Categotry Archives: Christian Rempel

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Christian Rempel: Vom Raub der Gedanken

Vom Raub der Gedanken Im Himmelsblau Gedanken schweigen was aufstieg, ist dort bald zerschellt sogar gebildet ward im Reigen ein Sinnen von der großen Welt

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Vom Raub der Gedanken

Im Himmelsblau Gedanken schweigen
was aufstieg, ist dort bald zerschellt
sogar gebildet ward im Reigen
ein Sinnen von der großen Welt

Doch jeder Faser rasch beraubt
Gedankenfaser seines Saums
starrt jener, trotz der Stirn umlaubt
auf‘s Sinnbild eines leeren Raums

Und ahnt er doch, dass Nebeldünste
noch in den meisten Hirnen wabern
des Aberglaubens feinst Gespinste
sie selbst nicht denken, lieber labern

Wenn ihm gegeben Räsonieren
und er nur pur die Wahrheit spräche
und klopfte er an alle Türen
ein Tränenstrom hervor ihm bräche

So ändert’s nichts am Himmelsblau
das der Erklärung nicht bedarf
sind Tränen nicht nur eine Schau
worüber man den Mantel warf

Des Schweigens und des Unverstands
man wird ein Taschentuch ihm reichen
fast scheint mir, jener Mann verwand’s
ist still geworden ohne gleichen

C.R. 9.8.2015

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Christian Rempel: Aug‘ in Aug‘ – L&S am 14.10. in der Bibliothek Wildau

Aug‘ in Aug‘ L&S am 14.10. in der Bibliothek Wildau Dass schriftlicher Gedankenaustausch, wie etwa über den Blog oder unser GeWa nicht alles ist, sondern es auch der persönlichen Begegnung, eben auf Augenhöhe bedarf, war nicht nur meine persönliche Bilanz vom Herbstseminar, sondern ist auch die Idee der Veranstaltung Lesen&Schrei¬ben, die ja monatlich stattfindet. Um auch Außenstehenden oder Interessierten einen Eindruck davon zu vermitteln, seien ein paar Zeilen gestattet. Der Verein hat sich ja der brandaktuellen Thematik Flucht verschrieben, und wie Annett gestern mitteilen konnte, steht die Einbringung der diesbezüglichen Ernte mit einem speziellen Fluchtheft aus ...

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Aug‘ in Aug‘
L&S am 14.10. in der Bibliothek Wildau
Dass schriftlicher Gedankenaustausch, wie etwa über den Blog oder unser GeWa nicht alles ist, sondern es auch der persönlichen Begegnung, eben auf Augenhöhe bedarf, war nicht nur meine persönliche Bilanz vom Herbstseminar, sondern ist auch die Idee der Veranstaltung Lesen&Schrei¬ben, die ja monatlich stattfindet. Um auch Außenstehenden oder Interessierten einen Eindruck davon zu vermitteln, seien ein paar Zeilen gestattet.
Der Verein hat sich ja der brandaktuellen Thematik Flucht verschrieben, und wie Annett gestern mitteilen konnte, steht die Einbringung der diesbezüglichen Ernte mit einem speziellen Fluchtheft aus eigenen Federn unmittelbar bevor.
Es waren anfänglich sieben Teilnehmer, und als der Vereinsvorsitzende Lars die obligatorische Frage stellte, wer denn etwas mitgebracht hätte, gingen fast alle Hände hoch. Dann wurde durch Lars selbst mit einem Gedicht der Einstieg gefunden, in dem es um neue Zäune und Mauern ging, die errichtet werden, wo wir doch unsere eigene erst vor einem Vierteljahrhundert losgeworden sind. Es geht eine starke lyrische Besorgnis von der gegenwärtigen Situation aus, die ja nun auch nicht mehr vor unseren Grenzen Halt gemacht hat. Man assoziiert neue Schießbefehle und beschäftigt sich ganz allgemein mit dem Tod, dem ein anderes, älteres Gedicht von Lars gewidmet war.
Alles lässt sich nicht aus dem Gedächtnis reproduzieren, aber dass auch Sucht eine Flucht sein kann und dass man sich manchmal vor der Flut irgendwelcher apps kaum noch retten kann, wurde unter anderem vom Dichterpaar Annett und Frank thematisiert. Ein sehr schönes Gedicht von Annett beschäftigte sich auch mit dem Tempogegensatz, der im Austreiben der Wurzeln unserer brandenburgischen Kiefern im sprichwörtlich kargen Boden und dem Hindurchdüsen vermittelst Automobilen besteht. Gerhard hatte dann noch die Idee einer Symbiose zweier Liedtexte anzubieten, eines sehr bekannten mit einem weniger bekannten, und der Effekt der gegenseitigen Aufwertung war wirklich verblüffend.
Dann mussten einige weg, es waren auch schon etwa anderthalb Stunden vergangen, und es wurde noch eine Frage erörtert, die man wohl mehr dem Schriftlichen anheimstellen sollte und auch daher rührt. Dann kam noch Liane, die ja mit dem Blog, auch aufgrund technischer Schwierigkeiten, oft ihre liebe Not hat und es trotzdem immer wieder bewältigt. Dann war auch schon Aufbruchs¬stimmung angesagt und es sind sicher fast alle mit Gefühl nach Hause gefahren, etwas Angenehmes erlebt zu haben, auch wenn die Fetzen manchmal ein bisschen fliegen. Aber es ist ja kein Verein zur gegensei¬tigen Beweihräucherung, sondern manchmal gehen die Auffassungen ganz schön auseinander und man sich dann nach einiger Zeit doch immer wieder mit Respekt begegnet.
Wem das eine Einladung ist, das nächste Mal dabei sein zu wollen, das nächste Treffen ist am 11.11. in der Bibliothek Wildau, allerdings nicht schon 11:11 Uhr, sondern 319 Minuten später.
Christian Rempel
Schriftführer

