Categotry Archives: GeWa 103

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Gerhard Jaeger: Abenddennerung

denn es geht weiter denn es wird dunkel denn Abendschläue denn das ist gewiß denn abends auf der Leiter denn auch ein Gefunkel

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denn es geht weiter*
denn es wird dunkel*
denn Abendschläue*
denn das ist gewiß*
denn abends auf der Leiter*
denn auch ein Gefunkel*
denn ich in alter Treue*
denn ein wenig Schiß*
denn der Schlaf*
denn die Ruhe*
denn der Traum*
ist nicht ohne Schaf*
ist nicht ohne*
denn wenn ich penne*
ist es anders als wenn*
Ich renne, denne*
unter der Abenddennerung*
ist ein großes Werden*
hier auf Erden

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Das Gedicht Abenddennerung wurde veröffentlicht im Heft Gedankenwasser (GeWa) 103.

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Jennifer Müller: Der Kaktus im Blumenbeet

Er starrt. Er starrt zu Boden, weil es ihm unangenehm, ist die Blumen anzustarren, die sich überall um ihn herum in der Sonne räkeln mit ihren makellosen bunten Blüten und schlanken Sprossen. Es ist ihm unangenehm, in ihrer Mitte zu stehen und sich darüber bewusst zu sein, dass er stachelig ist. Es scheint manchmal, als ob die schönen Blumen ihn meiden wegen seiner Stacheln. Das stört ihn, doch er kann sie ja nicht abschneiden. Er kann

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Er starrt.

Er starrt zu Boden, weil es ihm unangenehm, ist die Blumen anzustarren, die sich überall um ihn herum in der Sonne räkeln mit ihren makellosen bunten Blüten und schlanken  Sprossen. Es ist ihm unangenehm, in ihrer Mitte zu stehen und sich darüber bewusst zu sein, dass er stachelig ist. Es scheint manchmal, als ob die schönen Blumen ihn meiden wegen seiner Stacheln. Das stört ihn,

doch er kann sie ja nicht abschneiden. Er kann nicht so zart und schön sein wie die Blumen. Wie sähe das denn auch aus, ein blumgewordener Kaktus. Nein, er starrt den Boden an. Den braunen, langweiligen Boden, der allerlei Krimskrams beherbergt. Er hätte ja auch eine Ameise sein können. Dann hätte er wenigstens die Möglichkeit davon zu laufen, andere Kakteen zu suchen, die genauso stachelig sind wie er selbst, die genauso starren, um die Abneigung und zugleich makellose Schönheit der Blumen nicht sehen zu müssen. Genau genommen hätte er sich mit einem zweiten Kaktus doch sehr viel wohler gefühlt. Dann hätte es ihm egal sein können wenn die Bienen kommen, wie sie es immer tun, wenn er starrt. Dann kommen die Bienen und halten ihm das vor Augen, was ihn so stört. Die fliegen von Blume zu Blume und daran scheint auch gar nichts falsch zu sein. Bienen und Blumen sind ja glücklich. Da hat keiner Stacheln und da starrt auch niemand. Nein, der Kaktus fühlt sich deplatziert. Wenn es einen Gott gäbe, so sagt er sich, hätte ihn dieser doch nie inmitten eines Blumenbeets gepflanzt. Zumindest hätte Gott ihn ja dann zu einer Blume machen können.

Er starrt.

Er starrt den Himmel an, weil es ihn beschäftigt, ob da oben jemand sitzt und sich denkt: „Das hast du gut gemacht, ist ein schönes Bild. Ein Kaktus inmitten eines Blumenbeets.“

Tief in seinem Innern spürt der Kaktus ein Herz schlagen.

Ein kleines Herz, das schwer und müde ist vom ständigen Versuchen, groß und stark zu sein um eines Tages die ganze Welt umarmen zu können.

Das Wasser bahnt sich weiterhin den Weg durch seine Wurzeln, und Tag für Tag tankt er sich voll mit Sonne. Und ab und zu, wenn er sich einen Augenblick Zeit nimmt, versucht er in den Wolken Bilder zu sehen und gibt sich seinen Träumen hin, in denen Blumen und Kakteen in einer wundervollen Symbiose in einem Blumenbeet stehen, frei von Stachelangst und Befangenheit, einer Welt, in der es einen Gott gibt, der einem kleinen Herz die Chance gibt mit Glück erfüllt zu sein.