte sich die Muschel in den Sand zu graben. Der Krebs lief versehentlich ein bisschen schräger als sonst. Aber er blieb. Beide erinnerten sich, dass sie einst gemeinsam in einem flachen Priel die nächste Hochtide erwartet hatten und der Krebs beharrlich an der Seite der Muschel geblieben war. Nun, dort in der Tiefe, war das Wasser klar und gleichmäßig ruhig. Tage und Nächte vergingen, der Mond nahm allmählich zu, als sie feststellten, dass ihre Stimmen einander glichen. Sie hörten sich über die Entfernung eines ganzen Korallenriffs, aber auch dann, wenn ihre Stimmen in verschiedene Richtungen strömten. Krebs und Muschel glitten auf den Obertönen der Wale. Mit ihnen begann die Zeit, die niemals festgeschrieben wurde und nicht messbar ist an den Gezeiten der hohen See.

sibyll maschler (Text und Foto) – Juni 2008

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Zur Ausstellung von Patchworkarbeiten von Doris Bemme

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Zur Ausstellung, der Patchwork Arbeiten von Doris Bemme im Mehr-Generationen-Haus in Königs Wusterhausen gab, es in dieser Woche, am 17. April 2013, eine Finissage. In einer Gesprächsrunde mit der Künstlerin konnten Interessierte ihre Fragen erörtern.

Dieser Quilt von Doris Bemme erinnert mich entfernt an die streng auf Form und Farbe reduzierten islamischen Kunstwerke, die mich oft beeindruckt haben. Dieser Babyquilt in kräftigen Tönen ist ein willkommener Farbtupfer nach dem ewig scheinenden Schnee.

Vielleicht kann er auch eine kleine Einstimmung für unser heute beginnendes Frühjahrsseminar in Wünsdorf sein? Ein Warm-up, einen Vorgeschmack, eine Anregung für Texte als Collage – für unser Projekt der Zusammenarbeit mit den bildenden Künstlern aus dem Kreis der Werkstatt von Hagen Ludwig und ­Nottekunst.

Liane Fehler Online-Redaktion

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sibyll maschler: Frauengebet III

Komm über mich fließend nimm meinen Raum ganz ein wachse in mir und schenke dem Kelch voll ein

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sibyll maschler Bild 158

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Komm
über mich
fließend
nimm meinen Raum
ganz ein
wachse in mir
und schenke dem Kelch
voll ein

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sibyll maschler (Text und Foto) – November 2008

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sibyll maschler: Frauengebet II

Für alle Fälle lass mich sein an den Steilhängen und Abgründen Geländer Treppe oder Seil

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Für alle Fälle

lass mich sein
an den Steilhängen
und Abgründen
Geländer Treppe
oder Seil*
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Oktober 2008
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Chronik 2013: Seelenvogel heißt ein Quilt von Doris Bemme

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Das Angebot sich während unseres Frühjahrsseminars im April am Projekt der Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern in Wünsdorf zu beteiligen, wurde ja schon bereits bei unseren Treffen bei Lesen und Schreiben besprochen. Dabei ging es um Inspiration, Collage und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kunstformen. Falls es Texte oder andere Ideen zu den Quilts von Doris Bemme geben sollte, wäre das eine Ausweitung des Gedanken der Collage, der unser Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten noch erweitern könnte. Der Titel läßt mich ganz nachdenklich werden…

Liane Fehler Online-Redaktion

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