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Von der Worte tieferem Sinn

Redlich- oder Lauterkeit
der eine hat’s zu jeder Zeit
dem andern beides oft entgeht
der Hahn dagegen immer kräht

Auf dem Seminar und schon vorher hatte ich es mit der Bezeichnung des „lauteren Flüchtlings“ versucht. Natürlich kommt redlich von reden und lauter von Laut. Wenn einem die Schranken der Sprache gesetzt sind, und nach Liane gibt es ja nicht einmal ein Wörterbuch Suaheli-Deutsch, ist es mit der Redlichkeit etwas schwieriger. Auch ist diese Bezeichnung durch das abgedroschene „Üb immer Treu und Redlichkeit“ etwas verbraucht und bezeichnet drittens zusätzlich etwas wie Loyalität gegenüber der Gesellschaft, in der der Flüchtling ja mit Not gerade erst angekommen ist und noch kein solches Verhältnis entwickelt haben kann. Lauter sein ist dagegen eine Nuance verschieden und erfordert nicht, dass man sich in bündiger Rede artikuliert oder diese steht, sondern eben nur der Laut, die einfache Gefühlsäußerung, in welcher Sprache auch immer, sein kann oder nicht einmal das erfordert. Lauter ist also um vieles persönlicher. Gleichzeitig grenzt es sich von der fast schon fordernden und etwas pädagogischen Ehrlichkeit ab, ohne diese Tugend hier schmälern zu wollen. Lauterkeit hat eine poetische Aura, die sich hoffentlich nicht so schnell verbrauchen wird. Doch da wenig Aussicht besteht, dass der Begriff des „lauteren Flüchtlings“ eine stehende Redewendung wird, ist eine Inflation des Begriffes Lauterkeit auch nicht zu befürchten.
In diesem Sinne wollte ich die letzten Verse meines Gedichts „Flucht von allüberall“ verstanden wissen:

Die Lauterkeit gilt es zu prüfen
Dein Gefühl prüfe selbst

Christian Rempel 8.9.2015