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Christian Rempel: Von der Worte tieferem Sinn

Von der Worte tieferem Sinn Redlich- oder Lauterkeit der eine hat’s zu jeder Zeit dem andern beides oft entgeht der Hahn dagegen immer kräht Auf dem Seminar und schon vorher hatte ich es mit der Bezeichnung des „lauteren Flüchtlings“ versucht. Natürlich kommt redlich von reden und lauter von Laut. Wenn einem die Schranken der Sprache gesetzt sind, und nach Liane gibt es ja nicht einmal ein Wörterbuch Suaheli-Deutsch, ist es mit der Redlichkeit etwas schwieriger. Auch ist diese Bezeichnung durch das abgedroschene „Üb immer Treu und Redlichkeit“ etwas verbraucht und bezeichnet drittens zusätzlich etwas wie Loyalität gegenüber der Gesellschaft, in der der Flüchtling ja mit Not gerade erst angekommen ist und noch kein solches Verhältnis entwickelt haben kann. Lauter sein ist dagegen eine Nuance verschieden und erfordert nicht, dass man sich in bündiger Rede artikuliert oder diese steht, sondern eben nur der Laut, die einfache Gefühlsäußerung, in welcher Sprache auch immer, sein kann oder nicht einmal das erfordert. Lauter ist also um vieles persönlicher. Gleichzeitig grenzt es sich von der fast schon fordernden und etwas pädagogischen Ehrlichkeit ab, ohne diese Tugend hier schmälern zu wollen. Lauterkeit hat eine poetische Aura, die sich hoffentlich nicht so schnell verbrauchen wird. Doch da wenig Aussicht besteht, dass der Begriff des „lauteren Flüchtlings“ eine stehende Redewendung wird, ist eine Inflation des Begriffes Lauterkeit auch nicht zu befürchten. In diesem Sinne wollte ich die letzten Verse meines Gedichts „Flucht von allüberall“ verstanden wissen: Die Lauterkeit gilt es zu prüfen Dein Gefühl prüfe selbst Christian Rempel 8.9.2015

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Von der Worte tieferem Sinn

Redlich- oder Lauterkeit
der eine hat’s zu jeder Zeit
dem andern beides oft entgeht
der Hahn dagegen immer kräht

Auf dem Seminar und schon vorher hatte ich es mit der Bezeichnung des „lauteren Flüchtlings“ versucht. Natürlich kommt redlich von reden und lauter von Laut. Wenn einem die Schranken der Sprache gesetzt sind, und nach Liane gibt es ja nicht einmal ein Wörterbuch Suaheli-Deutsch, ist es mit der Redlichkeit etwas schwieriger. Auch ist diese Bezeichnung durch das abgedroschene „Üb immer Treu und Redlichkeit“ etwas verbraucht und bezeichnet drittens zusätzlich etwas wie Loyalität gegenüber der Gesellschaft, in der der Flüchtling ja mit Not gerade erst angekommen ist und noch kein solches Verhältnis entwickelt haben kann. Lauter sein ist dagegen eine Nuance verschieden und erfordert nicht, dass man sich in bündiger Rede artikuliert oder diese steht, sondern eben nur der Laut, die einfache Gefühlsäußerung, in welcher Sprache auch immer, sein kann oder nicht einmal das erfordert. Lauter ist also um vieles persönlicher. Gleichzeitig grenzt es sich von der fast schon fordernden und etwas pädagogischen Ehrlichkeit ab, ohne diese Tugend hier schmälern zu wollen. Lauterkeit hat eine poetische Aura, die sich hoffentlich nicht so schnell verbrauchen wird. Doch da wenig Aussicht besteht, dass der Begriff des „lauteren Flüchtlings“ eine stehende Redewendung wird, ist eine Inflation des Begriffes Lauterkeit auch nicht zu befürchten.
In diesem Sinne wollte ich die letzten Verse meines Gedichts „Flucht von allüberall“ verstanden wissen:

Die Lauterkeit gilt es zu prüfen
Dein Gefühl prüfe selbst

Christian Rempel 8.9.2015

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Christian Rempel: Was sage ich?

Was sage ich? und was sage ich lieber nicht. Ich verheimliche nichts, aber manches könnte mir zu nahe kommen, manches gehört sich auch nicht oder könnte in den falschen Hals geraten. Wenn ich schlaflose Nächte habe, sollte ich das vielleicht lieber in ein lyrisches Ich verpacken und reifen lassen. Dann kommen vielleicht Zeilen wie bei Gerhard Gundermann heraus (s. in diesem Blog): Und nachts macht diese Stadt ´über uns die Luken dicht, und wer den Kopp zu weit oben hat, der find` seine Ruhe nicht. Wenn ich in Wut geraten bin, sollte ich überlegen, ob meine Reaktion einen künstlerischen Wert haben könnte, eine poetische Gebärde sein könnte,...

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Was sage ich?
und was sage ich lieber nicht. Ich verheimliche nichts, aber manches könnte mir zu nahe kommen, manches gehört sich auch nicht oder könnte in den falschen Hals geraten. Wenn ich schlaflose Nächte habe, sollte ich das vielleicht lieber in ein lyrisches Ich verpacken und reifen lassen.

Dann kommen vielleicht Zeilen wie bei Gerhard Gundermann heraus (s. in diesem Blog):

Und nachts macht diese Stadt ´über uns die Luken dicht,
und wer den Kopp zu weit oben hat,
der find` seine Ruhe nicht.

Wenn ich in Wut geraten bin, sollte ich überlegen, ob meine Reaktion einen künstlerischen Wert haben könnte, eine poetische Gebärde sein könnte, wie Sibyl es ausdrückte. Eine Gebärde hat auch etwas von Konzentration, ist nicht einfach ein Gebaren. Sie kann sich nicht nur in Worten, sondern auch in einem Blick, einer Geste ausdrücken, die uns nur im persönlichen Kontakt zu Gebote stehen und den wir deshalb auch so pflegen sollten, wie den schriftlichen Gedankenaustausch. Aber im Zentrum bleibt jenes Einzelne, Einsame („für sich allein sein“), diese Rilke‘schen Kunstdefinition, die Sibyl in ihrem Aufsatz an den Schluss stellt. Vieles, was bei ihm fast als Pose rüberkommt, erfurchterhei¬schend, ist durchaus berechtigt, wenn man es eben kann. Ob man es kann, entscheidet nicht mal die urfröhliche Runde in 25 Jahren, die Gerhard antizipiert, wir auch jetzt nicht, was wir wohl wissen sollten, und vielleicht wird sich die Nachwelt auch nicht dieser Mühe unterziehen, denn berufen fühlen sich viele und wer ist schon ein Berufener oder eine Berufene.

Hüten wir also alles, in dem etwas vielleicht Entdeckenswertes liegen könnte.
Grottenschlechtes kann ja getrost verworfen werden, das hebe auf, wer es für wert hält.

Im Unbestimmten
Christian

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Christian Rempel: Rilke und die „Landschafterei“

Rilke und die „Landschafterei“ Bevor sich Gerhard mitteilte, nun in die Fluchtproblematik und Schattenreiche einzutauchen, deren erstere uns demnächst dichterisch und multimedial beschäftigen wird, wies er mich noch auf einen genialen Text, wie er sagte, hin, nämlich die Einleitung zu „Worpswede“, eine Arbeit des noch ganz jungen und völlig unbekannten Rilke. Diesen Text über die Malerei und die dortigen Maler findet man im Internet. Im Folgenden nun ein als Appetitmacher gedachter Abriss: Kein Wort könnte man sich anders gesetzt und empfunden vorstellen. Man liest Rilkes „Worpswede“ einmal, zweimal und dreimal und entdeckt immer wieder Neues, noch nicht ganz Erfasstes. Der Impuls war da, sich der Natur zuzuwenden, in der man in der Kindheit jeweils noch unbewusst zu Hause war und der man sich, so man ein Künstler geworden, „unter Aufwendung eines gesammelten Willens“ wieder zuwendet. Er zieht die Linie nach, auf der sich die Natur von einem Nebending des Bildes, wo es wie „die Anfangsworte eines Ave Maria“ erklang, bis hin zur „Landschafterei“ entwickelte, die dennoch ein Schattendasein an den Akademien führe. Es ergoss sich aus diesen also ein Strom junger Leute, die nicht mehr nur Burgen und Schlösser, eigebettet in Berge und Wald und darüber den Himmel malen wollten oder eben Portraits, sondern ihren eigenen Teil der Natur, die doch der menschlichen so gleichgültig und groß gegenübersteht, im Worpsweder Moor zu suchen ausgingen, einer Landschaft, in der jeder Tag und jede Stunde anders ist, wenn man nur hinzusehen versteht. Fünf Maler beschreibt er, die sich dort, jung wie sie waren, eine gemeinsame Heimstatt gesucht hatten, vergleicht ihre Arbeiten mit Musik, Dichtung und Gärtnerei, lässt die „Malweiber“, die es meist erst postum zu Berühmtheit gebracht haben, außen vor und ...

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Rilke und die „Landschafterei“

Bevor sich Gerhard mitteilte, nun in die Fluchtproblematik und Schattenreiche einzutauchen, deren erstere uns demnächst dichterisch und multimedial beschäftigen wird, wies er mich noch auf einen genialen Text, wie er sagte, hin, nämlich die Einleitung zu „Worpswede“, eine Arbeit des noch ganz jungen und völlig unbekannten Rilke. Diesen Text über die Malerei und die dortigen Maler findet man im Internet. Im Folgenden nun ein als Appetitmacher gedachter Abriss:

Kein Wort könnte man sich anders gesetzt und empfunden vorstellen. Man liest Rilkes „Worpswede“ einmal, zweimal und dreimal und entdeckt immer wieder Neues, noch nicht ganz Erfasstes. Der Impuls war da, sich der Natur zuzuwenden, in der man in der Kindheit jeweils noch unbewusst zu Hause war und der man sich, so man ein Künstler geworden, „unter Aufwendung eines gesammelten Willens“ wieder zuwendet. Er zieht die Linie nach, auf der sich die Natur von einem Nebending des Bildes, wo es wie „die Anfangsworte eines Ave Maria“ erklang, bis hin zur „Landschafterei“ entwickelte, die dennoch ein Schattendasein an den Akademien führe. Es ergoss sich aus diesen also ein Strom junger Leute, die nicht mehr nur Burgen und Schlösser, eigebettet in Berge und Wald und darüber den Himmel malen wollten oder eben Portraits, sondern ihren eigenen Teil der Natur, die doch der menschlichen so gleichgültig und groß gegenübersteht, im Worpsweder Moor zu suchen ausgingen, einer Landschaft, in der jeder Tag und jede Stunde anders ist, wenn man nur hinzusehen versteht.

Fünf Maler beschreibt er, die sich dort, jung wie sie waren, eine gemeinsame Heimstatt gesucht hatten, vergleicht ihre Arbeiten mit Musik, Dichtung und Gärtnerei, lässt die „Malweiber“, die es meist erst postum zu Berühmtheit gebracht haben, außen vor und führt ein Wortgerüst auf, das es mit den Gemälden aufnehmen kann. Ein besonderer Leckerbissen ist die Beschreibung Otto Modersohns, des Dichtermalers, der so lange der Natur eine ganz eigene Sprache ablernt, bis er sie dann endlich ganz unbewusst zu gebrauchen versteht.
1895, nur sechs Jahre nach der Entdeckung Worpswedes durch die Künstler, war es dann so weit, dass ihnen auf der Münchner Kunstausstellung ein eigener Saal eingeräumt wurde und sie zu der Entdeckung der Ausstellung wurden. Dennoch waren es nicht die Landschaftsbilder, die sie am meisten reüssieren ließen, sondern die große goldene Medaille erhielt ein Werk Fritz Mackensens „Gottesdienst im Freien“, das dieser als Monumentalbild unter vielen Mühen und Entbehrungen erstellt hatte. Man kann ja auch nicht von der Hand weisen, dass es um vieles schwieriger ist, Menschen zu malen, als nach der Natur. Um wieviel schwieriger ist es noch, sich in einen Wortsattel zu schwingen und eine Lanze für die unterbewertete Kunst der Landschafterei zu brechen, das Geschaute erneut zu erschauen und für den Worpsweder Frühling dann Worte zu finden, wie dass er „mit dem Rostbraunwerden des Gagelstrauches fast wie ein Herbst beginnt, bis die unbe-schreiblich hellen Grüns der Birken wie Knabenstimmen einfallen.“

Christian Rempel
Im Waltersdorfe 18.8.2015

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Christian Rempel: Sommerseminar

Sommerseminar Vom ersten Moment an eine behutsame, ja freundschaftliche Atmosphäre bei unserem Treffen in Bestensee. Nach der Hektik der letzten Ereignisse, die fast noch in einer Notverlegung der Veranstaltung geendet hätten, war auch schon so etwas da, wie leichte Erschöpfung. Dorit Brückner, die neu in unserem Kreis ist, auch wenn sie schon lange malerisch und dichterisch tätig ist und ein Berufsleben als Psychologin hinter sich hat, gestaltete den Freitagabend. Alle hatten sich fast pünktlich eingefunden, auch wenn das MGH in Bestensee auf keinem Navi zu finden ist. Man konnte sich durchfragen. Dorit war sehr gespannt auf unsere Meinung zu den, den Bildern gewidmeten Gedichten. Manchmal ließen sich Beziehungen herstellen, manchmal waren die Bilder stärker, manchmal auch die Schriftform. ...

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Sommerseminar

Vom ersten Moment an eine behutsame, ja freundschaftliche Atmosphäre bei unserem Treffen in Bestensee. Nach der Hektik der letzten Ereignisse, die fast noch in einer Notverlegung der Veranstaltung geendet hätten, war auch schon so etwas da, wie leichte Erschöpfung.

Dorit Brückner, die neu in unserem Kreis ist, auch wenn sie schon lange malerisch und dichterisch tätig ist und ein Berufsleben als Psychologin hinter sich hat, gestaltete den Freitagabend. Alle hatten sich fast pünktlich eingefunden, auch wenn das MGH in Bestensee auf keinem Navi zu finden ist. Man konnte sich durchfragen. Dorit war sehr gespannt auf unsere Meinung zu den, den Bildern gewidmeten Gedichten. Manchmal ließen sich Beziehungen herstellen, manchmal waren die Bilder stärker, manchmal auch die Schriftform. Als sich die Zuhörerschaft dann nach einer Stunde gelegentlich auflöste, wie das bei uns nicht selten üblich ist, wusste sie das Publikum etwas zur Ordnung zu rufen und zur Höflichkeit zu mahnen. Auch praktizierte sie das direkte Ansprechen von Personen aus unserem Kreis, um genau dessen Meinung zu erfahren. Das waren schon ein bisschen Neuheiten von einem Neuling in unserem Kreis, aber wir sahen auch, dass manchmal die Würde des Alters noch eine Facette hinzufügen kann, wo es wirklich nicht immer ganz rücksichtsvoll zugeht.

Nebenbei war das Ausschneiden der Aufkleber für das neue GeWa angesagt, in das dann auch noch die Klammern gehämmert werden konnten und es somit zur allgemeinen Erbauung bereitstand. Liane und ich hatten sich erst einen Tag vorher entschlossen, das neue Heftchen doch noch zum Seminar herauszubringen und es war uns nicht leicht gefallen, es voll zu bekommen und dazu noch unter ein Motto zu stellen, nämlich den „schriftlichen Meinungsaustausch“. Diesen zu entwickeln, ist ein von manchen unDichtern anerkanntes Ziel, auch wenn über dessen Nützlichkeit kontroverse Auffassungen herrschen. Ich für meinen Teil, der ich diesen schriftlichen Austausch bevorzuge, musste feststellen, dass trotz der luziden Form, um die ich mich bemühe, dadurch auch ein bisschen eine „theoretische Beziehung“ zu Personen und dem Verein entstehen kann, die man erst wieder durch den freundschaftlichen Umgang miteinander beheben kann.

Am Sonnabend ging es dann, trotz der Probleme, die immer noch schwelten, erst einmal in die Textarbeit, und das sogar bei relativ pünktlichem Beginn. Nun scheint die Diskussionszeit in einem umgekehrten Verhältnis zur Länge der Gedichte zu stehen, so dass man sich dann fast zwei Stunden an einigen 10-Zeilern aufhielt. Die Hypothese des lyrischen Ichs, sorgfältig geschieden vom Autor, macht es ja auch nicht immer leicht, Gedichte zu entschlüsseln. Nach zwei Texten von Jenny ging es dann mit einiger Verzögerung in die Mitgliederversammlung, nachdem als Zünglein an der Waage der Beschlussfähigkeit auch noch Olaf auf einen Sprung vorbeikam. Sie wurde dann auch zügig absolviert, wobei auch die Probleme von Austrittsgedanken einiger zur Sprache kamen. Da wurden dann freilich auch Rationalitätsgedanken in die Runde geworfen und dass wohl jeder, der Probleme sieht oder hat, auch für sich selbst sprechen können sollte. Der Vorstand wurde einstimmig in seiner Arbeit bestätigt und wird nun für mindestens ein Jahr in der gleichen Besetzung weiteragieren.

Bis dahin waren wir also noch gar nicht zum Thema „Flucht“ gekommen, aber die Atmosphäre war sehr wohltuend. Ich hatte einen kleinen, wieder etwas theoretischen Beitrag zu „Vertreibung“ vorbereitet, der dann aber wegen der oben beschriebenen, manchmal zu verzeichnenden Auflösungserscheinungen dann doch noch unterbrochen werden musste und das Feedback ließ auch nicht erkennen, wie nützlich er wohl gewesen sein mag. Dann hatte Frank P. noch ein paar seiner geistreichen, originellen und manchmal etwas rätselhaften Gedichte auf Lager und wir waren auch schon etwas mehr drin in der Fluchtproblematik. Zur Vervollständigung muss gesagt werden, dass Gerhard Malzeug bereitgestellt hatte und nebenher ein paar bildliche Darstellungen entstanden. Er selbst hat sogar die Boots-People ins Bild gebracht. Einige verabschiedeten sich zur Nachtruhe oder nach Hause und ein kleiner Kreis saß noch bis in die Morgenstunden, dass Lars die LKWs der benachbarten Großbäckerei Wahl ausrücken hörte. Dort hatte man die Nacht offenbar noch nützlicher verbracht, nur eben vergessen, uns ein paar Brötchen vorbeizubringen.

Am Sonntag dann ab zehn immer noch Textarbeit, das Thema Flucht war eigentlich nur in Lianes Beitrag über ihre vielfältigen Begegnungen mit Asylbewerbern präsent. Annett und Frank hatten es auf sich genommen, das Catering zu managen, was ohne Kochplatte oder gar Küche und dem nächsten Wasserhahn zwei Treppen tiefer, nicht ganz einfach war. Da sich unser Konferenzraum in der dritten Etage befand, war dann auch entsprechend viel herunterzuschleppen. Glücklich gingen wir nach dem als viel zu kurz empfundenen Treffen dann wieder auseinander.

Die Bedingungen waren nicht optimal, aber überwiegend bestand die Meinung, dass diese Art Seminar mit Übernachtung vor Ort doch die bessere Form ist, als wenn noch große Fahrwege bevorstehen an jedem Tag. Deshalb wollen wir auch die kommenden Seminare in dieser Form durchzuführen versuchen.

Ich hoffe, dass meine Zeilen auch für die, aus den verschiedensten Gründen ferngebliebene andere Hälfte des Vereins, einerseits einen Eindruck vermitteln und andererseits hoffentlich noch mehr Zuspruch für die kommenden Seminare hervorruft. In den Wald von Bestensee setzten wir allerdings keinen Fuß, so viel Luft sollten wir uns in Zukunft gönnen, dass es auch nicht zu anstrengend wird.

Christian Rempel 7. September 2015
Schriftführer

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Christian Rempel: Heinriche im Ilsental

Heinriche im Ilsental Der Kaiser Heinrich, immer helle macht sich auf zu jener Stelle wo Prinzess Ilse jammerschade allein genießt ihr täglich Bade Nur selten trifft sie ein Voyeur das letzte Mal, als dies Malheur ihr zustieß, fand sie es famos ihr Pech, es war der Förster ... ▶ Hinweis: Dies ist eine Vorschau. Um diesen Artikel zu öffnen, bitte in die türkisfarbene Überschrift oder auf das Wort “Weiterlesen” klicken.

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Heinriche im Ilsental

Der Kaiser Heinrich, immer helle
macht sich auf zu jener Stelle
wo Prinzess Ilse jammerschade
allein genießt ihr täglich Bade

Nur selten trifft sie ein Voyeur
das letzte Mal, als dies Malheur
ihr zustieß, fand sie es famos
ihr Pech, es war der Förster bloß

Doch dieses Mal im Ilsentale
des Wasser fließt nicht in die Saale
sondern mehr der Weser zu
naht sich ein Kaiser und ich tu

Als entginge mir sein lüsternd Blick
der Kaiser hat ´nen Frauentick
nicht ist er aus auf die Belohnung
die Ilsen birgt in ihrer Wohnung

Im kreuzgeschmückten Ilsenstein
es reizt ihn mehr ihr schlankes Bein
und ihre Brüste, ihre weißen
die ganz Glückseligkeit verheißen

Das Kreuz ganz oben, das ich meine
mit schlotternd Knien stand dort Heine
der ob der religiösen Regung
ganz stille ward und die Bewegung

Der Wasser, stürzend erst, dann schleichend
über kleine Kiesel streichend
uns wahrgenommen und fixiert
auf Ilsen nun und Heinrich stiert

Doch um nicht indiskret zu sein
lässt er die beiden bald allein
denn kaiserliche Sprosse zeugen
will selbst der Dichter nicht beäugen

Und hat er nicht auch oft geküsst
weil er doch selbst ein Heinrich ist
zwar nicht ein Kaiser oder Fürst
an Goethen Dich erinnern wirst

Sie alle liebten auch nach Kräften
und den geschlechtlichen Geschäften
Tribut sie zollten, ja das schon
doch übten sie auch Diskretion

C.R. 30.7.2015

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Christian Rempel: Noch mal Rilke

Noch mal Rilke Nachdem wir so diverse Linksammlungen auf dem Blog haben, manchmal völlig unmotiviert, bat mich die Onlineredaktion, auch mal eine Linksammlung zu Rilke zu erstellen. Aber leider widerstrebt mir diese Form der „Hilfestellung“, denn wenn sich jemand für ein Thema interessiert, wird er es auch gut selber fertigbringen zu googeln. Es sind auch gerade die Audiobeiträge, die ich nicht mag, wo oft ausufernd von irgendwelchen Lackaffen etwas vorgetragen wird, das man lieber selber lesen würde, ohne dabei auch noch einen A(E)ffekt rübergebracht zu bekommen. Ich weiß auch, dass ich in dieser Abneigung nicht allein stehe. Vielmehr möchte ich hier mein Lieblingsgedicht von Rilke zum lesen vorstellen. Ich hatte es gar nicht selbst entdeckt, sondern es wurde mir einmal von einer der vielen Rilkeverehrerinnen zugesandt.

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Noch mal Rilke

Nachdem wir so diverse Linksammlungen auf dem Blog haben, manchmal völlig unmotiviert, bat mich die Onlineredaktion, auch mal eine Linksammlung zu Rilke zu erstellen. Aber leider widerstrebt mir diese Form der „Hilfestellung“, denn wenn sich jemand für ein Thema interessiert, wird er es auch gut selber fertigbringen zu googeln. Es sind auch gerade die Audiobeiträge, die ich nicht mag, wo oft ausufernd von irgendwelchen Lackaffen etwas vorgetragen wird, das man lieber selber lesen würde, ohne dabei auch noch einen A(E)ffekt rübergebracht zu bekommen. Ich weiß auch, dass ich in dieser Abneigung nicht allein stehe.

Vielmehr möchte ich hier mein Lieblingsgedicht von Rilke zum lesen vorstellen. Ich hatte es gar nicht selbst entdeckt, sondern es wurde mir einmal von einer der vielen Rilkeverehrerinnen zugesandt.

Rilke hatte ja die Bekanntschaft mit Lou Andreas-Salomé gemacht, die ihn, obwohl sie 14 Jahre älter war, faszinierte. Das folgende Gedicht ist aus dieser Phase und hat sicher mit dieser Frau zu tun, der schon Nietzsche einen Heiratsantrag gemacht hatte und der, vielleicht auch wegen der abschlägigen Antwort, später in geistige Umnachtung verfallen ist. Fast der gesamte Briefwechsel zwischen Rilke und Lou wurde vernichtet im beiderseitigen Einverständnis. Wer weiß, was dieser als Autodafé bezeichneten Aktion alles zum Opfer gefallen ist, aber das folgende Gedicht hat es überlebt:

LÖSCH MIR DIE AUGEN AUS…..

Lösch mir die Augen aus: ich kann Dich seh`n,
wirf mir die Ohren zu: ich kann Dich hören,
und ohne Füße kann ich zu Dir geh`n,
und ohne Mund noch kann ich Dich beschwören.
Brich mir die Arme ab, ich fasse Dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst Du in mein Hirn den Brand,
so werd ich Dich auf meinem Blute tragen.

 Rainer Maria Rilke 1899

Im letzten GeWa hatte ich noch mal auf die Rolle des Gedankenaustauschs verwiesen, der dort in der Anfangszeit noch stärker ausgeprägt war. Um wieviel mehr gilt das für einen lebendigen Blog, auch wenn sich einige daran stören, dass das eine Öffentlichkeit ist, die unüberschaubar ist und ein viel weitreichenderes Medium als unser gutes altes GeWa. Trotzdem gab es schon Zeiten, wo auch unser Blog lebendiger war, wo die Klingen gewetzt und gekreuzt wurden. Wenn wir nun also in die guten alten Zeiten eintauchen, so wünschte man sich vor allem den Austausch zurück.

Christian Rempel 7.8.2015

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Christian Rempel: Rilke (1875-1926)

Rilke (1875-1926) Es muss ein großes Erholungsbedürfnis gegeben haben in einer Zeit, wo die persönliche Begegnung mit Menschen und das direkte Kunsterlebnis, ohne sich durch moderne Medien noch betäuben zu können, einen Ausgleich darreichten zu Imperialismus, ins ekstatisch gesteigerten Nationalismus und für die meisten einfach unausweichliche Armut. Wie müssen selbst die Reichen noch den Mangel an geistiger Nahrung, an Sinngebung empfunden haben, dass sie sich gern in die Gesellschaft des Dichters begaben, der eigentlich nicht gesellig war, aber über distinguierte Umgangsformen verfügte, so dass man ihn bei allem Geldmangel, der ihn fast immer quälte, für einen der ihren halten konnte.

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Rilke (1875-1926)

Es muss ein großes Erholungsbedürfnis gegeben haben in einer Zeit, wo die persönliche Begegnung mit Menschen und das direkte Kunsterlebnis, ohne sich durch moderne Medien noch betäuben zu können, einen Ausgleich darreichten zu Imperialismus, ins ekstatisch gesteigerten Nationalismus und für die meisten einfach unausweichliche Armut. Wie müssen selbst die Reichen noch den Mangel an geistiger Nahrung, an Sinngebung empfunden haben, dass sie sich gern in die Gesellschaft des Dichters begaben, der eigentlich nicht gesellig war, aber über distinguierte Umgangsformen verfügte, so dass man ihn bei allem Geldmangel, der ihn fast immer quälte, für einen der ihren halten konnte.

In diesen bewegten Zeiten einen so unpolitischen Menschen zu treffen, musste entweder Kopfschütteln hervorrufen oder eines Menschen Labung sein. Scheinbar ein Leben lang hat er sich mit den Kataströphchen seiner Kindheit auseinandergesetzt, die erst in seiner Mutter bestanden und dann im Besuch einer Militärschule. Sollte man daraus lernen, dass man sich möglichst schone (er versuchte seine Einberufung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern) und sein Lebtag eine Nabelschau betreibe?

Zu den damaligen Modernitäten gehörten offenbar auch schnell geschlossene Ehen, wieder aufgelöste oder durch einen höheren Zweck, wie der Kunst oder das Geldverdienen, aus diesen abgezogen zu sein. Schon seine Mutter, der eine gewisse Unsystematik in der Erziehung vorzuwerfen war, trennte sich bald vom Vater Rilkes und lebte ihr eigenes Leben an Orten, die ihr mehr behagten als Prag. Sie hat denn auch ihren Sohn überlebt, anders als sein Vater, der wohl etwas schlicht in seiner Beamtenmentalität war, aber seinen Sohn lange Zeit materiell unterstützte, als dieser, nach bürgerlichen Maßstäben schon längst etwas hätte geworden sein müssen. Trotzdem ist es die Mutter, die über ihm schwebt. So schreibt noch der vierzigjährige Rilke sehr schön:

Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein.

Da hab ich Stein auf Stein zu mir gelegt,

und stand schon wie ein kleines Haus,

um das sich groß der Tag bewegt, sogar allein.

Nun kommt die Mutter, kommt und reißt mich ein.

Wie es in dem Dichter ausgesehen haben mag, erfahren wir aus der Biographie von Wolfgang Leppmann nicht, der sich auch ein bisschen über Rilke stellt und ihm postum den einen oder anderen Ratschlag erteilt, wie er sich hätte verhalten oder wie er hätte schreiben sollen. Das Freundes- und Bekanntenverzeichnis kommt jedenfalls einem Lexikon gleich und es ist erstaunlich, wie die vielen Liebschaften und Bewunderer Rilkes alle zu verzeichnen waren, wenn man nicht sein Zeitgenosse hat sein können.

Es könnte einem auch eigentlich egal, sein, wie es in ihm ausgesehen haben mag, würde man nicht selber gern von seinen innersten Befindlichkeiten, wie blass diese auch sein mögen, gern eine Wünschelrute  zur Hand nehmen, um wenigstens einen Zipfel der Unsterblichkeit zu fassen zu bekommen, die er erlangt hat. Auch möchte man gern so viel zu sagen haben, wie er, wenn er zum Beispiel über einen Hirten schreibt:

Abwechselnd weilt er und zieht, wie selber der Tag,

und Schatten der Wolken

durchgehn ihn, als dächte der Raum

langsam Gedanken für ihn.

Das hat schon einen philosophischen Gehalt und auch dass Rilke wohl alle Dinge für belebt hielt, kann ein bescheidenes Dichterherz der Erfüllung näher bringen.

Rilke wollte auch nicht den Tod der Ärzte sterben, der ihn, an Leukämie erkrankt, so früh ereilt, sondern seinen eigenen. Jedenfalls hat er die Symptome dieser Krankheit sehr genau an sich selbst beschrieben. Wie genau er schon in gesunden Tagen mit 38 in sich hineinhört und wie er es in Briefe fassen kann, belegt das Folgende:

Ich möchte alles auf einmal lesen und dabei behalte ich das Mindeste, es ist schrecklich, die Mäuse des Kummers von der einen Seite, die Raubvögel des Gefühls von der andern haben mein Gedächtnis rein aufgefressen, ich befühle mich, es lässt sich gar nicht mehr feststellen, wo es seinen Platz hatte.

Sollte man bei allem nicht ihm selbst überlassen, etwas über sich auszusagen, auch wenn es die in Zweifel zu ziehende adlige Herkunft mit einschließt? Es ist ja eher die Kunst, wie er es sagt, denn der Inhalt:

Des alten lange adligen Geschlechtes

Feststehendes im Augenbogenbau.

Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau

Und Demut da und dort, nicht eines Knechtes

doch eines Dienenden und einer Frau.

Der Mund als Mund gemacht, groß und genau,

nicht überredend, aber ein Gerechtes

Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes

und gern im Schatten stiller Niederschau.

Da steht er schon gemeißelt vor einem, obwohl er sich des Abbildens seiner selbst stets widersetzte und es nur wenige Bilder von ihm gibt. Hatte er sich einen Gedichtband „Mir zur Feier“ noch von Heinrich Vogeler illustrieren lassen, vertraut er später ganz seiner eigens gebildeten Handschrift oder dem gedruckten Wort. Er war frankophil wie Heine, ohne dass er dessen Leichtigkeit besessen hätte und ist mehr Realist als Heine. Man vergleiche dessen Harzreise mit Rilkes Flucht aus Berlin während seines Studiums, das mehr in Museumsbesuchen bestand, nach Treseburg an der Bode, heute ein Ortsteil von Thale:

Deutsche Sommerfrische, ein kleines Tal, so breit wie der kleine rauschende Fluss es gemacht hat, und gerade noch eine Straße daneben, damit recht viele Leute vorbei können. Und alles voll von Aufschriften, Zeigefingern, die hinauf und hinab und um die Ecke weisen, Andenken, Ansichtskarten, Musik und Schokoladenautomaten und ein vollvolles Gasthaus: ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass und wie ich hier bis August aushalten soll.

Selbst in Paris meint er es kaum aushalten zu können, auch wenn er sich dann kurz vor seinem Tod nichts sehnlicher wünscht, als wieder an dem Ort zu sein, wo er Rodin als Sekretär und Verbreiter des Ruhmes dieses begnadeten Bildhauers gedient hatte und er so viele Bekannte hatte. Aber selbst diese Metropole und künstlerischer Nabel der Welt ist nicht zu seinem Schicksal geworden, wie es das dem nicht viel glücklicheren Heine geworden ist, der uns allerdings viel weniger von seinem Leiden hinterließ. Rilke hat praktisch sein ganzes Leben gelitten, die Form gewahrt und uns beides wissen lassen. Das reichte, um nach Heine als größtem deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts, nun das zwanzigste für sich reklamieren zu können.

                                                                                                                                                             C.R. 1.8.2015

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